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Das Inter­view erschien erstmal im Mai 2020, in 11FREUNDE #223. Das Heft gibt es bei uns im Shop.

Marcus Thuram, vor ein paar Monaten wurden Sie gefragt, was für Sie typisch deutsch ist. Sie ant­wor­teten: Volle Sta­dien, Bier und Tony Jantschke.
(Lacht.) Und zu der Aus­sage stehe ich auch.

Warum ist Tony Jantschke für Sie typisch deutsch?
Er ist hoch seriös, dis­zi­pli­niert und mag es, wenn die Dinge ihre Ord­nung haben. Es ist ja kein Zufall, dass er sich bei uns um den Stra­fen­ka­talog küm­mert. Er ist unser Poli­zist. Man könnte sogar sagen: Tony Jantschke ist für mich wie ein deut­scher Papa! Er passt auf.

Ihr echter Papa, Lilian Thuram, ist Welt­meister, Euro­pa­meister und hat in seiner Kar­riere unter anderem für Parma, Juventus Turin und den FC Bar­ce­lona gespielt. Sind Sie immer als kom­plette Familie umge­zogen?
Klar. Ich bin in Parma geboren, dann in Turin und später in Bar­ce­lona auf­ge­wachsen. Nach seinem Kar­rie­re­ende sind wir nach Paris gezogen, ich habe also erst als Elf­jäh­riger zum ersten Mal in Frank­reich gelebt.

Welche Bilder haben sie im Kopf, wenn Sie an die Orte Ihrer Kind­heit denken?
Denke ich an Turin, sehe ich mich im Park gegen ältere Jungs Fuß­ball spielen. All­ge­mein sehe ich mich vor allem mit Ball am Fuß. Egal ob bei uns im Haus oder irgendwo draußen. Mein Vater war Profi, ich bin Profi, mein kleiner Bruder ist es mitt­ler­weile eben­falls. Inso­fern gehörte der Ball bei uns schon immer zur Familie.

War es schwierig, so oft das eigene zu Hause zu ver­lassen, um in einer fremden Umge­bung neu anzu­fangen? Oder dachten Sie sich als kleiner Junge voller Vor­freude: Wenn mein Vater beim FC Bar­ce­lona arbeitet, lerne ich Ronald­inho kennen! Auf geht’s!
Nein, ich habe bei den Umzügen nicht direkt an die neuen Kol­legen meines Vaters gedacht (Lacht.) Obwohl ich tat­säch­lich gerne mit Thierry Henry oder Eric Abidal her­um­ge­al­bert habe, wenn mein Vater mich mit zum Trai­ning oder in die Kabine genommen hat. Aber vor dem Umzug nach Bar­ce­lona dachte ich vor allem: Cool, dann lerne ich spa­nisch. Trotzdem ist es am Anfang als Kind natür­lich hart, wenn man seine Kum­pels und das ver­traute Umfeld ver­lassen muss. Doch zum einen gewöhnt man sich als junger Mensch sehr schnell an neue Dinge, zum anderen bin ich stets gut auf­ge­nommen worden und war dem­entspre­chend auch fix kein Fremder mehr. Und heut­zu­tage ist es dank Insta­gram und WhatsApp ja auch ganz leicht, mit Kum­pels in anderen Län­dern in Kon­takt zu bleiben.

Ich habe gerne mit Thierry Henry oder Eric Abidal her­um­ge­al­bert“

Wie lief es in der Schule?
Das hat super funk­tio­niert. Ich bin am ersten Tag ein­fach mit einem breiten Lächeln auf den Lippen in die Klasse gegangen. Und sobald wir eine Hof­pause hatten und raus durften, wurde gekickt. Das hat natür­lich geholfen.

Hatten Sie keine Pro­bleme wegen der fremden Sprache?
Nein, weil ich sowohl in Turin als auch in Bar­ce­lona auf eng­li­sche Schulen gegangen bin. Inso­fern kam ich da sofort zurecht. Ich war schu­lisch zwar nicht wie beim Fuß­ball der Klas­sen­beste, aber ich war zumin­dest auch keine Niete. (Lacht.

Über Kinder pro­mi­nenter Eltern heißt es gerne, sie würden mit gol­denem Löffel im Mund geboren und zu sehr ver­wöhnt werden. Wie lief das bei Ihnen? Sind Sie schon als Zwei­jäh­riger mit den neusten AirMax durch die Gegend gelaufen?
Nein. Und ver­wöhnt ist meiner Mei­nung nach auch das fal­sche Wort. Fest steht: Ich hatte bis zum heu­tigen Tag ein tolles Leben, bin in schönen Häu­sern auf­ge­wachsen, mir hat es an nichts gefehlt. Und dafür bin ich sehr dankbar. Aber meine Eltern haben stets darauf geachtet, dass wir Kinder das alles auch zu schätzen wissen. Sie haben uns gut erzogen. Mein Vater war sogar sehr streng.

In wel­chen Situa­tionen?
Eigent­lich in so ziem­lich allen, als Kind macht man ja dau­ernd Blöd­sinn. Aber im Nach­hinein würde ich sagen: Es war genau richtig so. Mein Vater hat seine Rolle sehr ernst genommen und uns in Ruhe erklärt, warum wir uns wann wie ver­halten sollen. 

Ihr Vater sagt: Sein Hei­matort Anse-Bert­rand auf Gua­de­loupe sei für ihn der schönste Ort der Welt. Wo fühlen Sie selber sich zu Hause?
In Frank­reich, in Paris. Dort hin­zu­ziehen fühlte sich für mich wie nach Hause kommen an. Trotzdem sind mir auch meine Wur­zeln auf Gua­de­loupe wichtig. In Anse-Bert­rand mache ich zum Bei­spiel immer wieder Urlaub, ein kleines, ver­schla­fenes Dorf mit unglaub­lich lie­bens­wür­digen Men­schen direkt am Meer, in dem ich auch noch sehr viel Familie habe. Man sollte nie ver­gessen, wo man her­kommt.

Mit 15 Jahren sind Sie zum ersten Mal alleine umge­zogen, ins von Paris fast 500 Kilo­meter ent­fernte Sochaux. Haben Sie diesen Neu­start auch so locker weg­ge­steckt?
Ehr­lich gesagt schon. Ich hatte es mir ja aus­ge­sucht und wusste, warum ich es tat. Seit ich klein war, wollte ich Fuß­baller werden. Und in der Nach­wuchs­aka­demie von Sochaux kam ich diesem Traum näher. Ich war da für den Fuß­ball, für das Spiel, das ich liebe. Mir ging es also gut.

Über Sochaux und Gui­gamp sind Sie bei Borussia Mön­cheng­lab­dach gelandet. Stimmt die Geschichte, dass Sie den Verein vor allem vom Zocken an der Kon­sole kannten?
Ja, das stimmt. Obwohl ich schon damals wusste, dass Glad­bach ein Verein mit großer Geschichte ist. Ich hatte mich nur noch nicht im Detail mit dieser Geschichte aus­ein­ander gesetzt.

Das dürften Sie mitt­ler­weile ja nach­ge­holt haben.
Zumin­dest ein biss­chen.

Dann lassen Sie uns ein kleines Spiel spielen. Wir nennen Ihnen ein paar Glad­ba­cher Namen, und Sie sagen uns, was Ihnen zu diesen in den Sinn kommt.
Alles klar.

Gün­ther Netzer?
Nummer Zehn. Lange Haare. Ist zu Real Madrid gewech­selt. Ein Welt­klas­se­spieler.

Berti Voigts?
Ver­tei­diger!

Lars Stindl ist der Grund, warum ich ab und zu deut­schen Rap höre“

Juan Arango?
Hm, Moment, ich glaube, dass ich ihn kenne. Hat er nicht ein ganz wich­tiges Tor geschossen, um den Verein vor dem Abstieg zu retten?

Das war Igor de Camargo.
Ach ja, stimmt, Igor de Camargo. Dann habe ich die beiden ver­wech­selt. Wer ist Juan Arango?

Arango war ein Spieler, der Dinge gerne mit dem Außen­rist regelte. Glad­bach-Fans würden sagen: ein Genie. Ein biss­chen wie Raf­fael.
Klingt gut. Zu Raf­fael selber kann ich auch wieder etwas bei­steuern. Er ist hier im Verein eine lebende Legende. Ich würde sogar sagen: Mein Idol!

Und Lars Stindl?
Er ist unser Kapitän und der Grund, warum ich ab und zu deut­schen Rap höre.

Ach so?
Lars hört diesen einen Rapper, Bushido. Aber ich ver­stehe ehr­lich gesagt noch nicht allzu viel von dem, was da erzählt wird.

Also können Sie selber auch noch nicht viel spre­chen? Deutsch wäre neben ita­lie­nisch, eng­lisch und spa­nisch ja immerhin schon Ihre vierte Fremd­sprache…
Noch sind es nur ein paar Fetzen. Ja klar, Bruder“, Tief!“, eines meiner Lieb­lings­worte auf dem Platz, und natür­lich Eck­fahne!“. (Lacht.)

Ihr Eck­fahnen-Jubel nach gewon­nenen Spielen hat Sie gleich in Ihrer ersten Saison zum Lieb­ling der Fans gemacht. Waren Sie über­rascht, wie schnell die Men­schen Sie ins Herz geschlossen haben?
Ein biss­chen über­rascht war ich schon, umso glück­li­cher bin ich dar­über, eine so spe­zi­elle Ver­bin­dung zu den Fans haben. Ande­rer­seits hatte ich, was Glad­bach anging, von Anfang an ein gutes Gefühl. Als im ver­gan­genen Früh­ling die ersten Gerüchte in der Presse auf­tauchten, dass ich zu Glad­bach wech­seln könnte, ist mein Insta­gram-Account schier explo­diert. Ich habe zig Nach­richten erhalten, grüne Herzen, Kom­men­tare unter meinen Fotos. Obwohl ich noch nicht mal zum Verein gehörte. Da habe ich mir gedacht: Glad­bach und ich? Das könnte passen.

Was löst die Vor­stel­lung in Ihnen aus, ein ganzes Jahr in leeren Sta­dien und ohne diese Fans Fuß­ball spielen zu müssen?
Die Vor­stel­lung macht mich traurig. Spe­ziell bei uns in Glad­bach sind die Zuschauer wie ein zwölfter Mann, die Unter­stüt­zung im Borussia-Park ist enorm. In dieser Krise sieht man mal, wie wichtig Fans im Sta­dion für unseren Sport sind.

Als einer von nur wenigen Bun­des­liga-Profis haben Sie bereits Erfah­rung mit Geis­ter­spielen, kurz vor der Corona bedingten Unter­bre­chung spielten Sie mit Glad­bach ohne Zuschauer gegen Köln. Ein komi­sches Gefühl?
Sogar ein extrem komi­sches Gefühl. Nor­ma­ler­weise singen unsere Fans das ganze Spiel über, an dem Abend fehlte diese Stim­mung, dieser Elan von außen. Aber es hilft ja nichts. So lange keine Fans ins Sta­dion dürfen, hoffe ich darauf, dass sie uns vor dem Fern­seher anfeuern werden. Im Borussia-Park selber haben wir stell­ver­tre­tend für sie zumin­dest ein paar Papp­fi­guren auf­ge­stellt. So sind die Fans zumin­dest ein biss­chen dabei.

Viele Men­schen in Deutsch­land haben wenig Ver­ständnis dafür, dass die Bun­des­liga unbe­dingt die Saison beenden möchte. Wie sehen Sie die Dis­kus­sion?
Ich sage: Die Politik muss über dieses Thema ent­scheiden. Die großen Instanzen. Und ich ver­traue darauf, dass die Men­schen in den ver­ant­wort­li­chen Posi­tionen wissen, was sie tun. Dem­entspre­chend werde ich auf das hören, was sie sagen. Und wenn sie sagen, dass es ver­tretbar ist zu spielen, dann spiele ich auch.

Haben Sie sich in den ver­gan­genen zwei Monaten eigent­lich gelang­weilt?
Nein, gar nicht, für mich selber sind die Wochen wie im Flug ver­gangen. Ich hatte Zeit, mir ein paar eigene Par­tien aus der Saison anzu­schauen und mein Spiel zu stu­dieren. Außerdem bin ich sowieso gerne zu Hause und gehe auch nor­ma­ler­weise nicht dau­ernd raus. Zudem hatten wir Spieler ja ein straffes Pro­gramm zu erle­digen, unsere Trainer hatten zig Übungen für zu Hause vor­be­reitet.

Warum sollten wir nicht Deut­scher Meister werden?“

Also muss sich auch nie­mand um ihr Kampf­ge­wicht sorgen…
Nein, ich bin nicht dick geworden. (Lacht.) Ich esse auch kein Junk­food, son­dern koche selber: Nudeln, Reis, Fisch, Hühn­chen. Ich liebe Hühn­chen.

Was haben Sie in der Zeit ohne Bun­des­liga-Fuß­ball am meisten ver­misst?
Mir fehlt genau das, die Bun­des­liga, der Wett­kampf. Ich bin Leis­tungs­sportler, ich will mich beweisen. Wenn ich das nicht machen kann, nervt das gewaltig.

Sie selber haben gleich in den ersten Monaten in Deutsch­land sport­lich über­zeugt, auch für Ihre Mann­schaft lief es her­vor­ra­gend. Glauben Sie, dass Sie mit Glad­bach eines Tages Deut­scher Meister werden können?
Natür­lich, wir haben in dieser Saison gezeigt, dass wir eine gute Mann­schaft sind und große Spieler haben. Wir haben die Bayern zu Hause geschlagen, wir haben einen guten Chef­trainer und ein gutes Trai­ner­team. Warum sollten wir nicht Deut­scher Meister werden?