Kobe Bryant lehrte vor allem uns Fußballfans, dass es neben der Breite und Länge eines Feldes noch ein dritte Dimension gibt: die unendliche Höhe. Heute vor einem Jahr verstarb er. Nachruf auf einen Schwerelosen.
Los Angeles, die Fabrik der Träume, war der Ort, an dem einer ganzen Generation ein Versprechen gemacht wurde: Ihr werdet fliegen können. Im längst von den Sedimentschichten der Zeit überlagerten Juli 1984, bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, hob der Rocketman Bill Suitor ab und drehte zum bodenlosen Erstaunen von zwei Milliarden Fernsehzuschauern seine Runden über dem Memorial Coliseum.
Viele Kinder vor den Mattscheiben gingen damals fest davon aus, dass die Zeit, in der sie sich von schlecht gelaunten Busfahrern zur Schule kutschieren lassen mussten, bald vorbei sein würde. Ja, vielleicht sogar die Zeit der Schule an sich, der Beschissenheit der Dinge, des ganzen Lebens in einem zuweilen bedrückend zweidimensionalen Raum. Die Zukunft war nah, und sie würde anders sein und gut.
Von dieser kühnen Vision sind leider nur noch die wenig erfreuliche Vorstellung von sogenannten Lufttaxis und die Selbstbeschwörungsformel „the sky is the limit“ übrig geblieben, die die Kinder von damals heute in Konferenzräumen raunen, wenn gar nichts anderes mehr hilft. Betrachtet man es genauer, sind sie jedoch fester an diesen Planeten gekettet denn je.
Und doch war Los Angeles auch der Ort, an dem das Versprechen eingelöst wurde, etwas mehr als eine Dekade nach dem sagenhaften Flug Bill Suitors: Ihr könnt fliegen, sogar ohne Raketenrucksack, wenn ihr nur stark und mutig und anmaßend genug seid, die Schwerkraft zu verachten, wenn ihr euch mit allem, was ihr habt, zu Boden werft, aber daneben. Und dieser schlaksige Junge hier von der Lower Merion High School in Pennsylvania in seinem bollerigen Anzug, ein Basketballer, kaum 18 Jahre alt, macht euch das jetzt mal vor.
Sein Name: Kobe Bryant. Der 13. Pick des NBA-Drafts von 1996.
Was wohl der größere Irrtum war: dass dieses Jahrhunderttalent erst so spät ausgewählt wurde (weit nach den heute vergessenen Samaki Walker und Todd Fuller) oder dass die Charlotte Hornets ihn sogleich gegen Vlade Divac eintauschten, einen etwas mehr als mittelprächtigen Center, der seiner Aufgabe mit der Muffigkeit eines jener Schulbusfahrer nachging. Sei es drum: Kobe Bryants grandiose Karriere vollzog sich bei den Lakers, den „Show-Time-Lakers“, wie sie seit der glorreichen Ära von Kareem Abdul-Jabbar, James Worthy und Earvin „Magic“ Johnson genannt wurden, in Los Angeles eben, und das kann ja wiederum kein Zufall gewesen sein. Es war „Magic“ Johnson, anerkannter Experte für die Bezwingung der Naturgesetze und anteiliger Mitbesitzer des Franchise, der über seinen Zauberlehrling Bryant wachte. Mitunter erzählt die Sportgeschichte sich, wie wir wissen, ihre Pointen selbst und schließt ihre eigenen Kreise.