Saisonvorbereitung, du schöne Zeit der spektakulären Wechsel. Aber warum holt genau dein Klub immer wieder einen dieser fünf Spielertypen? Vorhang auf für die ultimative Typologie der Sommertransfers.
Der abgehalfterte Star
Als Gerüchte über den abgehalfterten Star aufkommen, winkst du kopfschüttelnd ab. Zu alt, zu teuer, Hüftknochen porös wie Styropor, weiß ja jeder. Als dann die Pushnachricht kommt, dass der abgehalfterte Star einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat, bei dem er auch noch mehr verdient als bei seiner letzten Station in Katar, auf den Kanaren oder auf Zypern, hältst du das zunächst für einen elaborierten Gag deines Informatiker-Kumpels. Aber dann kommt er wirklich, steigt behäbig aus einem millionenschweren Sportwagen, dessen Flügeltüren so tief liegen, dass es wirkt, als rolle sich da ein gestrandeter Wal zurück ins Meer, was leider kein sonderlich falscher erster Eindruck ist. Was bei seiner Antritts-Pressekonferenz deutlicher den Raum ausfüllt – sein Ego oder seine Fahne – ist schwer zu sagen. Als schnell die erste Frage nach dem Sexskandal neulich aufkommt, ist die Hassbeziehung zwischen Journalisten und dem abgehalfterten Star in Rekordzeit besiegelt. Fortan grüßt dieser gern per Mittelfinger, stellt in den Fieldinterviews ehrabschneidende Gegenfragen und ist mehrmals kurz davor, am Trainingsplatz handgreiflich zu werden. Na gut, denkst du, ist halt ein Typ, Ecken, Kanten, dies das, ein Aggressive Leader eben, und vielleicht kann er mit seiner Erfahrung ja… Aber dann verfolgst du das Training im Livestream – eh schon traurig – und siehst, wie der abgehalfterte Star ein Laufduell gegen den 61-jährigen Zeugwart verliert. Und teilst fortan die Enttäuschung des Trainers, dessen Weigerung, den abgehalfterten Star in die Startelf zu beordern, für nachhaltige atmosphärische Störungen im Klub sorgt, die mit ein Hauptgrund dafür sind, dass der Klub schon im Winter ganz tief unten drin steht. Da steht der abgehalfterte Star schon lange wieder auf der Transferliste. Aber die Angebote aus Katar, von den Kanaren oder Zypern sind einfach nicht lukrativ genug für ihn.
Der Mitläufer für die Breite
„Mh“, denkst du, vielleicht auch „Pff“ oder „Ochjo“, während du auf der Sportseite in einem Nebensatz vom anstehenden Transfer des Mitläufers für die Breite liest. Immerhin: Der Transfer ist, na klar, ablösefrei, und dass der Sportvorstand den Mitläufer für die Breite bei der Verkündung unverhohlen als „einen für die Breite“ ankündigt, lässt die Erwartungen auch nicht eben ins Unermessliche wachsen. Aber genau das ist es ja: Der Mitläufer für die Breite ist das trockene Graubrot unter den Transfers, ein Fußballer gewordenes Schulterzucken, ein Wechsel, der nichts will, nichts verspricht, nichts ausstrahlt, außer vielleicht: Mittelmaß ist für den gesamten Klub das höchste der Gefühle, warum dann nicht Mr. Mittelmaß der Jahre 2012 – 2021 verpflichten? Die größten Erfolge des Mitläufers für die Breite sind schnell erzählt: Ein Abstaubertor bei einem egalen 1:2 irgendwann gegen Hannover 96, ein Bankplatz in einem DFB-Pokal-Viertelfinale (0:5 gegen Borussia Dortmund) und die Erwähnung in einem Artikel in der Lokalpresse vor zehn Jahren, in dem es um potenzielle Gewinner der Vorbereitung ging. Ein Totalausfall, so fair muss man sein, ist der Mitläufer für die Breite auch nicht. Als damals das Verletzungspech beim FC Ingolstadt allzu arg wurde, hat er ein paar solide Spiele als Aushilfslinksverteidiger gemacht und nur ein Eigentor geschossen. Und gemeckert hat er nie, wenn er dann rasch wieder auf die Bank musste. Sehr viel mehr erwarten als die sieben Kurzeinsätze (ein Eigentor), die im nächsten Sommer sein Arbeitsnachweis sein werden, sollte man aber auch nicht erwarten. Oder um es anders auszudrücken: „Mh. Pff. Ochjo.“
Das Halb-Talent, das einen dann doch enttäuscht
Als die ersten Gerüchte über das Halb-Talent, das einen dann doch enttäuscht, die Runde machen, verbringst du zahllose Stunden vor pixeligen Youtube-Videos, in denen dein geübtes Auge ganz klar einen kommenden Weltstar erkennt. Insbesondere diese vier körnigen Sekunden von diesem einen Spiel der U21 eines dir vage bekannten Landes, bei dem ein Hackentrick des Halb-Talents, das einen dann doch enttäuscht, tatsächlich mal beim Mitspieler ankam (der dann vergab), haben es dir angetan. Dieses Ballgefühl, die Übersicht, die Eleganz – das hatte dein Klub ja seit dem zweifachen A2-Nationalspieler damals nicht mehr. Und das muss ja auch die Transferstrategie deines unrettbar bräsigen Herzensvereins sein: Junge Spieler zu holen, die sich mit ihren Möglichkeiten leicht von den Fußballlegasthenikern abheben, die demnächst dem nächsten, völlig verdienten Abstieg entgegenstolpern werden. Dass sich das Halb-Talent, das einen dann doch enttäuscht, bei besagtem Hackentrick das Kreuzband gerissen hat, ist auf dem Video leider nicht zu erkennen. Und bei dem Artikel, den du auf Seite neun der Google-Suchergebnisse gefunden hast, in dem darüber berichtet wird, dass das Band im Krankenhaus einer dir nicht bekannten Stadt dann gleich ganz entfernt wurde, muss es sich um einen Übersetzungsfehler von google translate handeln. Denn die Statistiken lesen sich ja verheißungsvoll: Zwei Tore und ein Assist in einer Liga, die zwar auf „Grupo D“ endet, immerhin aber einen transfermarkt.de-Eintrag hat. Und im besten Talentealter von 25 ist da ja auch noch Luft nach oben. Das sagt ja auch der Berater, der kurz nach Bekanntgabe des Deals in ein Land auswandert, mit dem Deutschland kein Auslieferungsabkommen hat. Unterdessen lebt sich das Halb-Talent nicht ein, kommt im Training nicht hinterher, kauft die Lebensmittel an der Tanke, weil sich niemand kümmert, sieht zum ersten Mal Schnee, das Knie schwillt an, einen Hackentrick sieht man nicht. Bis sich alle Parteien darauf einigen, das Halb-Talent, das einen dann doch enttäuscht, zwecks Spielpraxis erstmal noch ein Jahr in die Heimat zu verleihen. Von dort kehrt es nie zurück, macht seine Sache in der Grupo D aber immerhin ganz ordentlich.
Der Kracher
Hosianna und Heureka, gepriesen sei der Herr, die Welt, das Leben, der Fußballsport, und vor allem die Blinden da in der Vorstandsetage, die endlich einmal das gemacht haben, was sich dir als Erfolgsgeheimnis in 25 Jahren Fußballmanager schon längst erschlossen hat: Sie haben einen Kracher geholt. Und damit ist ein echter Kracher gemeint, nicht die Halbversehrten, die ansonsten Jahr für Jahr am Vereinsgelände auftauchen, um vor ihren vier enttäuschenden Saisonspielen und dem Weitertransfer noch ein wenig Handgeld zu kassieren. Nix, dieser Kracher ist ein echter Kracher, Nationalspieler, voll im Saft, eigentlich zu teuer, eigentlich zu gut. Weswegen du in den wenigen Momenten, in denen du nicht vor Freude ein bisschen weinst oder mit deinen Kumpels aufgeregt und ohne Pause über den Kracher sprichst wie früher die Teeniemädchen über Nick von den Backstreet Boys, dem Braten auch nicht so recht traust. Aber es passiert wirklich, und es ist noch besser als du dachtest. Jubel, Trubel, Siegtreffer gegen die Bayern, Doppelpack im Pokal, die Europacuplätze in Reichweite, der Mann wird euch Titel holen, das ewige Elend beenden, eine Ära prägen, mindestens. Darüber ignoriert man dann schon mal das desillusionierte Kopfschütteln des Krachers, wenn eine seiner Ideen mal wieder im Seitenaus endet, weil die minderbemittelten Kollegen mit dem Denken nicht hinterherkommen. Und die Misstöne im Interview mit der Boulevardpresse – dass sich was tun müsse, man hier zu schnell zufrieden sei, er allein wegen der Nationalelf europäisch spielen müsse – schiebst du damit beiseite, dass du dir auch noch das dritte Ausweichtrikot mit dem Flock des Krachers gönnst. Nach den Saisontoren 12 und 13 gründest du einen Fanklub, nach Saisontor 15 schreibst du einen Brief ans Bauamt, damit die Hauptstraße nach dem Kracher umbenannt wird, oder wenigstens irgendein Park oder so. Nach Saisontor 16, so viel wie noch nie jemand in der Klubgeschichte gemacht hat, überlegst du, ein Kind zu zeugen, nur um es nach dem Kracher benennen zu können. Da verhandelt der Kracher aber bereits mit einem Klub, bei dem seine Pässe nicht im Seitenaus landen, was du einerseits ahnst, andererseits als Gedanken nicht zulassen kannst. Weswegen du als Übersprungshandlung lieber noch einmal den Tabellenrechner bemühst. Die Conference League ist noch drin, zumindest mit viel Glück über die Fairplaywertung. Und warum sollte der Kracher denn dann gehen?
Der Paniktransfer
Was machen die da im Management eigentlich, fragst du dich seit Wochen, schließlich sind die Lücken im Kader eklatant. Der mit sieben Saisontoren beste Stürmer wurde nicht ersetzt, einen Sechser findet man in der Mannschaft auch nicht und ob der Rechtsaußen aus der A‑Jugend, der sich im Testspiel gegen Lotte vor Angst ein bisschen eingepinkelt hat, wirklich so ein großes Talent ist, wie der Trainer auch nach dem 0:4 weiterhin behauptet, glaubst du irgendwie nicht mehr so richtig. Aber alles an Halb-Gerüchten und Beinahe-Transfers hat sich zerschlagen. Und während der aktuelle Kader nicht mal bei den Bundesjugendspielen eine gute Rolle spielen würde und der Sportvorstand mit fahler Miene und kaltschweißigen Händen noch am 30. August davon redet, man werde sich sicher nicht treiben lassen, setzt die Konkurrenz ein Zeichen nach dem nächsten und rüstet ordentlich auf. Aber dann kommt sie endlich, die Nachricht vom Neuzugang. Der dann in allen Belangen ein einziger, fauler Kompromiss ist. Weniger gut als der Spieler, den man eigentlich wollte, dafür älter und satter, als Faulpelz und/oder Stinkstiefel verschrien, und dass der Medizincheck so schnell gehen musste, ist einzig für das Sprunggelenk des Paniktransfers ein Segen, das schon bei kürzeren Strecken auf dem Ergometer auf die Größe einer Honigmelone anwächst. Dass die Stammposition des Krachers eigentlich überbesetzt ist, kontert der fahle, kaltschweißige Sportvorstand klassisch per Gegenfrage. Denn wer sagt denn, dass man einen 31-jährigen Linksverteidiger nicht noch zum Stürmer umfunktioniert bekommt? Oder zum Sechser? Oder zum Rechtsaußen? Aber da hast du den Livestream der Pressekonferenz schon längst ausgeschaltet, um dich sinnvolleren Dingen zu widmen. Desillusioniert ins Leere starren etwa.
Dieser Text erschien erstmals im Juli des vergangenen Jahres.