Schwer zu sagen, in welchem Spiel der abgelaufenen Saison mich Marco Reus am meisten begeistert hat. In den Spitzenspielen gegen den FC Bayern? Oder wird doch vor allem sein rauschhafter Auftritt gegen Werder Bremen in Erinnerung bleiben, als Reus drei von fünf Toren schoss, eines schöner als das andere? Nein, diese Spielzeit war das Gesamtkunstwerk eines Spielers, der in den letzten zwei Jahren eine wirklich atemberaubende Entwicklung gemacht hat. Als hängende Spitze, als kongeniales Duo mit Mannschaftskollege Mike Hanke, als Spielgestalter und kaltblütiger Torjäger war er die Überraschung der Bundesliga schlechthin.
Dass Borussia Mönchengladbach, just erst knapp dem Abstieg entronnen, zwischenzeitlich sogar für den Meistertitel in Frage zu kommen schien und nun tatsächlich hoffen darf, nächstes Jahr in der Champions League zu spielen, war natürlich der Erfolg einer über sich selbst hinauswachsenden Mannschaft und des umsichtigen Trainers Lucien Favre, wurde aber ebenso völlig zurecht an Marco Reus festgemacht, der der Dynamik und der Kombinationsfreude des Gladbacher Spiels die nötige Struktur und Effektivität gab.
Das Spiel des Marco Reus ist dabei auch Ausweis eines erfreulichen Trends. Nämlich, dass immer mehr Mannschaften ihr Heil in der Offensive suchen, anstatt an der perfekten Verteidigung zu werkeln. Die herausragenden Vertreter dieses neuen Angriffsgeistes waren in der abgelaufenen Saison Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund, der bisherige und der künftige Klub von Marco Reus. Beide Mannschaften verteidigen aggressiv nach vorne, wollen sich verlorene Bälle rasch und energisch zurückholen. Um sie dann Spielern wie Marco Reus zukommen zu lassen, die Bälle in hohem Tempo annehmen, weiterleiten und verwerten können. Er ist ein Weltmeister des Doppelpasses, seine Kombinationen mit Mike Hanke sind wunderschön anzuschauen – und er schießt aus allen Lagen aufs Tor. All das macht Marco Reus zu einem Angreifer der Sonderklasse. Zu Reus Entwicklung hat sicher beigetragen, dass er trotz seines jungen Alters auch schon die Tiefen des Fußballgeschäfts kennengelernt hat. Bis zur U 17 wurde er bei seinem Stammverein Borussia Dortmund als Talent mit großer Perspektive gehandelt und fand sich plötzlich, nach zehn Jahren beim BVB, in der zweiten Mannschaft des Provinzklubs Rot Weiss Ahlen wieder, die vor ein paar hundert Zuschauern in der Oberliga kickte. Später, nun schon in der Bundesliga, wandelte er mit Borussia Mönchengladbach eine Saison lang am Abgrund zur zweiten Liga. Das hat ihn abgehärtet und ihm zugleich einen realistischen, einen unsentimentalen Blick auf die Dinge verschafft. Er hat in dieser Zeit begriffen, dass im Fußballgeschäft auch großen Talenten nichts zufliegt und dass nur der Erfolg haben wird, der hart an sich arbeitet. Nur ein Ausweis für diese harte Arbeit sind die sechs Kilo Muskelmasse, die Reus zugelegt hat und die sein Durchsetzungsvermögen entscheidend verbessert haben. Reus ist darüber hinaus aber auch ein echter Sportsmann. Als ihm der Schalker Jermaine Jones im Pokalspiel im Dezember 2011 auf den ohnehin schon lädierten Fuß trat, schäumte der Boulevard und erwartungsfroh reckten die Reporter ihm nach dem Spiel die Schaumstoffmikrofone entgegen. Doch wo viele die Gelegenheit zum verbalen Infight genutzt hätten, schwieg Reus, wohl auch, weil er sich wirklich so sehr für den Sport und wenig für das mediale Theater drum herum interessiert. Überhaupt ist Marco Reus ein angenehm unkomplizierter Charakter, intelligent und selbstbewusst, zugleich aber auch sensibel genug, um nicht wie mancher Berufskollege bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzuecken. Ein Musterprofi im besten Sinne.
Dass Reus nun zu Borussia Dortmund zurückkehrt, ist die richtige Entscheidung, auch wenn er womöglich bei der Borussia ein bisschen weniger Geld verdient als beim FC Bayern. Es ist die richtige Entscheidung, nicht einmal unbedingt, weil er in Dortmund geboren ist und die Jugendmannschaften des BVB durchlaufen hat. Man kann schließlich auch weitab des ersten Bolzplatzes glücklich werden. Sondern weil er bei der Borussia die besten Bedingungen vorfindet, um sich weiterzuentwickeln. Wie Lucien Favre in Gladbach, der ihn aufgebaut, seine Talente gefördert und ihm Verantwortung gegeben hat, ist auch Jürgen Klopp ein Coach, der einen besonderen Zugang zu den Spielern besitzt, der zudem eine klare Vorstellung davon hat, welche Rolle Marco Reus in der nächsten Saison in der Dortmunder Meistermannschaft spielen soll. Dass die Borussen auch im nächsten Jahr in der Champions League spielen und sich diesmal vielleicht ein bisschen geschickter anstellen werden, wird Reus’ Entscheidung für Dortmund sicher nicht abträglich gewesen sein. Vielleicht, eigentlich sogar ziemlich sicher, wird auch Dortmund nur eine Zwischenstation für Marco Reus sein. Er hat das Zeug zum Weltklassespieler. Und wenn er, um eine alte Floskel zu bemühen, von Verletzungen verschont bleibt, kann er seinen Blick bald über die Bundesliga hinaus richten, nach England und Spanien. So wie es Mesut Özil und Sami Khedira vorgemacht haben. So lange dürfen sich BVB und Bundesliga an einem Ausnahmespieler erfreuen, den die Jury völlig zu Recht zum Spieler der Saison gekürt hat.
PS: Der Mann hat Geschmack. Sein Lieblingsitaliener ist auch der meine, »Michelangelo« in Mönchengladbach. Ich las allerdings auch, sein Lieblingsgericht sei Gulasch mit Rotkohl und Kartoffelpüree. Zumindest hier ist also noch ein klein wenig Luft nach oben.
Der Mann hat einfach gute Laune. Warum auch nicht? Ihm gelingt derzeit so gut wie alles. Als 19-Jähriger muss man das erst mal bringen: Im entscheidenden Elfmeterschießen im Santiago-Bernabeu-Stadion in Madrid zum Punkt marschieren und den Ball mit traumwandlerischer Sicherheit versenken. Mich hat David Alaba in dieser Szene im Champions-League-Halbfinale der Bayern gegen Real endgültig überzeugt. Wie abgeklärt er selbst in diesem hochbrisanten Spiel agierte, war beeindruckend. Noch dazu, weil es nie den Anschein hat, dass der Junge für die Galerie spielt. Im Gegenteil. Alaba verrichtet mit aller ihm gegebenen Zielstrebigkeit seine Aufgaben. Punkt.
Louis van Gaal hat ihn als Mittelfeldspieler in die Abwehr beordert. Es fällt mir schwer zu beurteilen, ob er dort seine Traumposition gefunden hat. Alabas Wirkungskreis hat die Außenverteidigerposition aber nicht eingeschränkt. Als Teil einer funktionierenden Viererkette findet er ständig Gelegenheit für gefährliche Vorstöße. Und wie er dort in höchstem Tempo eine grandiose Technik an den Tag legt, ist schon außergewöhnlich. In manchen Dingen erinnert er mich an Philipp Lahm. Der strahlte als junger Spieler auch diesen frischen Optimismus aus. Ich glaube, David Alaba könnte man zurzeit nachts um zwei Uhr wecken und in ein Finale schicken – dem würde kaum ein Fehler unterlaufen. Der hat so viel Freude am Spiel, empfindet alles, was ihm derzeit im Fußball passiert, als positiv, kein Wunder, dass ihm alles gelingt.
Das Bayern-Management wird öfter gescholten, dass es zu sehr auf Stars setzt. Dabei hat es im Fall von Alaba bewiesen, wie man einen jungen Spieler optimal fördert. Es gibt nichts Schlimmeres für ein Talent, als auf der Bank zu schmoren. Nachwuchsspieler sind ungeduldig und bekommen schnell das Gefühl, nicht mehr gewollt zu werden. Als sich abzeichnete, dass Alaba nicht direkt den Schritt in den Stamm der ersten Mannschaft schafft, haben sie ihn von der Säbener Straße nach Hoffenheim geschickt. So wie sie es damals mit Philipp Lahm und dem VfB Stuttgart gemacht haben. So konnten beide tun, was sie am liebsten machen: spielen, spielen, spielen! Das Ergebnis der Maßnahme haben wir nun erlebt: Beim FC Bayern ist Alaba aus der Abwehr nicht mehr wegzudenken. Es war ein Riesenverlust für das Team, dass er im Champions-League-Finale wegen seiner Gelbsperre nicht auflaufen durfte.
Bei Bayern ist er sogar schon in die Geschichte eingegangen: als jüngster Spieler der Klubhistorie, der je in Champions League, DFB-Pokal und in der Bundesliga eingesetzt wurde. So leid es mir für David Alaba tut, als Österreicher wird ihm auf Länderebene die ganz große Karriere wohl nicht vergönnt sein, aber ich bin sicher: Jetzt kommen bald geballt die Angebote von internationalen Spitzenklubs. Wenn er sich den Kopf nicht verdrehen lässt und über gute Berater verfügt, steht ihm eine großartige Karriere bevor.
Eine negative Begleiterscheinung von Ehrungen wie dieser ist, dass nun alle Gegenspieler gewarnt sind, mit was für einem Ausnahmekicker sie es zu tun haben. Momentan erlebt er ein Hoch, sieht alles in rosigen Farben. Ich wünsche ihm, dass er sich diesen Optimismus erhalten kann, auch wenn es mal nicht so läuft. Denn Spieler wie er machen einfach Spaß. Hoffen wir, dass seine Art und seine Fähigkeiten noch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Damit nicht nur er, sondern auch wir Zuschauer die gute Laune behalten.
Es war bereits phantastisch, als Jürgen Klopp in der vorletzten Saison die Deutsche Meisterschaft mit Borussia Dortmund aus der Außenseiterposition gewonnen hat. Doch was ihm in der vergangenen Spielzeit gelungen ist, stellt für mich noch eine beeindruckende Steigerung dar. Es adelt ihn, dass er den Titel nicht nur verteidigt hat, sondern dass dieser Erfolg auch noch völlig verdient war. Als Trainer weiß ich schon lange, dass man mitunter auch von glücklichen Zufällen begünstigt sein kann, doch hier haben sie keine Rolle gespielt. Denn seine Mannschaft hat mit dem FC Bayern den größten Rivalen in dieser Saison dreimal besiegt, darunter im Pokalfinale auf beeindruckende Art und Weise.
Für mich ist das historische Double von Borussia Dortmund zugleich der bisherige Höhepunkt einer mustergültigen Trainerkarriere. Dass Jürgen Klopp ein im positiven Sinne Fußballverrückter ist, konnte man von Beginn an merken. Bereits bei Mainz 05 hat er ein System spielen lassen, das auf Aktivität und Spielbestimmung hinausgelaufen ist. Schon dort konnte man sehen, was für ein guter Methodiker er ist, denn die Spielweise seiner Mannschaft entsprang systematischer Arbeit. Zudem hat Jürgen immer gewusst, dass man als Fußballtrainer bei der Mannschaftsführung zwar absolut die Hauptrolle spielen, aber auch Aufgaben an sein Trainerteam delegieren können muss. Dazu kommen sein Durchsetzungsvermögen, seine große Ausstrahlung und Persönlichkeit. Ich kann mir gut vorstellen, wie junge Spieler an seinen Lippen hängen und unter seinem Einfluss selbst bei allen Anfechtungen durch ihre Popularität weiterhin coachbar bleiben.
Jürgen Klopp hat die Chance eines soliden Karriereaufbaus so gut genutzt wie wenige Kollegen vor ihm. Geholfen haben ihm bestimmt auch die Rückschläge der beiden in Mainz tragisch knapp verpassten Aufstiege. Denn zum Trainerberuf gehört es auch, mal so richtig eine auf die Schnauze zu kriegen und ein paar Nächte nicht schlafen zu können. Das wird vielleicht auch zu Beginn dieser Saison nicht anders gewesen sein, aber insgesamt hat er in Dortmund die Gelegenheit entschlossen am Schopfe gepackt. Als er vor vier Jahren zur Borussia kam, lag der Klub noch weitgehend am Boden. Wie er diese Aufgabe gelöst hat, mit zunächst bescheidenen Mitteln und jungen Leuten aus dem eigenen Nachwuchs, mit einem tollen Scouting-Apparat sowie dem im Hintergrund phantastisch arbeitenden Manager Michael Zorc, das war richtig stark.
Bei ihm stimmt fachlich alles, aber ich würde darüber hinaus gerne noch etwas anderes herausstellen, was mir besonders am Herzen liegt und zudem für die Erklärung seiner Erfolgsgeschichte ausgesprochen wichtig ist: Jürgen Klopp ist auch als Mensch total okay. Denn er interessiert sich nicht nur einseitig, sondern nimmt seine Umwelt aufmerksam wahr. Jürgen ist, das weiß ich aus sehr angenehmen persönlichen Begegnungen, auch an anderen Dingen als nur an Fußball interessiert. Man kann mit ihm über viele unterschiedliche Themen sprechen, und das macht ihn so besonders.
Weil Jürgen zudem mit erst 45 Jahren ein junger Mann ist, würde es mich sehr wundern, wenn diese hochverdiente Auszeichnung zum »Trainer der Saison« seine letzte gewesen sein sollte. Auf jeden Fall: Lieber Jürgen, herzlichen Glückwunsch auch zu dieser Titelverteidigung.
Fußball ist ein Kampfsport, man bekriegt einander, wetteifert um den Sieg. Und doch habe ich Fußballer kennengelernt, die ich für ihre Integrität sehr schätze. Einer davon ist Michael Zorc.
Wir sind uns schon als Gegenspieler auf dem Platz begegnet, er beim BVB, ich beim HSV und später beim SV Werder. Schon damals habe ich Michael als echten Teamspieler wahrgenommen, immer zuverlässig, seriös und konstant. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden, war reflektiert und hat sich nie überschätzt. Aber, das muss man deutlich sagen, er hat sich auch nie unterschätzt: Er wusste ganz genau, dass er in der Lage war, Spiele zu entscheiden. 131 Bundesligatore kann schließlich nur einer schießen, der den Instinkt hat, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.
Das ist nun fast zwei Jahrzehnte her. Aber im Grunde hat sich an Michaels Arbeitsweise nichts geändert, nur dass er das Trikot eben gegen einen Manageranzug eingetauscht hat. Noch immer stellt er sich in den Dienst seines BVB. Und wenn es sein muss, prescht er nach vorn und sorgt für die Entscheidung. Schön zu sehen, dass jemand sich treu bleiben kann, ohne auf der Stelle zu treten.
Michael blieb nach der Titelverteidigung wohltuend bescheiden. Er kennt nun mal auch die Täler eines Fußballerlebens, hat Abstiegskämpfe hinter sich und bestimmt nicht vergessen, dass der BVB vor acht Jahren noch am Abgrund stand. Das lehrt Demut. Einer wie Michael vergisst diese Lektion auch in der Stunde des Triumphes nicht.
Zwar ist er durchaus in der Lage, sich gegen die Anwürfe der Münchner »Abteilung Attacke« zur Wehr zu setzen, aber eigentlich macht er bei diesen altbekannten Scharmützeln und Verbalduellen nicht mit. Er ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man dabei nur den Kürzeren ziehen kann. Das hilft ihm, eine Spur gelassener als die Kollegen vom Rekordmeister zu wirken. Sein Stilmittel ist es, sich niemals arrogant zu zeigen, aber trotzdem selbstgewiss aufzutreten. Er weiß, was seine Mannschaft zu leisten im Stande ist.
Dass diese Mannschaft so geschlossen auftritt, ist auch sein Verdienst. Er achtet sehr genau auf die menschliche Komponente bei der Kaderzusammenstellung und ist auch in schlechteren Zeiten extrem loyal. Das kommt zurück: Die Spieler entwickeln sich vor allem deshalb so toll, weil sie wissen, dass sie mal einen Fehler machen dürfen. Das spricht sich herum und ist ein gutes Argument, mit dem der BVB die finanziellen Nachteile gegenüber Mitbewerbern kompensieren kann.
Wenn sich der Erfolg nun auch in der Champions League einstellt, wird das endgültig Begehrlichkeiten großer Vereine wecken. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Michael die Strukturen aufrechterhalten wird, die es dem BVB ermöglichen, sich immer wieder zu erneuern, ohne Qualitätsverluste zu erleiden. Man merkt ihm jedenfalls an, wie sehr er sich auf die kommenden Herausforderungen freut. Er will den Verein international etablieren und dem Druck standhalten, der dadurch entsteht.
Er selbst ist bei diesem Prozess die große Konstante. Seit 34 Jahren ist dieser Mann nun schon im Verein! Seine Bestimmung ist es, beim BVB zu arbeiten, den BVB zu leben. Selbst wenn sein Partner Jürgen Klopp sich eines Tages neu orientieren sollte, wird er bleiben. Damit ist er der lebende Beweis für den Satz, den er womöglich schon zu manchem Spieler gesagt hat: Sein Glück kann man nicht nur beim FC Bayern finden.
Ich freue mich wahnsinnig für Sebastian Kehl, dass er mit diesem Preis ausgezeichnet wird, denn er ist wirklich ein »echter Typ«. Dieser Begriff wurde in der Vergangenheit im Blick auf Fußballprofis oft nur in eine Richtung und deshalb falsch interpretiert. So galten früher als »echte Typen« vor allem diejenigen, die durch lautstarke Töne in der Öffentlichkeit und gelegentlich sogar Eskapaden auf sich aufmerksam gemacht haben. Auf Sebastian Kehl trifft das alles nicht zu.
Für mich ist er ein »echter Typ«, weil er ein Teamplayer ist, dem Egoismus und Eskapaden fremd sind. Weil er immer seine Meinung sagt, aber nicht um selbst im Mittelpunkt zu stehen, sondern um damit seinen Beitrag zum Erfolg seiner Mannschaft zu leisten. Das erfreulich deutliche Votum für Sebastian ist die Anerkennung für starke sportliche Leistungen über einen langen Zeitraum und zugleich für sein Auftreten außerhalb des Platzes, auch für sein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zu »seinem BVB« und schließlich auch für sein vielfältiges soziales Engagement. Dabei hat Sebastian durch mehrere Verletzungen manch schwierige Phase überstehen und meistern müssen, deren Bedeutung nur jemand ganz verstehen kann, der selber Fußballprofi gewesen ist. Doch er hat nie aufgegeben, sich immer wieder ran gekämpft. Selbst wenn er nur sporadisch zum Einsatz kam, hat er sich dabei mit all seinen Aktivitäten trotzdem immer in den Dienst der Mannschaft gestellt. Etwa in der vorletzten Saison, als Borussia Dortmund völlig überraschend Meister wurde und er als Kapitän praktisch von außen erleben musste, wie das junge Team von Erfolg zu Erfolg eilte. Er hat damals mit den Kollegen gefiebert und sich mit ihnen gefreut, er hat sie unterstützt und gepusht.
Das ist typisch für ihn, und so habe ich Sebastian auch erlebt bei der Weltmeisterschaft 2006, als er in unserem Kader immer ein absolut positiver und daher »echter Typ« war. Vor dieser Saison gab es nur wenige, die noch daran geglaubt haben, dass er sich mit 31 Jahren wieder einen festen Platz im BVB-Team würde erobern können. Aber Sebastian hat sich mit großer Disziplin auf beeindruckende Weise zurückgekämpft und großen Anteil daran gehabt, dass Borussia Dortmund zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte das Double aus Meisterschaft und Pokal gewann.
Mit seiner großen Erfahrung aus fast dreihundert Bundesligaspielen und einer Fülle internationaler Begegnungen mit dem BVB und der Nationalmannschaft ist er ein wesentlicher Stabilitätsfaktor, Antreiber und Erfolgsgarant des jungen Dortmunder Teams gewesen. Für mich ist er daher nicht nur ein »echter Typ«, sondern außerdem ein »echter Führungsspieler«. Er ist für jüngere Kollegen immer da, wenn sie seinen Rat suchen, er übernimmt Verantwortung, und er kann in kritischen Situationen auf dem Platz klare Kommandos geben, um die Marschrichtung auch in solchen Momenten umzusetzen. Dass Borussias Trainer Jürgen Klopp darüber hinaus immer wieder die mitreißenden Ansprachen von Sebastian vor der Mannschaft herausstellt, passt für mich in das rundum positive Bild dieses Spielers, den ich wegen seiner Charakter- und Willensstärke immer geschätzt habe. In diesem Sinne ist er wirklich ein »echter Typ« und als solcher ein Vorbild für alle seine Berufskollegen. Herzlichen Glückwunsch, Sebastian Kehl, zu dieser völlig verdienten Wahl.
Lassen Sie mich für ein paar Zeilen alle »Abers« und alle sonstigen Einwände vergessen, die man gelegentlich natürlich auch machen könnte. Lassen Sie es mich einfach so sagen, wie es ist: Ich liebe die Fans von Borussia Dortmund! Übrigens bin ich auch einer. Das beste Publikum der Liga, ich gehöre dazu. Jedes Mal, wenn ich rund zwei Stunden vor Spielbeginn den Zug im »Doatmunda Hauptbannof« verlasse, komme ich wieder nach Hause. Ich nehme die Stufen, die ich unzählige Male hinabgestiegen bin und gehe auf Wegen in Richtung Innenstadt, die ich längst mit verbundenen Augen finden würde. Das ein oder andere im Stadtbild hat sich über die Jahre verändert, aber die Töne nicht. Das schwarz-gelb kostümierte Gewusel um mich herum, das »Hömma!«, »Kommse?«, »Allet kla!« Hier ist es schon, das Publikum. Ich war inzwischen an vielen Orten beim Fußball, aber nirgendwo habe ich auch nur annähernd erlebt, dass der Spieltag die Atmosphäre einer ganzen Stadt so bestimmt. Eine Spannung, ein Klang liegt über Dortmund, wenn Borussia spielt. Das Orchester stimmt sich ein.
Die Dortmunder Anhänger sind, machen wir uns nichts vor, vom Glück begünstigt. Während anderswo Fans nach unglaublich strapaziösen Anreisen vielleicht sogar in schlecht durchlüfteten Hallen ihrer Leidenschaft nachgehen müssen, schlendert der Dortmunder Borusse von Lokal zu Lokal, begrüßt bei dem einen oder anderen Pils in der dem Ruhrgebietler angeborenen, gastfreundlichen Art die Besucher von nah und fern, bis er schließlich, um die englische »Times« zu zitieren, »das schönste Stadion der Welt« erreicht.
Schon lange vor Anpfiff füllen sich die Ränge. Zuerst die Südtribüne, das Herz, möglicherweise auch die Leber von Borussia Dortmund. Ich gebe zu, dass ich in den letzten Jahren fast ausschließlich auf »West« gesessen habe. Das aber nur, weil ich von da aus die »Süd« besser sehen kann.
In diesem Stadion wird es nicht nur laut, es wird sehr laut. Und schön laut. Mir geht das Herz auf, wenn die fünfundzwanzigtausend Verrückten auf der größten Stehplatztribüne Europas ausgerechnet zur Melodie von Pippi Langstrumpf klarmachen, wer Deutscher Meister ist und bleibt. Und sie dabei hüpfend die Belastbarkeit der Stadionarchitektur überprüfen. Nobby Dickel, der mehr Zeremonienmeister als Stadionsprecher ist, der »Held von Berlin«, wird auch nach dreiundzwanzig Jahren jedes Mal, wenn er den Sechzehner für seine Ansagen betritt, mit seinem Lied gefeiert, getextet auf den alten »Flipper-Song«. Eine Tatsache, die mich immer wieder ganz besonders für das phantastische Dortmunder Publikum einnimmt, ist die Art und Weise, wie verdiente Ex-BVB-Spieler begrüßt werden, selbst wenn sie im gegnerischen Trikot ins Dortmunder Stadion kommen. Für einen Moment, vor dem Anpfiff, gibt es dann auch für den Gegner Applaus. Denn wer sich einmal für den BVB richtig reingehängt hat, wird nicht vergessen. (Naja, Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel.)
Nobby also hat leichtes Spiel, wenn er die anderen Tribünen auffordert, sich ein Beispiel an der »Süd« zu nehmen. Und wenn’s auf dem Platz losgeht, dann geht der BVB-Fan sowieso mit. Und wie! »Erhobenen Hauptes! Mit Hoffnung im Herzen! Und niemals allein!« In Dortmund gilt »You’ll Never Walk Alone« wirklich. Und geht es beim Fußball nicht genau darum?
Randale, Gewalt, Chaoten. Das waren die Schlagworte, wenn es in der zurückliegenden Saison um die Situation in deutschen Stadien ging. Im vergangenen Jahr sind die Geschehnisse auf den Rängen und rund um die Fans in einem selten zuvor gekannten Maße in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Bilder von brennenden Fackeln oder von Zuschauern auf dem Rasen bestimmten den Rückblick. Doch da waren noch andere Bilder, die dieses Jahr geprägt haben.
Bilder von rivalisierenden Fangruppen, die sich zusammensetzen und diskutieren. Von Anhängern, die zum Dialog bitten und danach einträchtig zu Mittag essen. Die Bilder von einem zweitägigen Kongress im Berliner »Kosmos«, den die Fans selbst organisiert und finanziert hatten. Die Organisatoren von »Pro Fans« hatten gerufen – und mehr als 500 Teilnehmer von über 60 Vereinen aus ganz Deutschland kamen. So eng war die deutsche Fanszene lange nicht mehr zusammengerückt. Es war eine Veranstaltung, die die gängigen Vorurteile über Fans allesamt widerlegte. Diejenigen, die in den Kurven stehen, sind eben nicht Durchgeknallte mit Gewaltphantasien, billige Claqueure ihres Vereins oder alkoholisierte Selbstdarsteller. Fans erheben die Stimme, wenn das Spiel in die falsche Richtung läuft. Sie artikulieren ihre Meinung, debattieren sachlich und konstruktiv – und sie prägen den Fußball über Grenzen hinweg. Was in den neunziger Jahren mit Fanprojekten und Initiativen gegen Rassismus begann, fand durch den Fankongress seine Fortsetzung. In einzelnen Workshops und auch Podiumsdiskussionen setzten sich die Teilnehmer mit Themen wie Eintrittskartenpreise, Stadionverbote, Pyrotechnik oder Anstoßzeiten auseinander.
In diesen Tagen im Januar in Berlin wurde einmal mehr deutlich: Wer über die Zukunft des Fußballs diskutieren oder bestimmen will, wird die Stimmen der Fans nicht ignorieren können. Es gehört daher auch zu den Verdiensten der Organisatoren, dass sie gezeigt haben, wie geschlossen Fans für ihre Ziele einstehen. Aber auch mit welcher Reflektiertheit und welchem Mut zur Selbstkritik sie ihre Rolle annehmen. Der Fankongress hat bei vielen anwesenden Funktionären und Journalisten Eindruck gemacht und somit viel für die Wahrnehmung von Fans getan. Er kann zum vereinsübergreifenden Megafon der deutschen Fans werden. Doch das Wichtigste beim Fankongress 2012 war die Botschaft: Wir Fans sind bereit zu einer Debatte. »Schluss mit Populismus! Lust auf Dialog statt Monolog«, war das Motto. So verschickten die Organisatoren Einladungen an führende Köpfe der Verbände und der Polizei. Nicht alle kamen dieser nach und erweckten den Eindruck, die Kommunikation über die Medien zu bevorzugen. Andere Vertreter wie beispielsweise der DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus, DFB-Sicherheitschef Hendrik Große Lefert oder Hannovers Präsident Martin Kind überzeugten sich vor Ort davon, wie ein konstruktives Treffen aller Parteien aussehen kann.
Die zurückliegende Saison soll bald aufgearbeitet werden. Es bleibt zu hoffen, dass an den oft proklamierten »Runden Tischen« nicht wieder Stühle frei bleiben. Gespräche mit Fans sind nie Geisterdebatten, denn Fans gehören zu den Akteuren, die den Fußball mit ausmachen. Ein Dialog ist möglich, mehr noch: Er ist die einzige Lösung für die Zukunft. Dafür haben die Organisatoren des Fankongresses eine Wegmarke gesetzt.