Daran, dass der Blick auf die Tabellenspitze ein ziemlich öder ist, hat man sich ja in Deutschland gewöhnt – zumindest wenn es um die erste Liga geht. Seit nunmehr acht Jahren thront der FC Bayern am Saisonende, und gern auch die meiste Zeit davor, bräsig ganz oben. Als Antiserum zur dräuenden Langeweile diente ganzheitlich orientierten Fußballfreunden stets ein Blick auf die zwei Spielklassen darunter. Aber zumindest, was die 3. Liga betrifft, funktioniert dieser Bauerntrick im Moment auch nicht mehr. Denn wer sich dort die Tabelle anschaut, findet auf dem Platz an der Sonne mal wieder: den FC Bayern.
Dass die Zweitvertretung eines Bundesligisten drei Spieltage vor Saisonende von ganz oben grüßt, hat es in der Geschichte der eingleisigen 3. Liga noch nicht gegeben. Und es wäre angesichts der Entwicklung der letzten Wochen keine Überraschung, wenn die von der eigenen Fanszene liebevoll „Amas“ genannte Bayern-Reserve (deren Spieler natürlich alles andere, aber gewiss keine Amateure sind) diesen Platz nicht mehr hergibt. Für die ambitionierte 3. Liga hätte dies ziemlich peinliche Folgen: Ihr Meister steigt nicht auf und die Relegationspiele gegen den 16. der zweiten Liga würde der Tabellenvierte bestreiten, polemisch ausgedrückt: eine Mannschaft aus dem oberen Mittelfeld.
Es wäre die Krönung einer Drittliga-Saison zum Vergessen. Zuerst die Unterbrechung durch die Corona-Krise, dann die unwürdige Selbstzerfleischung der Drittligisten unter Mittäterschaft eines zur Mediation weder fähigen noch willigen DFB, und nun das: die tabellarisch erwiesene Unterlegenheit gegenüber einem Reserveteam als Beweis der eigenen Unbedeutendheit. Das tut weh, und zwar nicht nur einem stolzen Klub wie dem TSV 1860, dem die 1:2‑Niederlage im Münchner Derby auch noch die letzten eigenen Aufstiegshoffnungen raubte.
Nun ist die Rolle der Bayern-Zwoten in der 3. Liga durchaus ambivalent zu betrachten. In einer Klasse, in der spielerisch oftmals viel Luft nach oben ist, sind die Auftritte des hochbegabten Nachwuchses unter ästhetischen Gesichtspunkten eine Bereicherung. Das wird jeder bestätigen, der sich etwa am letzten Wochenende durch die öden 90 Minuten des sogenannten Spitzenspiels zwischen dem MSV Duisburg und Hansa Rostock (0:0) gequält hat. Aber geht es in der 3. Liga wirklich um fußballerische Finesse und Ästhetik, oder nicht doch eher um die Integrität und Homogenität einer Spielklasse, die ja nicht weniger sein soll als eine waschechte Profiliga und zudem eine Art Flaggschiff des DFB?
Letztlich überwiegen die Argumente, die gegen ein Mitwirken der Zweitvertretungen in der 3. Liga sprechen. Sei es die Möglichkeit einer Wettbewerbsverzerrung, weil der Kader der Reserven von der Personalsituation des übergeordneten Profiteams abhängt. Sei es ihre geringere Zugkraft im Vergleich zu publikumsstarken Drittliga-Konkurrenten. Oder sei es, wie jetzt im Falle des FC Bayern, die offensichtliche Überlegenheit seiner Spieler, die unter den klinischen Bedingungen von Geisterspielen noch mal deutlicher zutage tritt.
Weil der DFB so gerne betont, wie viel er mit seiner Premium-Klasse noch vorhat und wie großartig er sie entwickeln will, ist es ein Rätsel, warum er nicht versucht, sie von den Reserveteams der Profiklubs freizuhalten. Zwar ist der FC Bayern auch im nächsten Jahr der einzige Verein, dessen Nachwuchs drittklassig spielt, aber während etwa Bayer Leverkusen oder Eintracht Frankfurt ihre Zweite schon vor Jahren aufgelöst haben, scheinen die Münchner sie als perfektes Sprungbrett neu für sich entdeckt zu haben. Und natürlich haben sie die Mittel, jedes Jahr oben mitzuspielen. Nicht ausgeschlossen also, dass der FC Bayern demnächst auch hier regelmäßig an der Spitze steht. Für die 3. Liga wäre das ein echtes Problem, und zwar nicht erst nach acht Jahren.