Türkgücü München zieht sich aus der 3. Liga zurück. Brisant ist die Situation allerdings nicht nur für den früheren Investorenklub. Denn im schlimmsten Fall entscheidet die Pleite über Auf- und Abstieg in der 3. Liga.
Du kannst dich als Fußballtrainer verwirklichen, du hast eine Bühne, das ist geil, du bist in, du bist sexy.“ Peter Hyballa ist ein Fußballtrainer, der mit seinen speziellen Ansichten nicht hinter dem Berg hält. Das gilt besonders, wenn er über sich selbst spricht. Im September letzten Jahres übernahm Hyballa bei Drittligist Türkgücü München. „Der Klub ist eigenartig und ich bin eigenartig“, sagte er im Gespräch mit 11FREUNDE kurz darauf. Sollte heißen: das passt. Doch es passte nicht. Hyballa hielt sich bis November im Amt, dann musste er als fünfter Türkgücü-Trainer seit dem Drittliga-Aufstieg im Sommer 2020 gehen.
Vielleicht hatte sich Investor Hasan Kivran vor der Verpflichtung des exzentrischen Trainers gedacht: Ein letztes, dafür radikales Experiment noch, um die 2. Bundesliga zu erreichen. Denn als Hyballa wieder weg war, dauerte es keine zwei Monate mehr, ehe Kivran seinem Klub die finanzielle Unterstützung entzog. Für Türkgücü nicht weniger als das Todesurteil. Logische Folge war die Insolvenz der Profiabteilung. Seit Donnerstag steht fest: Der Münchner Klub zieht sich mit sofortiger Wirkung aus dem Drittliga-Spielbetrieb zurück.
Nun ist es jedoch so, dass die Pleite eines Profiklubs stets einen ganzen Rattenschwanz an Unsicherheiten nach sich zieht. Sie kann letztlich entscheidenden Einfluss auf das Auf- und Abstiegsrennen in der 3. Liga haben. Die Konkurrenz geht inzwischen längst auf die Barrikaden, Saarbrückens Präsident und Geldgeber Hartmut Ostermann schien kurz sogar darüber nachzudenken, den eigenen Geldbeutel für Türkgücü zu öffnen, um ein reguläres Saisonende zu garantieren. Fragt sich also, was da wieder los ist in der 3. Liga. Noch spannender aber: Wer muss die Suppe am Ende auslöffeln?
Von außen betrachtet war es ein interessantes Vorhaben, das dort 2016 in der Landesliga seinen Anfang nahm. Die Idee, einen vorrangig von Migranten geprägten Verein im deutschen Profifußball zu etablieren, erschien zeitgemäß, vielleicht sogar überfällig. Die überschaubare Historie des auserwählten Klubs? Aus der Sicht alteingesessener Vereine vielleicht ein Argument gegen das Projekt Türkgücü. Doch können Millionen türkischstämmiger Deutscher, die den Profifußball seit Jahrzehnten mitprägen, eben genauso auf eine bewegte Geschichte verweisen. So oder so: Unternehmer Hasan Kivran schaffte die finanzielle Grundlage für den Aufschwung.
Ein Problem gab es dann aber doch – und zwar schon zu Beginn von Kivrans Engagement. Das viele Geld wurde nicht ausgewogen investiert. Nicht einmal mit vernünftigen Trainingsplätzen, geschweige denn einem eigenen Stadion konnte und kann Türkgücü aufwarten. Stattdessen: Holzcontainer als Geschäftsstellenersatz. Die großen Summen flossen ausschließlich in die Profimannschaft. Namhafte Spieler wechselten nach München, ein Aufstieg folgte auf den anderen. 2020 war das Ziel erreicht: Profifußball. So schien es jedenfalls.
Kivran aber sah auch in der 3. Liga nur eine Durchgangsstation, seine Millionen sollten den Klub schnellstmöglich in noch höhere Sphären hieven. Also wurde die Aufstiegsmannschaft beinahe komplett ausgetauscht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt weckte der Verein auch bei der Konkurrenz großen Argwohn. Der Vorwurf: Das Geschäftsgebaren Kivrans treibe die Preise auf dem Transfermarkt unnatürlich in die Höhe, zum Scheitern sei das Vorhaben der Münchner ohnehin verurteilt. Tatsächlich ging es nicht weiter, wie von Kivran und seinem Geschäftsführer Max Kothny geplant. Türkgücü dümpelte zumeist im Mittelfeld der Tabelle herum, landete am Ende der vergangenen Spielzeit auf dem 13. Platz. Was für andere Aufsteiger ein Erfolg gewesen wäre, sorgte beim großen Boss für Unmut. Schon im Laufe der Saison ließ Kivran durchblicken, sein Engagement beenden zu wollen. Über der Bezirkssportanlage Perlach-Nord, wo Türkgücü ein rudimentäres Trainingszentrum installiert hatte, zogen dunkle Wolken auf.
Heute sehen sich die Bosse anderer Drittligisten bestätigt. „Türkgücü hat seine Hausaufgaben nicht gemacht“, sagte etwa Ralf Minge, Sportdirektor beim Halleschen FC, am Samstag bei „Magenta Sport“. Dass Türkgücü die Hausaufgaben im seit Ende Januar laufenden Insolvenzverfahren vernachlässigen könnte, musste allerdings befürchtet werden. Immerhin hatten sich die Münchner stets durch ein äußerst unkonventionelles, wenn nicht vogelwildes Wirtschaften ausgezeichnet.
Und so richtete sich Minges Kritik nach dem Auswärtsspiel beim 1. FC Saarbrücken auch an den DFB. „Offenbar sind sie nicht so streng kontrolliert worden“, sagte der frühere Dresdner und meinte das Lizenzierungsverfahren bei Türkgücü vor der Saison. Noch deutlicher hatte sich zuvor schon Saarbrückens Vereinssprecher Peter Müller geäußert: „Wir setzen sehr darauf, dass der DFB Verantwortung übernimmt und moderiert.“ Es sei nicht weniger als die „verdammte Pflicht“ des Dachverbandes, für ein reguläres Saisonende zu sorgen.
Gerade in den Aussagen Müllers schwingt die Dramatik der Situation mit. Denn die Konkurrenz sorgt sich freilich nicht um das Wohlergehen Türkgücüs. Es geht um eigene Interessen. Der Crash des Vereins bedeutet die Annullierung aller Spiele mit Beteiligung Türkgücüs. Der Tabellendritte aus Saarbrücken hat plötzlich sechs Zähler weniger auf dem Konto, andere Klubs hingegen profitieren. Einer davon: Saarbrückens Aufstiegskonkurrent 1860 München, der aus den Partien gegen den Lokalrivalen nur einen Punkt geholt hat.
All das klingt nach schlechter Comedy, ist aber die wiederkehrende Realität in der 3. Liga. Erst in der letzten Spielzeit war es zu einem ähnlichen Fall gekommen. Der KFC Uerdingen verlor erst seinen Investor, meldete dann die Pleite. Immerhin konnte die Saison regulär beendet werden.
Betroffen von der Pleite ist natürlich nicht nur die Ligakonkurrenz, sondern in erster Linie Türkgücüs Angestellte. Sie stehen vor einer ungewissen Zukunft. Umso erstaunlicher, was die Spieler zuletzt auf den Rasen gebracht haben. Von den vergangenen drei Spielen gewann Türkgücü zwei – darunter ein 2:1 beim unangefochtenen Tabellenführer aus Magdeburg. Am Wochenende setzte es dann wieder eine Pleite: 0:1 in Wiesbaden. Im Nachgang sollte dieses Spiel also ein leiser Abgesang sein.
„Eine weitere Aufrechterhaltung des Spielbetriebs wäre nur durch Bereitstellung neuen Kapitals von dritter Seite möglich gewesen“, sagte Geschäftsführer Max Kothny, nachdem der eingesetzte Insolvenzverwalter Max Liebig dem Verein am Donnerstag den entscheidenden Besuch abgestattet hatte. „Trotz intensiver Bemühungen in den vergangenen Wochen konnte leider kein neuer Investor gefunden werden.“ Türkgücü has fallen.