Dietmar Hamann, Sie haben die Champions League und den UEFA Cup gewonnen, wurden Vize-Weltmeister. Heute sind beim englischen Drittligisten Milton Keynes angestellt, der einst als der meistgehasste Klub Englands verschrien war. Da drängt sich die Frage auf: Wie sind Sie nur hier hergekommen?
Ich kannte Chefcoach Karl Robinson bereits von der Liverpool-Academy, wo er vor Jahren als Trainer gearbeitet hat. Im Sommer hat er dann den Job bei Milton Keynes übernommen. Über einen gemeinsamen Freund kam dann der Kontakt zustande. Er hatte hier eine ziemlich junge Mannschaft und brauchte Jemanden mit Erfahrung, der im Mittelfeld für Ordnung sorgen kann. Hier habe ich die Möglichkeit, noch ein Jahr lang zu spielen und gleichzeitig meinen Trainerschein zu machen. Außerdem gibt Karl mir die Chance, selbständig einige Einheiten zu leiten.
Was sind Sie denn nun: Spieler? Spielertrainer? Co-Trainer?
Ein Mittelding. Für mich war es wichtig, die tägliche Arbeit in einem Trainerstab kennen zu lernen. Wenn man mich nur als Spieler gewollt hätte, wäre ich nicht zu Milton Keynes gekommen. Wir haben einen sehr erfahrenen Trainerstab: John Gorman war lange Zeit zweiter Mann von Glenn Hoddle bei der englischen Nationalmannschaft, Alex Tray war selbst Manager in Schottland. Ich kann jeden Tag sehr viel lernen und bin sogar dabei, wenn es um Transferaktivitäten geht.
Für Sie muss es ein mittelschwerer Kulturschock sein, plötzlich in der dritten Liga zu arbeiten.
Wir haben mit Luke Chadwick sogar einen Spieler, der mal bei Manchester United war. Doch der Unterschied ist nicht so groß wie man glaubt. Man muss sich natürlich frei machen, von dem, was man vorher gemacht und erlebt hat. Das hier ist ein komplett neues Niveau. Ich denke, dass viele Ex-Spieler Probleme hätten, sich an diese Gegebenheiten anzupassen. Ich kann das. Und außerdem: Viele junge Trainer sammeln ihre ersten Erfahrungen in unteren Ligen. Ich sehe das als Chance, talentierte Spieler und andere Mannschaften kennenzulernen.
Momentan stehen Sie noch bei jedem Ligaspiel selbst auf dem Feld. Wann wollen Sie die Schuhe endgültig an den Nagel hängen?
Im Moment macht es mir einfach noch Spaß. Wir haben eine gute, junge Mannschaft und spielen ordentlichen Fussball. Ich werde schauen, wie es läuft. Aber wahrscheinlich wird das mein letztes Jahr als aktiver Spieler sein. Ich will früher oder später nur noch als Trainer arbeiten.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Chefcoach Karl Robinson konkret aus. Wie leiten Sie zusammen die Einheiten?
Da ich bisher fast alle Spiele gemacht habe, hat sich meine Arbeit hauptsächlich auf das Spielen beschränkt. Ich muss natürlich gucken, dass ich fit genug bin, um mitzuhalten. Das hat Priorität. Aber Karl und ich sprechen jeden Morgen vorab über das anstehende Training. Und wenn ich einen Vorschlag habe, schalte ich mich halt ein.
Robinson ist gerade einmal 30 Jahre alt und damit der jüngste Trainer im englischen Fußball. Hat er keine Sorgen, dass ihre Erfolge, ihre ganze Vita seine Autorität gefährden könnten.
Er hat kein Problem damit, sonst hätte er mich bestimmt nicht geholt. Ich sehe das als Zeichen seiner Stärke. Karl ist für sein Alter sehr erfahren. Er war beim FC Everton selbst auf den Sprung zu den Profis, doch eine Verletzung beendete seine Spielerkarriere frühzeitig. Deswegen trainierte er schon mit 21 Jahren den Nachwuchs des FC Liverpool. Dann wurde er hier Assistenztrainer und ging zeitweise zu Blackburn. Man merkt, dass er den Job schon seit sieben, acht Jahren macht. Das Alter spielt zwischen uns keine Rolle.
Bei den Milton Keynes Dons scheint man jungen Trainer zu vertrauen. Auch Paul Ince machte hier seine ersten Gehversuche als Übungsleiter.
Egal, was die Leute sagen: Milton Keynes ist ein toller Verein mit viel Potential. Ich habe mich lange mit unserem Chairman Pete Winkelmann unterhalten. Er hat eine Vision und will früher oder später mit dem Klub in der Premier League spielen. Mit Paul Ince und Roberto die Matteo hatte man hier bereits zwei Trainer, die später in der Premier League gearbeitet haben. Ich habe großen Respekt davor, dass Sie nun wieder einem jungen Mann wie Karl die Chance geben, sich zu entwickeln.
Sie sagten einmal, dass es ihr Traum sei, eines Tages den FC Liverpool zu trainieren. Wie realistisch ist es, dass Sie eines Tages bei einem Spitzenklub landen werden?
Ich habe mich in den letzten Jahren in der Kabine immer wieder gefragt: „Was würde ich tun, wenn ich jetzt in der Verantwortung wäre?“ Ich habe schon als Spieler immer versucht, anderen Spielern zu helfen. Daher ist die Arbeit als Trainer nur die logische Weiterführung meines Weges. Ich sehe frühere Kollegen, die schnell bei großen Klubs gelandet sind. Markus Babbel hat zum Beispiel einen großen Job in Berlin. Warum sollte das nicht eines Tages auch bei mir klappen? Doch wenn ich mit anderen Kollegen spreche, stelle ich auch eine Sache mit Besorgnis fest: Viele vergleichen die Arbeit als Trainer mit einer Droge, einer Sucht.
Fürchten Sie nicht, dass auch Sie irgendwann süchtig werden?
Ich spürte als Aktiver jeden Tag 100 Prozent Leidenschaft für das, was ich getan habe. Jeden Tag in den letzten 20 oder 30 Jahren habe ich für den Fußball gelebt. Als Trainer hat man zudem eine Riesenverantwortung: eine Mannschaft zu gestalten, den Kader zusammen zu stellen, junge Spieler zu verbessern. Jeden Tag aufs Neue seine Mannschaft erreichen. Das ist etwas, das ich schon als Spieler gerne machen wollte. Deswegen will ich auch als Trainer irgendwann zeigen, was ich kann.
Gab es in Ihrer Karriere eigentlich ein Schlüsselerlebnis, in dem Sie merkten: „Eines Tages will ich mich um die Entwicklung junger Spieler kümmern“?
Ich kam mit 17 zum FC Bayern. Im zweiten Jahr habe ich bereits angefangen einmal wöchentlich bei den Profis mit zu trainieren. Ich war damals körperlich noch nicht „fertig“, weil ich gerade einen ziemlichen Schuss gemacht hatte. Ich fühlte mich beim Training ziemlich eingeschüchtert und hatte das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Mir hat damals niemand geholfen. Das war was für mich eine Situation, in der ich mir geschworen habe: „Egal, wo ich eines Tages lande, wenn junge Spieler hochkommen, will ich ihnen zeigen, dass sie zur Mannschaft gehören.“
Das Stahlbad Bayern München hat Sie also nachhaltig geformt.
Wenn jemand eingeschüchtert ist, kann er nicht die Leistung abrufen, zu der er eigentlich in der Lage wäre. Damit ist doch keinem geholfen. Weder dem Verein noch der Mannschaft. Doch als Profi will man eben immer spielen. Vielleicht hatten einige Angst, dass ihr Platz gefährdet sei und übten deshalb Druck auf die jungen Spieler aus. Aber Erfolg hat man nur mit der ganzen Mannschaft. Es geht um alle und nicht nur die elf oder 13 Leute, die spielen.
Eine derart soziale Ader ist im Fußball nicht gerade weit verbreitet. Woher kommt das bei Ihnen?
Das habe ich in meiner Familie gelernt. Mein Vater hat mich viele Jahre in der Jugend von Wacker München trainiert. Und bei ihm stand die Mannschaft immer über dem Einzelnen. Ich kann mich noch genau an ein Hallenturnier erinnern: Mein Mitspieler hat einen Ball nicht auf den besser postierten Mitspieler gepasst, sondern das Dribbling gesucht und den Ball verloren. Mein Vater hat ihn sofort runtergenommen und ihm erklärt, dass das falsch war. Da waren wir in der E‑Jugend. So etwas prägt natürlich.
Es gibt die Geschichte mit dem jungen Steven Gerard, der seine ersten Länderspiele für England bei der EM 2000 gemacht hat. Im Gruppenspiel kam es zum Duell zwischen Deutschland gegen England. Wissen Sie worauf wir hinaus wollen?
Ich kannte Steven, weil wir beim FC Liverpool jeden Tag zusammen auf dem Trainingsplatz waren. Ich wusste, zu was er in der Lage war. Aber in diesem Spiel war er sichtlich nervös. Er hat keinen Pass hinbekommen. Wirkte ängstlich. In einer Verletzungsunterbrechung habe ich ihn dann beiseite genommen und gesagt: „Junge, chill! Spiel einfach wie immer.“ Für mich war das keine große Sache. Vollkommen selbstverständlich. Egal, ob Deutschland gegen England spielte oder ich mich ihm für Liverpool auf dem Platz stand. Er war bereits ein hervorragender Spieler, aber als Persönlichkeit musste er sich entwickeln. Ich wollte ihm einfach helfen.
Sie müssen es wissen: In welchem Verein ist es schwieriger, sich als junger Spieler zu etablieren: bei den Bayern oder beim FC Liverpool?
In beiden Klubs gab es immer hervorragende junge Spieler. Als ich beispielsweise zu Liverpool kam, rückten gerade Gerard, Carragher und Owen hoch. Auch bei den Bayern haben zu meiner Zeit sechs Spieler aus der A‑Jugend in der ersten Mannschaft gespielt: Czerny, Münch, Babbel, Nerlinger, Max Eberl und ich. Ich hatte aber das Gefühl, dass die Jugendspieler beim FC Bayern immer sehr viel Respekt vor den Platzhirschen hatten. Das ist irgendwo verständlich, wenn man mit Matthäus oder Kahn in einer Mannschaft spielt. Doch in Liverpool war so etwas immer belanglos. Die Nachwuchsspieler hatten da einen ganz anderen Stellenwert als beim FC Bayern.
Sie kennen die Eigenheiten der der Unterhaltungsmaschine Profifußball. Gibt es Dinge im modernen Fußball, die Sie als Trainer untersagen würden?
Natürlich gibt es Begleiterscheinungen, die mir nicht passen. Aber die Zeiten haben sich nun mal geändert und die jungen Spieler verdienen mittlerweile zu früh sehr viel Geld. Wenn Sie mit dann mit einem Diamantenohrring in der Kabine aufkreuzen oder mit einem dicken Auto vorfahren, darf einen das als Trainer nicht berühren. Man muss jeden Menschen gleich behandeln. Man kann zwar versuchen sie zu darauf anzusprechen, seinen Standpunkt zu erläutern, aber es ist ihr eigenes Leben.
Bei Werder Bremen mussten die Spieler jüngst einen Ehrenkodex unterschreiben, in dem Sie versprechen, Mit– und Gegenspielern jederzeit Respekt entgegen zu bringen. Könnte das auch ein Idee für ihre zukünftigen Teams sein?
Die Geheimnisse jeder guten Mannschaft sind und bleiben Respekt und Disziplin. Wenn das ein Spieler nicht mitbringt, dann wird er bei mir sowieso keinen Platz im Kader haben.
Hand aufs Herz: Gehen die Spieler in England wirklich anständiger miteinander um oder ist das nur ein Mythos über den Fußball auf der Insel?
Das Hinfallen, diese Theatralik, das Karten schinden, was man aus anderen Ligen, auch der Bundesliga, kennt, gibt es in England nicht. Das ist eine Art Selbstreinigungsprozess, den auch die Zuschauer mittragen. Wer fällt, kriegt von den Zuschauern etwas zu hören. Diven ist das Schlimmste, was man hier machen kann. Fußball ist hier fairer, ehrlicher. In den unteren Ligen vielleicht noch mehr als in der Premier League.
Wie stehen Sie zu der Gefahr, dass Sie durch ihre Konzentration auf den englischen Fußball für die Bundesliga verdorben sind?
Ich bin jetzt schon lange Zeit in England und mache deswegen auch meinen Trainerschein hier. Das ist eine bewusste Entscheidung. England ist meine erste Wahl. Auf der anderen Seite muss man als Trainer schauen, wo man gebraucht wird. Das sieht man bei Steve McClaren. Der fing in England an, ging dann nach Holland und ist jetzt in Wolfsburg gelandet. Man sollte also niemals nie sagen. Dennoch würde ich gerne hier bleiben. Aber auf der anderen Seite wäre es sicher auch schön, eines Tages wieder nach Deutschland zurückzugehen.
Wie fern ist Ihnen Deutschland mittlerweile?
Nah und fern zugleich. Natürlich schaue ich ab und zu, was in der Bundesliga los ist. Doch ich habe festgestellt, dass ich die meisten Spieler nicht mehr kenne. Dazu bin ich einfach zu lange weg. Ich verfolge natürlich den FC Bayern, aber der englische Fussball ist mir schlichtweg vertrauter als der deutsche.
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Didi im Wunderland – Unsere Redakteure Andreas Bock und Jens Kirschneck besuchte den Weltenbummler bei seinem neuen Klub und fanden zwischen Shopping Malls, Angus-Young-Doubles und einem schmucken Stadion einen herrlich aufgeräumten Dietmar Hamann. Die ganze Geschichte findet Ihr in unserer aktuellen Ausgabe: 11FREUNDE #108!