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Seite 5: Sie nennen ihn den „Kinderfänger“

Ihr Platz­hirsch ist ein Mann mit blank­po­lierter Glatze, den alle als Roger kennen. Eigent­lich heißt er Ramazan Ülger, der gebür­tige Ber­liner hat es als Fuß­ball­spieler mal bis in die zweite tür­ki­sche Liga geschafft, seit über zehn Jahren arbeitet er als Scout im Jugend­fuß­ball, inzwi­schen fest ange­stellt bei Dr. Michael Becker. Der Anwalt aus Luxem­burg war als Berater mal eine große Nummer, ver­trat Michael Bal­lack und Bernd Schneider zu deren besten Zeiten. Dann quatschte er zu viel und zu laut über die angeb­liche Schwu­len­combo“ bei der deut­schen Natio­nal­mann­schaft und verlor seine Kli­enten. 

Dann geht der Irr­sinn richtig los.

Roger hat den heu­tigen Hof­fen­heimer Nadiem Amiri mit 15 Jahren bei Waldhof Mann­heim ent­deckt und den Stürmer Cem Dag, der im letzten Sommer von Union Berlin zu Borussia Mön­chen­glad­bach wech­selte – mit 14 Jahren. Einige Jugend­trainer nennen Roger abschätzig Kin­der­fänger“. Die Spiele um die Stadt­meis­ter­schaft ver­folgt er ziem­lich unauf­ge­regt, es gibt für ihn hier keine großen Über­ra­schungen. Die meisten Spieler kenne ich schon seit der E‑Jugend“, sagt er, seit sie zehn Jahre alt waren also. Er kon­trol­liert hier nur, wie die Spieler sich ent­wi­ckeln, und pflegt an diesem Sonntag sein Netz­werk. Viel­leicht hat einer der Jugend­trainer einen Tipp für ihn oder die Tele­fon­nummer der Eltern eines Spie­lers. 

Dass Roger inzwi­schen immer jün­geren Spie­lern nach­jagen muss, nimmt er ach­sel­zu­ckend: Man darf nicht schlafen auf dem Markt. Früher hat man die Spieler mit 17 gewonnen, heute geht das viel früher los.“ Rogers Ori­en­tie­rungs­punkt ist Bad Blan­ken­burg, wo der DFB jedes Jahr im Sommer ein bun­des­weites Sich­tungs­tur­nier aus­richtet, auch für die U15-Natio­nal­mann­schaft, das jüngste Aus­wahl­team. Wir ver­su­chen vorher dran zu sein, sonst ist es zu spät“, sagt Roger. In Bad Blan­ken­burg sichten auch die Berater, aber dann schaut nicht ein Dut­zend Kon­kur­renten zu wie in der Söm­me­ring­halle, son­dern über hun­dert. Dann geht der Irr­sinn richtig los.

Eltern bekommen Autos ange­boten

Über die Berater im Jugend­fuß­ball spre­chen fast alle ver­ächt­lich, viel­leicht auch, weil sie die Logik des Geschäfts unver­stellt reprä­sen­tieren: Ver­suche das Los in der Lot­terie zu kaufen, solange es noch erschwing­lich ist, und hoffe darauf, den Haupt­ge­winn zu ziehen! Ver­mut­lich bewun­dern nicht wenige von ihnen die Chuzpe, mit der Hue­merlehner einen Spieler bei Chelsea unter­ge­bracht hat. Dabei gibt es bis zum 18. Lebens­jahr eigent­lich nicht mal was zu ver­dienen, weil die Klubs nicht für Bera­tung bezahlen dürfen. Doch jeder NLZ-Leiter kennt die krea­tiven Vor­schläge von Agenten, ihre Arbeit als Hono­rare fürs Scou­ting zu dekla­rieren. Oder ein Berater hat auch einen voll­jäh­rigen Spieler bei dem Klub unter Ver­trag und hätte nichts dagegen, wenn das Honorar für den Min­der­jäh­rigen ein­fach auf das des Voll­jäh­rigen drauf­ge­schlagen würde. Merkt ja keiner.

Ralf Keitel hat nicht schlecht gestaunt, als er Geld ange­boten bekam, nur ein paar hun­dert Euro, aber immerhin: Ein Berater wollte mir Geld geben, damit er meinen Sohn beraten darf.“ Andere Eltern, so erzählt er, hätten schon Autos ange­boten bekommen. An sich ist Keitel auf die Spie­ler­agenten gar nicht schlecht zu spre­chen, obwohl er fast jedes Wochen­ende von ihnen ange­spro­chen wird, wenn er mit seiner Kamera bei den Spielen der A‑Jugend des SC Frei­burg foto­gra­fiert. Sein Sohn Yan­nick könnte schließ­lich ein Haupt­ge­winn werden. Er ist der ein­zige Spieler seiner Mann­schaft, der noch keinen Berater hat, obwohl er mit der deut­schen U17 bei der WM in Indien war. Beim SC Frei­burg sind sie über­zeugt, dass Yan­nick Keitel es in die Bun­des­liga schaffen wird.