Antoine Griezmann kommt bei Atletico Madrid derzeit nur als Joker zum Einsatz. Und zwar komischerweise immer erst nach der 60. Minute. Das liegt an einer ganz speziellen Kusel im Leihvertrag.
Der FC Augsburg hat in seiner elfjährigen Bundesligageschichte schon den ein oder anderen bitteren Moment erlebt. Zum Beispiel im Januar 2020, als der FCA zum Rückrundenauftakt gegen Borussia Dortmund schon mit 3:1 führte, bevor ein gewisser Norweger namens Erling Haaland in der 56. Minute zu seinem Bundesligadebüt kam. Endstand: 5:3 für Dortmund. Dreifacher Torschütze: Erling Haaland. Etwas mehr als ein Jahr zuvor, im Oktober 2018, war der FCA in Dortmund zu Gast und schoss ebenfalls drei Tore. Blöd nur, dass die Fuggerstädter erneut vier Jokertore kassierten. Eins von Mario Götze, drei von Paco Alcacer, unter anderem einen direkten Freistoß in der 96. Minute. Der Spanier war in der Saison 2018/19 ohnehin die Definition des Edeljokers. In 26 Ligaspielen für den BVB traf er 18 Mal, die Hälfte der Treffer markierte er als Einwechselspieler.
In Spanien, genauer gesagt bei Atletico Madrid, tut sich gerade ein Franzose hervor, der seinerseits bevorzugt von der Bank kommt und trifft. Antoine Griezmann heißt er. In bisher fünf Saisoneinsätzen für die „Rojiblancos“ erzielte er drei Tore. Besonders beeindruckend: sein Treffer vom Mittwoch, als er in der Champions League beim 2:1 gegen den FC Porto in der elften Minute der Nachspielzeit das Siegtor köpfte. Sogar seinen Trainer Diego Simeone verleitete das zu einem 50-Meter-Sprint hinein in die Jubeltraube. Man will meinen, dieser Griezmann wäre in der aktuellen Verfassung doch auch ein Kandidat für die Startelf.
Dazu wird es jedoch so schnell eher nicht kommen. Grund dafür ist eine Leihklausel, die in der Vereinbarung zwischen Atletico und seinem offiziellen Arbeitgeber FC Barcelona verankert ist. Demnach ist Atletico gezwungen, den 31-Jährigen für 40 Millionen Euro zu kaufen, sollte dieser in der Hälfte aller Spiele in der Startelf stehen oder für mindestens 45 Minuten zum Einsatz kommen. Was in der vergangenen Saison, in der das Leihgeschäft begann, auch der Fall war. Griezmann verpasste wegen Verletzungen und Sperren nur zwölf Spiele, acht Mal spielte er weniger als eine Halbzeit. Das ergibt unterm Strich ein Pensum von etwa 80 Prozent der möglichen Einsatzminuten. So weit, so unspektakulär. Allerdings geht es derzeit selten unspektakulär zu, wo der FC Barcelona in irgendeiner Form ins Spiel kommt. Und so auch hier. Durch Griezmanns Einsätze verlängerte sich die Leihe um ein weiteres Jahr. Weil Atletico ihn aber offensichtlich nicht fest verpflichten will, bringt Trainer Simeone den Franzosen immer erst nach der 60. Minute ins Spiel.
Atletico hat ohnehin ein absurdes Überangebot an Top-Stürmern im Kader. Und weder Joao Felix noch Matheus Cunha konnten vor der Saison verscherbelt werden, obendrein kam Alvaro Morata von seiner Juve-Leihe zurück. Für einen Verein wie Atletico, der selbst hochverschuldet ist, eine finanziell problematische Situation. Hinzu kommt, dass Joker Griezmann ein Gehalt bezieht, das laut der spanischen Tageszeitung Sport derzeit bei etwa 20 Millionen Euro liegt und das Atletico für die Dauer der Leihe komplett übernimmt.
In Barcelona sind sie vom Vorgehen des Ligarivalens selbstredend weniger begeistert. Der aktuelle Tabellenzweite hatte Griezmann 2019 für die damalige vereinsinterne Rekordsumme von 120 Millionen Euro verpflichtet und ihn mit einem Monster-Vertrag ausgestattet. Dieser könnte dem 31-Jährigen über die vollen fünf Jahre bis zu 177 Millionen Euro einbringen. Wie die Sport nun am Donnerstag berichtete, bereitet die Rechtsabteilung der Katalanen im Moment eine Klage gegen Atletico vor. Denn tatsächlich gibt es Klärungsbedarf.
Beide Vereine interpretieren besagte Leihklausel nämlich unterschiedlich. Barca beharrt darauf, dass die Bedingungen für die Kaufpflicht längst erfüllt sind, schließlich habe Griezmann in seiner ersten Leihsaison in Madrid üppig Spielzeit erhalten. Bei Atletico hingegen sehen sie das freilich ganz anders. Dort ist man der Auffassung, die Klausel beziehe sich auf beide Leihsaisons und es sei ihr gutes Recht, Griezmann wieder und wieder nach einer Stunde einzuwechseln.
Unterm Strich bekleckern sich beide Vereine in dieser ganzen Transferposse nicht sonderlich mit Ruhm. Der Umstand, einen potenziellen Weltklasse-Spieler entweder unbedingt loswerden zu wollen oder stets erst im letzten Drittel einer Partie einzuwechseln, ist geradezu grotesk. Dass sich beide Vereine in ihrer wirtschaftlichen Verzweiflung scheinbar nicht mehr außergerichtlich einigen können, spricht Bände. Gerade für Barcelona wäre eine schnelle Klärung der Situation wichtig. Gerade hatte der Klub seine Gehaltskosten gesenkt, bei einer Griezmann-Rückkehr würden diese wieder enorm ansteigen.
Was sagen eigentlich Spieler und Trainer dazu? „Ich bin ein Mann des Klubs und werde es immer sein“, antwortete Diego Simeone zuletzt leicht kryptisch auf die Frage eines Journalisten, ob er seinen Stürmer auf Anweisung des Vereins nur als Einwechselspieler bringe.
Und Griezmann selbst? Der hat sich zu all dem noch nicht geäußert. Es dürfte sich allerdings nicht allzu schlecht leben, als Teilzeit-Jobber mit einem derartigen Gehalt. Zum nächsten Kurzeinsatz dürfte der Franzose am Samstagabend kommen. Dann empfängt Atletico den punktgleichen Tabellenachten Celta Vigo.