96 Fußballfans sterben am 15. April 1989 im Stadion von Sheffield. Erst 27 Jahre später erfahren die Toten von Hillsborough Gerechtigkeit. Ein Überlebender erzählt.
In den ersten sechs Wochen plagen auch mich Schuldgefühle, davongekommen zu sein. Warum habe ich überlebt, wo so viele andere gestorben sind? Ich rede mir ein, dass ich es nicht verdiene weiterzuleben, denn ich habe mir dieses Recht nicht erworben: Es war reines Glück, somit habe ich es nicht verdient. Also fange ich an, mich selbst zu hassen und möchte nicht mehr leben. Aber ich muss weitermachen, denn von nun an muss mein Leben einen Sinn haben. Ich bin verschont worden, und wenn ich auch nur einen einzigen Tag verschwende, hintergehe ich diejenigen, die gestorben sind.
Ich weiß, dass ich keinen Fußball mehr will. Das FA-Cup-Finale ’89 nehme ich kaum wahr: Liverpool schlägt Everton, und gedankenlose Kommentatoren reden über einen Blechkübel, der in die Höhe gereckt wird, als wäre das eine angemessene Ehrenbezeugung für die Toten.
Dann wendet sich die Polizei an mich, um meine Aussage aufzunehmen. Nachdem die Medien die Liverpool-Fans monatelang durch den Dreck gezogen haben, komme ich endlich dazu, meine Wahrheit zu erzählen.
Wer irrt sich? Und wer will sich irren?
Im Juli 1989 suchen mich zwei Beamte in Zivil bei mir zu Hause in Stevenage auf. Es ist ein Sonntag, gegen zwei Uhr am Nachmittag und im Fernsehen läuft Golf. Ich beginne zu erzählen, was geschehen ist, und sie fangen an, mich auszulachen. Bald darauf schnauben sie, gähnen und wenden sich ab, um Golf zu schauen. Sie nicken sarkastisch, als ich ihnen von den Versäumnissen der Polizei erzähle und wie sie uns malträtierten, als wir versuchten, die Sterbenden zu retten.
Dann reichen sie mir meine Aussage, die sie während der Befragung mitgeschrieben haben. „Würden Sie das bitte durchlesen und unterschreiben?“ Aber sie haben die Bedeutung bestimmter Vorkommnisse verändert und wichtige Details ausgelassen. „Was denn zum Beispiel?“, will der Beamte wissen. Nun ja, antworte ich, dies ist passiert und jenes ist passiert. Er schüttelt den Kopf. „Das ist nicht passiert“, sagt er.
Mehrfach teilen sie mir mit, dass ich mich irre; dass ich nichts Relevantes gesehen habe; dass es dort, wo ich gestanden hatte, nicht so schlimm gewesen sei und dass ich bei der bevorstehenden Untersuchung kein brauchbarer Zeuge sein werde. Meine Darstellung sei nicht überzeugend und werde am besten zu den Akten gelegt. „Wenn Sie also einfach die Aussage unterschreiben würden, verschwinden wir und Sie können wieder Ihrem Leben nachgehen.“
Das erste Urteil: Ein Unfall
Während ich zunehmend wütender werde, stellt der Beamte, der die Fernbedienung in den Händen hält, den Fernseher immer lauter. Ich muss schreien, um mir in meinem eigenen Wohnzimmer Gehör zu verschaffen, und sie versuchen, mich zu übertönen. Schließlich unterschreibe ich die Aussage und sie hauen ab.
Damals, im Sommer 1989, kann ich nicht ahnen, dass ich in einen der größten Vertuschungsversuche in der Geschichte der britischen Rechtsprechung verstrickt bin. Also schließe ich einfach die Tür, murmele, dass sie sich verpissen sollen, gehe in meine Schlafzimmer und breche zusammen. Aber in meinem Kopf haben sie einen schrecklichen, winzigen Samen des Zweifels gesät. Wo Sie waren, war es nicht so schlimm. Sie haben nichts gesehen. Ihre Erinnerung ist fehlerhaft. Sie sind gekommen, um meine Wahrheit zu stehlen. Schlimmer noch, sie haben angedeutet, dass ich fantasiere; dass ich überzogen reagiert habe. Ich bin zu empfindlich, denke ich; und außerdem weich in der Birne.
Die ersten Untersuchungen zu Hillsborough wurden im März 1991 abgeschlossen. Der Urteilsspruch: Ein Unfall, niemand trug die Verantwortung an der Katastrophe. Der kleine Samen des Zweifels schlug Wurzeln und wuchs und wuchs. Vielleicht hatte ich mich geirrt und hatte überreagiert. Aber das passte nicht zu meinen ständigen Albträumen und den Bergen an Leichen. Es war wie Bergen-Belsen. Wo Sie waren, war es nicht so schlimm.