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Seite 2: Seine ersten Fußballtrainer waren Priester

Als Meroni zwei Jahre später, mitt­ler­weile ein Star in der Liga, in die erste Mann­schaft geholt wurde, wie­der­holte Topo­lino“ seine For­de­rung. Doch diesmal blieb Meroni hart. Er wusste, dass Fabbri nicht an ihm vorbei kam. Und er wusste, dass es nicht um den Haar­schnitt ging. Die Frisur war nur ein Symbol für einen freien Lebens­stil, und dieses Symbol galt es zu ver­tei­digen. Ich spiele nicht mit den Haaren“, ver­kün­dete Meroni, es blieb also alles dran. Fabbri rächte sich, wie ita­lie­ni­sche Trainer sich zu rächen pflegen – er stellte den Trotz­kopf nur dann auf, wenn es gar nicht mehr anders ging. Und er rückte ihn ins Kreuz­feuer der Kritik. Jahre später sollte dem genialen Roberto Baggio ähn­li­ches wider­fahren, als er im Finale gegen Bra­si­lien 1994 einen ent­schei­denden Elf­meter hoch übers Tor in die Tri­büne zog. Baggio trug einen Nacken­zopf, er war Bud­dhist, er lebte und spielte wie er wollte. Für die Natio­nal­trainer Arrigo Sacchi und Gio­vanni Tra­pat­toni machte ihn das zum Pro­blem­fall. Die Leute aber ver­ehrten ihn als Raf­fael des Fuß­balls.“

Wer in wilder Ehe lebte, war unfähig, das Vater­land zu ver­tei­digen

Ita­liener lieben große Indi­vi­dua­listen, was sie aber nicht davon abhält, einem gna­den­losen Kon­for­mismus zu frönen. Im Fuß­ball wie im rich­tigen Leben. Als die Azzurri bei der WM 1966 in Eng­land sen­sa­tio­nell mit einer Nie­der­lage gegen die Lum­pen­ki­cker aus Nord­korea aus­schieden, wurde der ver­rückte Gigi Meroni von den Medien als Sün­den­bock aus­ge­macht. Dabei hatte er, wie so oft, das Spiel gegen die Koreaner nur von der Bank aus gesehen. Gerade weil es Topo­linos“ Natio­nal­mann­schaft an Fan­tasie und Spiel­freude man­gelte, schei­terte sie kläg­lich. Und für das Schei­tern wurde der Fan­ta­sie­vogel Meroni ver­ant­wort­lich gemacht. Wer in wilder Ehe lebte, war unfähig, das Vater­land zu ver­tei­digen.

Im Sommer 2014 stellte die große linke Tages­zei­tung La Repubblica“ dem Spieler Daniele De Rossi in einem Inter­view fol­gende Frage: Zum ersten Mal fährt die Natio­nal­mann­schaft mit zwei Spie­lern, die in Schei­dung leben und einem bereits Geschie­denen zur WM. Was bedeutet das?“ De Rossi, der Geschie­dene, ant­wor­tete: Das bedeutet, dass Gigi Buffon, Andrea Pirlo und ich ein schönes Trio bilden.“ In die Welt­meis­terelf von 1982, so sin­nierte der Welt­meister von 2006 weiter, wäre ein Geschie­dener wohl gar nicht erst berufen worden. Weil das als unan­ständig galt. Aber die Zeiten ändern sich.“ Wie sehr, das zeigt die Tat­sache, dass der frü­here Natio­nal­trainer Cesare Pran­delli in Kam­pa­gnen gegen die Gewalt an Frauen auf­trat und das Vor­wort zur Auto­bio­grafie eines Homo­se­xu­ellen-Akti­visten schrieb. Mit Pran­delli hatte die Squadra Azzurra plötz­lich eine gesell­schaft­liche Vor­rei­ter­rolle über­nommen, die Natio­nal­mann­schaft enga­gierte sich gegen die Mafia und gegen Ras­sismus. Wäh­rend der Rest Ita­liens nach 20 Jahren Ber­lus­co­nismus noch nicht ganz so weit war.

OFS Luigi Meroni 1966 01 1
Off­side – Archivi Fara­bola

Die Arme von Daniele De Rossi sind voller Täto­wie­rungen. Vielen Profis kann die Haut nicht ver­ziert und die Frisur nicht ver­rückt genug sein, sie werden von ihren Spon­soren mit far­ben­frohen Stol­len­schuhen aus­ge­stattet und haben auch in der Frei­zeit einen Hang zu aus­ge­fal­lener Klei­dung. Meroni machte schon Schlag­zeilen, weil er seine Strümpfe stets auf­ge­rollt trug, das galt als Marotte, als mani­fes­tierter Eigen­sinn. Dabei fand er’s so nur bequemer.

Meroni, der Mode-Con­nais­seur

Mit Mode kannte Gigi Meroni sich aus, seine früh ver­wit­wete Mutter schnitt in Heim­ar­beit Stoffe für Kra­watten zu und als Gigi mit 15 die Schule ver­ließ, ver­diente er sein Geld mit dem Ent­wurf von Stoff­mus­tern. Skiz­zierer“ nannte man diesen Job, der Begriff Desi­gner“ war noch nicht erfunden. Como, wo Gigi Meroni als mitt­leres von drei Kin­dern am 24. Februar 1943 geboren wurde, war ein Zen­trum der ita­lie­ni­schen Tex­til­in­dus­trie. Der Rebell des Calcio wuchs in sehr kleinen Ver­hält­nissen auf, nicht in den bro­delnden Vor­städten einer Metro­pole, son­dern in einem beschau­li­chen Städt­chen inmitten einer sehr pro­peren Land­schaft mit stillen Seen und male­risch bewal­deten Bergen, ganz nah an der noch auf­ge­räum­teren Schweiz.

Die ersten Fuß­ball­trainer des kleinen Gigi waren Priester, sie ent­deckten sein Talent in der Kir­chen­mann­schaft Libertas San Bar­to­lomeo, und sie bestärkten ihn in seinem Wunsch nach einer Pro­fi­kar­riere. Mit 17 heu­erte Meroni beim Zweit­li­gisten Como Calcio an, zwei Jahre später kam er zum Erst­li­gisten Genua. Als er 21 war, bot Torino für ihn die damals schwin­del­erre­gende Summe von 300 Mil­lionen Lire. Und Meroni fand seine Heimat: den Toro, den tra­gischsten und exzen­trischsten Klub des ita­lie­ni­schen Fuß­balls.

Fünf­zehn Jahre waren ver­gangen, seit im Mai 1949 im Nebel über Turin ein Flug­zeug mit der legen­dären Mann­schaft des Grande Torino an der Basi­lika von Superga zer­schellt war. Kein Spieler über­lebte das Unglück, bei dem übri­gens ein gewisser Pier­luigi Meroni die tra­gi­sche Haupt­rolle spielte – als Pilot. Zum Zeit­punkt der Kata­strophe stellte der Toro einen Groß­teil der Natio­nal­mann­schaft, er stand kurz vor dem Gewinn seines fünften Meis­ter­ti­tels in Folge. Nach der Tra­gödie von Superga aber konnte der Klub nicht an die alten Erfolge anknüpfen.

Er malte in leuch­tenden Farben

Doch 1964 sollte es end­lich wieder auf­wärts gehen, mit dem Erfolgs­trainer Nereo Rocco – und mit dem auf­stre­benden Talent Gigi Meroni. Rocco, der gestrenge Paròn (Chef) war eigent­lich ein Anhänger des Caten­accio. Doch er bewun­derte Meronis Talent, er ließ den Schmet­ter­ling fliegen. Dass sein Lieb­lings­spieler mit einer ver­hei­ra­teten Frau in einer bohè­me­haften Alt­bau­woh­nung lebte und in seiner Frei­zeit als Künstler dilet­tierte, störte den Paròn wenig. Bei ihm stand Meroni immer pünkt­lich auf dem Platz, er rauchte nicht und trank grund­sätz­lich keinen Alkohol. Ita­liens Fuß­ball­beatnik ver­ab­scheute Drogen und liebte die Kunst. Er malte in leuch­tenden Farben – Blu­men­bilder, exo­ti­sche Szenen, ein Selbst­por­trät als Hidalgo“, spa­ni­scher Ritter.

Ganze Nächte ver­brachte er an der Staf­felei, aber alle Ein­la­dungen für eine Aus­stel­lung lehnte Meroni ab, die Leute kämen ja nur, um die Bilder des Fuß­bal­lers zu sehen“. Er aber wollte als Künstler wahr­ge­nommen werden, irgend­wann. Einst­weilen bekam die Welt seine selbst ent­wor­fenen Anzüge zu sehen, die er bei einem soliden Turiner Her­ren­schneider nähen ließ. Ich bin ja von Haus aus Zeichner“, pflegte Meroni zu sagen, aber Fuß­baller bin ich lieber.“