Pierre-Michel Lasogga wird heute 30 Jahre alt. Vor einiger Zeit sprachen wir ausführlich mit ihm über das Leben als echte Neun, das Verhältnis zu seiner Mutter und warum es okay ist, vor der gegnerischen Bank zu jubeln.
Der bisherige Höhepunkt Ihrer Karriere war das Tor beim 1:1 im zweiten Relegationsspiel gegen Fürth im Mai 2014. Wie haben Sie dieses Spiel erlebt?
Wir haben damals acht Spiele nicht gewonnen. Auch das Hinspiel gegen Fürth zu Hause endete nur 0:0. Das war grausamer Fußball, ganz schlimm. Und dann fährst du auf der letzten Felge nach Fürth und weißt, dass der HSV erstmals absteigen kann. Die Anspannung im Mannschaftshotel war enorm, das hat man in jedem Raum gespürt. Ich habe das jetzt schon zwei Mal erlebt. Das reicht für den Rest meiner Karriere.
Erzählen Sie von Ihrem Tor.
In der 14. Minute kam die Ecke, ich ging mit dem Kopf hin, und der Ball war drin. Der 40-Kilo-Rucksack auf meinen Schultern fiel plötzlich ab. Die Freude war einfach grenzenlos.
So grenzenlos, dass Sie nach dem Abpfiff vor der Fürther Ersatzbank feierten.
Mein Gott, das gehört doch zum Fußball dazu! Ich hatte ja auch Beleidigungen vom Gegner hinnehmen müssen, die wollen Sie gar nicht kennen. Außerdem hier mal ’ne Sense von hinten und da mal ’n Pferdekuss. Dass ich da mal überreagiert habe, ist doch irgendwie nachvollziehbar, oder? Hinterher haben wir uns kurz ausgesprochen, Shakehands – und fertig. Ich würde es immer wieder so machen.
Werden Sie oft beleidigt?
Das gehört doch dazu. Letzte Woche gegen Darmstadt haben Aytac Sulu und ich einander 90 Minuten lang nichts geschenkt. Hinterher haben wir uns umarmt und gesagt: „War geil!“ Man darf nicht nachtragend sein im Fußball.
Offenbar läuft es jetzt besser beim HSV als in den letzten beiden Spielzeiten. Warum?
Also, zwei Mal Relegation reicht wirklich, das konnte ja nur besser werden! Unter Bruno Labbadia hat sich vieles zum Positiven entwickelt, weil er in der Vorbereitung Zeit hatte, uns richtig gut einzustellen. Es ist zwar noch nicht alles Gold, was glänzt, aber es ist einfach ein gutes Gefühl, für uns auch für die Fans, dass wir eigentlich jeden schlagen können, wenn wir gut drauf sind, mit Ausnahme der Bayern vielleicht. Und wenn wir tatsächlich gewinnen, dann fahren wir im Bus nach Hause und lachen endlich mal wieder, statt fünf Stunden im Dunkeln zu sitzen und zu grübeln.
Ist die Stimmung in der Truppe besser als in den Jahren zuvor?
Klar, man ist immer besser gelaunt, wenn man erfolgreich ist. Aber die Stimmung war auch damals nie so schlecht, wie oft behauptet wurde. Wir kamen alle gut miteinander klar, es gab keine Stinkstiefel. Aber diese gute Stimmung haben wir nicht auf den Platz übertragen.
Ist es gut für die Stimmung, dass Rafael van der Vaart den HSV verlassen hat?
Da gibt es keinen Zusammenhang. Rafa war ja auch kein Stinkstiefel.
Aber vielleicht ein Störfaktor durch seine Aktivitäten auf dem Boulevard.
Das hat die Mannschaft nie interessiert. Für mich persönlich war es eine große Ehre, mit ihm spielen zu dürfen. Er hat mir viel beigebracht, die richtigen Laufwege zum Beispiel. Ich finde es schade, dass er weg ist.
Bruno Labbadia war früher selbst mal Stürmer. Ein Vorteil für Sie?
Klar. Er weiß, wie es ist, wenn man auf Bälle wartet, fordert die Außenspieler öfter mal auf, mich zu versorgen. Auch insgesamt hat er endlich wieder eine klare Struktur in den Laden gebracht. Ich bin froh, dass wir ihn haben.
Warum hat sein Vorgänger Joe Zinnbauer keine klare Struktur in den Laden gebracht?
Wir sind gut gestartet, dann haben wir leider irgendwie den Faden verloren. Aber Joe war nicht verkehrt.
Welche Ziele haben Sie mit dem HSV?
Die Meisterschaft dürfte an den FC Bayern gehen. Wir wollen uns in der oberen Tabellenhälfte etablieren – und nach einer sehr schwierigen Zeit, in der der Verein Schaden erlitten hat, den Fans endlich wieder Freude bereiten.
Welche Ziele haben Sie für Ihre Karriere?
Tore schießen, Vorlagen geben, der Mannschaft helfen. Das war’s schon.
Auch in der Nationalmannschaft?
Natürlich! Seit ich klein bin, träume ich davon. Ich kann mich nur aufdrängen, einladen muss mich aber natürlich der Bundestrainer.
Joachim Löw ist nicht als Fan des klassischen Mittelstürmers bekannt.
Die Diskussion über die falsche Neun wird schon lange geführt. Aber es schadet nie, eine echte Neun im Kader zu haben – und sie bringen zu können, wenn es drauf ankommt. So viele Typen von meiner Art gibt es in Deutschland nicht mehr. Deswegen können wir froh sein, dass…
… es Sie gibt?
So drastisch wollte ich es jetzt nicht sagen. Bin ja bescheiden. (Lacht.)
Haben Sie einen Karriereplan?
Nein, ich genieße den Augenblick. Ich bin jeden Tag froh, dass ich Fußball spielen kann.
Was sagt Ihre Beraterin dazu?
Die ist glücklich, wenn ich glücklich bin. Um das abschließend noch mal zu sagen: Es ist bei uns zu Hause gar nicht so schlimm, wie immer geschrieben wird. (Lacht.)