Eigentlich sollte Christoph Daum den deutschen Fußball retten. Doch dann schaute sich dieser Mann die Haare des designierten Bundestrainers mal genauer an.
Wie funktionierte die Analyse einer Haarprobe damals?
Zunächst wird ein Anteil des Haarstrangs mit einem Lösungsmittel gewaschen, um etwa außen anhängende Substanzen zu entfernen. Es soll ja nachgewiesen werden, was ins Haar aufgrund eines Konsums eingewachsen ist. Nicht das, was etwa aus der Umgebungsluft auf das Haar gelangt sein könnte. Dann wird die Probe mit einer Pulvermühle gemahlen.
Kann man sich das als eine Art Kaffeemühle vorstellen?
Genau. Das Pulver wird anschließend gewogen und in eine Lösung gegeben. Es kommen definierte Mengen deuterierten Cocains und des Hauptstoffwechselprodukts Benzoylecgonin als sogenannte „Innere Standards“ dazu, die weitgehend identisch mit dem sind, was im Haar vermutet wird, im Rahmen der Chromatografie aber unterschieden werden können. In diesem Fall Kokain und sein Stoffwechselprodukt. Man vergleicht die Werte und weiß im positiven Fall, wie hoch die Konzentration in der Probe ist.
Sie saßen im Labor, zerkleinerten das Haar des möglichen Nationaltrainers. Das muss Ihnen doch surreal vorgekommen sein.
Das Zerkleinern und die weitere Aufarbeitung und Analyse haben – so wie in jedem Untersuchungsauftrag – meine Mitarbeiter gemacht. Und ganz ehrlich, für mich als Forensischen Toxikologen war das nur eine Probe von vielen. In meinem Beruf muss man Einzelschicksale von den zu untersuchenden Proben abtrennen können. Sonst könnte man den Job nicht machen, wenn es um tote Kinder oder Verkehrsunfälle geht. Das ist ein Schutzmechanismus. Die Probe heißt dann nicht mehr „Christoph Daum“, sondern meinetwegen 5200/10. So wird sie untersucht.
Und ergab einen Wert von 72 Nanogramm pro Milligramm Haar. Was bedeutet das?
Es war in unserem Untersuchungsgut der höchste Wert, den wir bis dahin gemessen hatten. Eine Konzentration von 72 Nanogramm pro Milligramm Haar! Da lässt sich sehr sicher sagen: Es handelt sich um regelmäßigen Konsum. Bei einmaligem Konsum ergeben sich Werte von 0,2 Nanogramm, vielleicht 0,5.
Sie waren der Erste, der diese Zahl gesehen hat. Was dachten Sie da?
Ich habe eine zweite Untersuchung angeordnet. Das haben wir immer gemacht, wenn ein ungewöhnliches Ergebnis herauskam. Die zweite Untersuchung hat das erste Analysenergebnis bestätigt.
Reiner Calmund hatte Bayers Pressesprecher Uli Dost mit zur Rechtsmedizin genommen, damit dieser die Nachricht von Daums Unschuld sofort nach Erhalt des Untersuchungsergebnisses per Pressemitteilung verbreiten konnte. Wie reagierte Calmund, als Sie ihm ein Ergebnis mitteilten, das er nicht erwartet hatte?
Herr Calmund kam zu mir ins Institut, hat sich das Gutachten erst von mir vorlesen lassen, es selbst gelesen und Nachfragen gestellt. Er wollte genau wissen, was der Wert bedeutet. Und ich habe es ihm erklärt, wie es ist: Herr Calmund, das ist ein ungewöhnlich hoher Wert.
Nachdem er das Ergebnis der Probe erfahren hatte, rief Reiner Calmund einen Krisenstab im Haus von Leverkusens Co-Trainer Roland Koch zusammen. Calmund verkündete das Ergebnis, Christoph Daum witterte eine Verschwörung. Er behauptete, das Haar stamme nicht von ihm, es müsse vertauscht worden sein. Erst um zwei Uhr nachts überzeugte Calmund Daum, in die Geschäftsstelle zu fahren, seinen Spind zu leeren und sich in einen Flieger in die USA zu setzen. Auf Calmunds Bitte übernahm Rudi Völler für knapp einen Monat die Mannschaft als Interimstrainer. Auf ihn folgte Mitte November Berti Vogts.