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Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #114. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Der unga­ri­sche Nobel­preis­träger Imre Ker­tesz, ein jüdi­scher Über­le­bender des Holo­caust, hat einst ver­stö­rende Worte gewählt, um den Alltag in Ausch­witz zu beschreiben: Es war alles da, ver­lo­ckend, frisch, in aller­bestem Zustand und größter Ord­nung.“ In seinem Buch Roman eines Schick­sal­losen“ heißt es außerdem: Wir Jungen haben dann auch gleich gesagt: Na, da spielen wir nach der Arbeit Fuß­ball.“ Man mag es kaum glauben, doch in fast allen deut­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern gab es orga­ni­sierten Sport. Meist wurde Fuß­ball gespielt“, sagt die Ber­liner His­to­ri­kerin Vero­nika Spring­mann, auf extra dafür ange­legten Plätzen. In Ausch­witz lag der Platz unmit­telbar neben dem Kre­ma­to­rium.“

In The­re­si­en­stadt gab es sogar eine eigene Liga, die sich Liga Terezin“ nannte. Klei­der­kammer“ gegen Ghet­to­wache oder Köche“ gegen Hagibor The­re­si­en­stadt“, so lau­teten dort die Begeg­nungen. Von dieser Liga gibt es sogar Film­bilder. In einem Pro­pa­gan­da­film mit dem Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ aus dem Jahr 1944 sieht man das Spiel zweier Mann­schaften mit je sieben Spie­lern. Das Match findet im Innenhof einer frü­heren Kaserne statt, das Publikum sitzt am Spiel­feld­rand oder drän­gelt sich an den Fens­tern und Gängen. Sport­be­geis­terte Zuschauer feu­erten die Mann­schaften durch kräf­tige Zurufe an“, heißt es im Bericht des Schrift­stel­lers Hans Gün­ther Adler, der als Über­le­bender ein Stan­dard­werk über The­re­si­en­stadt geschrieben hat. Und die His­to­ri­kerin Nicola Schlichting weiß zu berichten: Einige Mann­schaften ließen sich vom Fuß­ball draußen inspi­rieren, eine hieß For­tuna Köln.“

Sieben gegen Sieben, zweimal 35 Minuten

Einen derart großen Spiel­be­trieb wie in The­re­si­en­stadt hat es in keinem anderen NS-Lager gegeben. In diesem KZ, das die SS als Mus­ter­ghetto“ bezeich­nete, gab es ab 1943 auch eine von Häft­lingen gebil­dete Fach­gruppe Fuß­ball“, die sich um ein eigenes Regel­werk küm­merte. Das Ergebnis der Dis­kus­sionen: Gespielt wurde meist sieben gegen sieben und über zweimal 35 Minuten. Sogar eine eigene Sport­zei­tung gab es, frei­lich nur in einer Mini-Auf­lage von sechs Exem­plaren. Der Titel Rim-Rim-Rim“ war einem Anfeue­rungsruf ent­lehnt, das Blatt wurde von fuß­ball­be­geis­terten Wai­sen­jungen von 13 oder 14 Jahren auf einer Schreib­ma­schine erstellt. Neben aus­führ­li­chen Fuß­ball­be­richten waren dort auch Por­träts ver­schie­dener berühmter Sportler zu lesen, die in The­re­si­en­stadt lebten.

Aber auch wenn es anderswo nicht derart orga­ni­siert zuging: In bei­nahe allen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, die das NS-Regime errich­tete, gab es ab 1942 sport­liche Akti­vi­täten. Hin­ter­grund war, dass die Nazis mehr und mehr die Arbeits­kraft der inhaf­tierten Men­schen benö­tigten. Die KZs wurden als Wirt­schafts­un­ter­nehmen ver­standen, und die Rüs­tungs­in­dus­trie brauchte sie“, sagt die His­to­ri­kerin Spring­mann. Bis zu dieser Neu­aus­rich­tung hatte man in den Lagern unter Sport vor allem demü­ti­gende Übungen begriffen, etwa das Robben im Matsch, Auf und Nieder!“ brül­lende SS-Leute, Frosch­hüpfen oder Enten­gang. Dann aber bekam er eine neue Bedeu­tung“, wie der öster­rei­chi­sche His­to­riker Rudi Leo sagt. So wurde auf Anwei­sung des Reichs­füh­rers SS, Hein­rich Himmler, eine Art Prä­mi­en­system für Häft­linge geschaffen, ein System aus Gunst und Strafe“, wie Vero­nika Spring­mann es beschreibt. Und zur Gunst, die die Nazis vor allem jungen, kräf­tigen und männ­li­chen Häft­lingen gewährte, gehörte auch der Sport. In Ausch­witz hat Spring­mann außer für Fuß­ball auch Belege für Hand­ball und Turnen gefunden.

Fb Kz Theresienstadt

Fuß­ball war aller­dings überall der wich­tigste Sport. Die Spiele wurden oft als Län­der­spiele aus­ge­tragen“, berichtet Spring­mann. Reichs­deut­sche Häft­linge gegen Polen, gegen Russen, gegen Luxem­burger et cetera.“ Im KZ Maut­hausen waren bei­spiels­weise viele Spa­nier gefangen. Hier, wie auch im KZ Dachau, wurden regel­rechte Län­der­tur­niere ver­an­staltet. Die Aktiven waren meist Häft­linge. Dass auch Auf­seher, also SS-Männer, gegen Häft­linge spielten, ist nicht ver­bürgt; ein­zelne Hin­weise gibt es aber. Der frü­here öster­rei­chi­sche Profi Igor Fischer, der The­re­si­en­stadt und Ausch­witz über­lebt hat, sagte einmal: Der Gegner da auf dem Platz war ein ganz spe­zi­eller. Er konnte dich auch umbringen. Nicht gleich am Fuß­ball­platz, aber später.“ Im Lager­kom­plex Ausch­witz, der Ver­nich­tungs- und Arbeits­lager zugleich war, spielten meist Arbeits­kom­mandos“ der Häft­linge gegen­ein­ander. Der His­to­riker Wolf Oschlies fand aller­dings auch Begeg­nungen wie Kran­kenbau“ gegen Block 15“ oder Alte Num­mern“ gegen Zugänge“. Oschlies meint: Dass Kapos und Gefan­gene in einer Mann­schaft spielten, war keine Sel­ten­heit.“ Kapos waren die bei den anderen Häft­lingen meist ver­hassten Funk­ti­ons­häft­linge, die als ver­län­gerter Arm der SS agierten.

Bis vor kurzem wusste man kaum etwas über die Fuß­ball spie­lenden Häft­linge in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern. Erst eine junge His­to­ri­ker­ge­nera­tion küm­mert sich nun um das Thema, das lange als heikel galt. Der Begriff Sport war und ist zumeist positiv besetzt, kaum jemand wollte ihn mit dem Grauen der KZs in Ver­bin­dung bringen. Bei den His­to­ri­kern zählt der Sport als nichts Wich­tiges“, glaubt Spring­mann. Und bei den Sport­wis­sen­schaft­lern ging man immer davon aus, dass der Sport doch irgendwie das Gute ist.“ Eine schöne Sache halt, die schlimms­ten­falls von sport­fremden Mächten miss­braucht wird.

Dabei hatte schon der Publi­zist Eugen Kogon, einst selbst Häft­ling in Buchen­wald, in seinem Werk Der SS-Staat“ vom KZ-Sport berichtet. Zur Moti­va­tion der Lager­lei­tung, den Fuß­ball nicht nur zu erlauben, son­dern sogar zu för­dern, schrieb Kogon: Die SS scheint es als eine Art Rekla­me­schild für den guten Zustand und die pracht­volle Laune der Häft­linge ange­sehen zu haben.“ Frei­lich konnten und durften nur die wenigsten Häft­linge kicken. Kogon berichtet, dass anfangs auch eine Juden­mann­schaft“ mit­spielte, die aber später ver­boten wurde“. In Buchen­wald, zum Bei­spiel, bil­deten die poli­ti­schen Gefan­genen das beste Team.

Da hat mir der Fuß­ball das erste Mal geholfen“

Doch es gab auch einige wenige Fälle, in denen jüdi­sche Fuß­baller von ihrem Talent pro­fi­tierten. So wurde der öster­rei­chi­sche Profi Ignaz Feld­mann in Wes­ter­bork, einem Neben­lager von Ausch­witz, von einem SS-Unter­schar­führer erkannt. Der SS-Mann hatte bei Aus­tria Wien gespielt, Feld­mann beim erfolg­rei­chen jüdi­schen Rivalen Hakoah Wien. Dieser Umstand machte aus Feld­mann einen Pro­tegé der SS. Der Öster­rei­cher Fritz König, Sohn eines jüdi­schen Arbei­ters und damit für die Nazis ein Halb­jude“, kickte in den drei­ßiger Jahren als großes Talent unter anderem für die Jugend­mann­schaft des renom­mierten SC Red Star Wien. Als König später in Buchen­wald inter­niert wurde, da hat mir der Fuß­ball das erste Mal geholfen“, wie er sich in einem Inter­view erin­nerte. Damit er fit blieb, erhielt er einen halb­wegs ange­nehmen Job in der Wäscherei. Wie wenig Häft­linge aller­dings das Pri­vileg Fuß­ball genießen durften, wird an einer Zahl aus dem KZ Neu­en­gamme bei Ham­burg deut­lich. Von 14 000 Gefan­genen durften gerade mal 60 Fuß­ball spielen. In Buchen­wald mit seinen bei Kriegs­ende über 80 000 Häft­lingen hat es ganze zwölf Mann­schaften gegeben. Der Ausch­witz-Über­le­bende Andreas Sarasopa berichtet, nur die pri­vi­le­gierten Funk­ti­ons­häft­linge hätten spielen dürfen. Die Jün­geren oder Schwäch­li­cheren haben ja nach der Ankunft das Lager schon wieder auf dem übli­chen Weg, über den Schorn­stein, ver­lassen.“

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Die ver­stö­rende Nähe vom unend­li­chen Grauen des KZs und dem unschul­digen Spaß eines Fuß­ball­spiels wird auch beim pol­ni­schen Schrift­steller Tadeusz Borowski deut­lich. Er schreibt in seiner auto­bio­gra­fi­schen Erzäh­lung Men­schen, die gingen“, wie er wäh­rend einer Spiel­un­ter­bre­chung in Ausch­witz plötz­lich eine große Gruppe sieht, die von einem gerade ein­ge­trof­fenen Zug zur Selek­ti­ons­rampe geführt wird. Borow­skis Ich-Erzähler holt den Ball, der nach einer Ecke ins Aus geflogen ist. Als ich ihn aufhob, erstarrte ich: Die Rampe war leer. Ich ging mit dem Ball zurück und gab ihn zur Ecke. Zwi­schen zwei Eck­bällen hatte man hinter meinem Rücken 3000 Men­schen ver­gast.“ Wie ein Fuß­ball­platz von der SS zur Selek­tion der Häft­linge benutzt wird, beschreibt dagegen Andreas Sarasopa: Plötz­lich kommt eine Latte zum Vor­schein, die quer in etwa 1,60 Meter Höhe seit­lich am Fuß­balltor ange­na­gelt wird.“ Jugend­liche müssen dar­unter her­gehen, denen man sagt, dass die Kleinsten von ihnen zur Kar­tof­fel­ernte gebracht würden. Dann geschieht etwas völlig Uner­war­tetes. Die fast als gemüt­lich zu bezeich­nende Szene wech­selt abrupt. Wie aus dem Nichts tau­chen wei­tere SS-Männer, diesmal mit Hunden, auf.“ Die Jugend­li­chen, die sich auf eine Abwechs­lung als Ern­te­helfer freuen, werden mit Knüp­peln und Hunden weg­ge­trieben. Es fand soeben eine getarnte Selek­tion für die Gas­kam­mern statt.“

Mord und Ver­gnügen exis­tierten auf engstem Raum neben­ein­ander. Odd Nansen, der Sohn des nor­we­gi­schen Frie­dens­no­bel­preis­trä­gers Fri­dtjof Nansen, notierte in sein Tage­buch aus dem KZ Sach­sen­hausen: Wäh­rend der Fuß­ball­kampf am schlimmsten tobte, kamen zwei Gefan­gene, die eine Leiche auf einer Bahre trugen. Sie setzten die Leiche hin, zün­deten ihre Stummel an und begannen, dem Kampf zu folgen. Als der span­nende Augen­blick vorbei war, gingen sie zur Leiche zurück und setzten den Trans­port zum Lei­chen­haus fort.“

Als Zuschauer der KZ-Spiele fanden sich Häft­linge und SS-Leute glei­cher­maßen ein. Genaue Zuschau­er­zahlen seien nicht bekannt, sagt Vero­nika Spring­mann, aber wenn man die Berichte liest, hat man den Ein­druck, als müssten es viele gewesen sein“. In The­re­si­en­stadt, wo im Innenhof einer frü­heren Kaserne gespielt wurde, waren es gut und gerne drei­tau­send Men­schen. Dabei war die erste Bal­kon­ga­lerie der SS vor­be­halten. Über Ausch­witz berichtet Wolf Oschlies: Die SS schaute den Spielen inter­es­siert zu, bedrohte aber gele­gent­lich den pol­ni­schen Tor­mann, wenn dieser bei Spielen gegen ›deut­sche‹ Mann­schaften allzu gut hielt.“ Ähn­liche Beob­ach­tungen hat Spring­mann gemacht. Die deut­schen Häft­linge wurden quasi als Ver­treter Deutsch­lands wahr­ge­nommen. Als eine pol­ni­sche Mann­schaft gewann, war das, als ob Polen den Krieg gewonnen hätte.“

NS-Opfer Julius Hirsch

Gerade aus Polen waren etliche Spit­zen­fuß­baller von den Nazis inter­niert worden. Czeslaw Sowul etwa hatte vor dem Krieg beim Erst­li­gisten Gar­bana Krakow gespielt. Doch auch Spieler tsche­chi­scher und öster­rei­chi­scher Erst­li­gisten befanden sich in den Lagern. Jirka Tesar war einst Tor­wart der tsche­chi­schen Jugend­na­tio­nal­mann­schaft gewesen, Jan Burka erhielt nach der Befreiung Ange­bote von meh­reren euro­päi­schen Spit­zen­klubs, wan­derte aber nach Kanada aus und wurde ein bekannter Künstler. Ob ein NS-Opfer wie der deut­sche Natio­nal­spieler Julius Hirsch, der ver­mut­lich 1943 als 51-jäh­riger in Ausch­witz ermordet wurde, dort eben­falls Fuß­ball gespielt hat, ist nicht bekannt. Auch vom in Ausch­witz ermor­deten Welt­klas­se­spieler Arpad Weisz kennt man dieses Detail seines Lebens nicht.

Im Kibbuz Givat Chaim in Israel haben Über­le­bende des KZ The­re­si­en­stadt eine Gedenk­stätte errichtet. Dort findet sich auch eine Aus­stel­lung über die Liga Terezin“. Im Oktober 2010 fand in Givat Chaim ein Erin­ne­rungs­tur­nier statt, die Mann­schaften hießen so wie damals im Ghetto: Arsenal etwa spielte gegen Mac­cabi Prag – in The­re­si­en­stadt waren das ein Team von Fans des eng­li­schen Fuß­balls und eine Mann­schaft tsche­chi­scher Juden gewesen. Das Tur­nier ging auf die Initia­tive des Lei­ters der Gedenk­stätte, Oded Breda, zurück; sein Vater Moshe Breda war einst­mals Fuß­baller in der Liga Terezin“ gewesen. Mit dabei in Givat Chaim war auch Peter Erben, einer der letzten noch lebenden Fuß­baller der Liga Terezin“, der auch im Film Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ zu sehen ist. Erbens Team war damals die Jugend­für­sorge gewesen. Sie hatte 1944 die Spieler von Hagibor The­re­si­en­stadt mit 14:1 besiegt. Im Jahr 2010 gelang der Jugend­für­sorge ledig­lich ein 3:1‑Erfolg.

Tadeusz Borowski, der pol­ni­sche Schrift­steller und Ausch­witz-Über­le­bende, for­mu­lierte das Dilemma des Neben­ein­an­ders von Tod und Spielen einst so: Gewiss, ein Leben im Lager, aber doch – Leben.“ 1951 brachte er sich um.