Immer jüngere Talente, immer höhere Ablösen, immer mehr Berater: Die Jagd nach Talenten ist ein schmutziges Geschäft geworden. Immer mehr Verantwortliche schlagen Alarm.
Etliche Klubs beschweren sich hinter vorgehaltener Hand darüber, dass die Bayern heimlich ihre Talente umwerben. Auch Stefan Reuter, Manager des FC Augsburg, ärgert sich über seinen alten Verein. Mehr als ein Dutzend Spieler holten sich die Bayern aus den FCA-Jugendmannschaften. „Sie gehen auch an ganz junge Spieler, das ist ungut“, sagt Reuter. Die Einkaufspolitik der Bayern-Akademie löst in der Szene auch aus anderen Gründen viel Kopfschütteln aus. „Da fehlt der rote Faden völlig“, sagt ein Experte. Ob es ihn vielleicht doch gibt, war nicht zu klären. Ein versprochenes Interview sagte Bayerns neuer Nachwuchsboss Jochen Sauer, früher Geschäftsführer bei Red Bull Salzburg, kurzfristig ab. Die Presseabteilung, die es bei der Nachwuchsakademie auch gibt, teilte mit, der Klub stehe derzeit für eine Berichterstattung nicht zur Verfügung.
Illegal ist es nicht, was Klubs wie Bayern, Leipzig und andere machen. Es verwandelt Jugendfußball aber in Profifußball für Minderjährige. Auch in der Leverkusener A‑Jugend werden Spitzenspielern mittlere fünfstellige Gehälter bezahlt – im Monat versteht sich. Mittelfeldspieler Sam Schreck, früher mal beim FC St. Pauli, bekommt in Leverkusen angeblich 25 000 Euro im Monat. Julian Brandt soll als Jugendspieler 2014 sogar mit 100 000 Euro bezahlt worden sein. „Man muss den Spielern schon mit 16 Jahren vernünftiges Brot hinlegen“, sagt Jonas Boldt, der Manager von Bayer Leverkusen. Zumal die Klubs in der Not sind, die Verträge so stricken zu müssen, dass die Spieler mit 18 Jahren nicht einfach gehen und die Vereine für ihre Ausbildungsarbeit leer ausgehen. Um die Preise nicht noch weiter hochzutreiben, gibt es inzwischen direkte Absprachen zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern, sich keine Spieler abzuwerben. Kleinere Vereine schließt das nicht ein.
Einige Berater geben keine Spieler mehr zu RB Leipzig
Dennoch versuchen gerade die Pioniere der Jugendarbeit radikal, ihren Nachwuchs nicht der Profilogik auszusetzen. Der SC Freiburg zahlt auch heute keinem Spieler mehr als 250 Euro Aufwandsentschädigung im Monat. „Wir versuchen, die Spieler so lange es geht nicht mit dem Geld zu konfrontieren“, sagt Nachwuchschef Steiert. Schließlich gibt es sowieso kaum Gründe dafür, von einem Nachwuchsleistungszentrum zum anderen zu wechseln. Alle sind zertifiziert und viele davon mit drei Sternen, dem Höchstwert.
Mancher junge Kicker hat die Erfahrung gemacht, dass der Erfolgsdruck auf die Trainer bei den großen Klubs so groß ist, dass Spieler viel schneller ausgetauscht werden als anderswo. Aufgrund dieser Ungeduld geben einige Berater keine Spieler mehr zu RB Leipzig. Stefan Reuter glaubt, dass der FC Augsburg vom Heuern und Feuern in München profitiert: „Die vielen Spieler, die vom FC Bayern geholt und wieder weggeschickt wurden, spielen uns natürlich in die Karten.“ Bei ihrer bundesweiten Akquise per Schleppnetz und Scheck holen sich die großen Klubs offensichtlich Probleme ins Haus. „Oft genug sind für Wechsel die Eltern anfällig, die sich vom Geld blenden lassen – oder es sogar nötig haben“, sagt Jörg Jakobs, der bis Ende Januar die Nachwuchsarbeit beim 1. FC Köln verantwortete. Dabei seien Ortswechsel im Jugendalter sehr oft problematisch, meint Jakobs: „Selbst viele 16-Jährige haben richtig damit zu kämpfen, wenn sie von zu Hause weg sind“
Zum Talent eines Spielers gehört es auch zu lernen, den Druck auszuhalten, den ein Berufsfußballer hat. Aber ist es richtig, dass schon Zwölfjährige und ihre Eltern über den richtigen Berater nachdenken müssen? Damit wurde auch Dirk Hebel konfrontiert, als sein Sohn erstmals in der D‑Jugend der Kölner Kreisauswahl mitspielen durfte. Die besten Kicker der Stadt waren nicht mal komplett vertreten, denn Spieler aus dem Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Köln werden nicht in die Auswahl berufen, um anderen Talenten die Plätze nicht wegzunehmen. Doch im Laufe des Spiels gesellte sich ein Bekannter von Hebel zu ihm und fragte: „Bist du auch zum Scouten hier?“
„Ich war erstaunt, dass die so früh anfangen und so tief“
Das war ein so naheliegender wie zugleich völlig abseitiger Gedanke. Hebel ist Mitbesitzer einer der größten Spielerberatungsagenturen in Deutschland. SportsTotal betreut unter anderem Toni Kroos, Marco Reus oder Julian Weigl und hat ein repräsentatives Büro mit Blick auf den Rhein. „Ich war erstaunt, dass die so früh anfangen und so tief“, sagt Hebel und schüttelt den Kopf. Seine Agentur nimmt bis auf wenige Ausnahmen Spieler erst mit 17 Jahren auf, es wurde sogar ein Mitarbeiter entlassen, der wiederholt jüngere Spieler kontaktierte. Erst wenn Verträge über den Nachwuchsbereich hinaus gemacht würden, bedürfe es professioneller Hilfe. „Bis dahin können die Eltern das gut selbst machen,“ findet Hebel. Viele hundert Kollegen von Hebel ohne ähnlich erlesenes Klientel sehen das jedoch anders.
Ortstermin in der Sömmeringhalle in Berlin-Charlottenburg. Mit glühendem Eifer kicken hier die besseren D‑Jugend-Teams um die Berliner Stadtmeisterschaften. Es gibt kaum Fouls, keine Partie gerät aus den Fugen, und die Eltern auf den Rängen begleiten die Spiele begeistert. Und natürlich drängt sich die Frage auf: Welche der besten zwölfjährigen Fußballspieler der größten Stadt Deutschlands werden in sechs oder sieben Jahren mal in der Bundesliga spielen? Auf den Holzbänken sitzen Beobachter, die sich diese Frage professionell stellen. Mit Sicherheitsabstand über die Ränge verteilt, schauen Scouts von RB Leipzig, Werder Bremen und Hannover 96 zu. Dazu kommt noch ein gutes Dutzend Spielerberater oder deren Scouts.