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Es ist, zumin­dest auf dem Papier, ein ganz nor­males Fuß­ball­spiel. Der FC Liver­pool spielt am 15. April 1989 gegen Not­tingham Forest um den Einzug in das Finale des FA Cups. Es ist die gleiche Partie wie vor einem Jahr, damals schlug Liver­pool Forest mit 2:1 und zog ins Finale ein. Das Spiel im Hills­bo­rough Sta­dion, der Heimat von Shef­field Wed­nesday, ist des­halb schon seit Wochen aus­ver­kauft. Und doch reisen viele, viele Fans auch ohne Ticket nach Shef­field, in der Hoff­nung auf dem Schwarz­markt fündig zu werden.

Auch Gary Burns hat sich an diesem Samstag auf den Weg gemacht. Der 17-Jäh­rige hat ein Ticket für die Lep­pings Lane-Tri­büne hinter dem Tor, mit Freunden aus Liver­pool will er das Spiel sehen. Als er gegen viertel vor zwei das Sta­dion erreicht, herrscht dort eine hei­tere Atmo­sphäre. Die Sonne scheint, es ist nicht zu warm. Viele LFC-Anhänger warten bereits vor den Zäunen auf den Ein­lass, man singt sich ein, der Schwarz­markt blüht, berit­tene Polizei ver­folgt gelassen die Sze­nerie. Vor dem Sta­dion werden Pro­gramm­hefte ver­teilt. Ein Foto ist im Innen­teil abge­druckt. Lep­pings Lane, gefüllt mit gut gelaunten Anhän­gern aus Liver­pool, ein Bild aus dem letzten Jahr. Dazu heißt es: Wenn Sie sich in Hills­bo­rough umschauen, werden Sie begreifen, warum es der per­fekte Ort für jede Art von großen Spielen ist.“

Ich rief nach meinem Freund, er ant­wor­tete mir nicht“

Schon bald jedoch strömen immer mehr Fans zum Sta­dion, mit Tickets, ohne Tickets. Und um 14.30 Uhr drän­geln sich 10 000 Fuß­ball­fans aus Liver­pool auf engstem Gebiet vor den Dreh­kreuzen und ver­su­chen, ins Sta­dion zu gelangen. Gary Burns steckt mitten in der Men­schen­menge. Ich begriff, dass ich mich nicht bewegen konnte. Ich rief nach meinem Freund Geoff, er ant­wor­tete mir nicht“, erin­nert er sich. Ich konnte nun nicht einmal mehr meine Schul­tern bewegen.“

Ratlos ver­su­chen sich die berit­tenen Poli­zisten ihren Weg durch die Menge zu bahnen, ver­geb­lich. Auch Men­schen ohne Ticket werden nun in Rich­tung der Ein­gänge gedrückt, ohne jede Chance, dem Strom zu ent­fliehen. Der Anpfiff rückt immer näher, mit der Angst die ersten Spiel­mi­nuten zu ver­passen wächst auch der Druck auf die Tore vor dem Sta­dion. Um ihn zu mil­dern, ent­scheidet sich der ver­ant­wort­liche Poli­zei­di­rektor David Ducken­field, ein Beamter ohne nen­nens­werte Erfah­rung mit sol­chen Groß­ereig­nissen, schließ­lich dazu, das als Aus­gang kon­zi­pierte Gate C zu öffnen. Durch das Gate, das nicht wie ein Ein­gangstor über Dreh­kreuze ver­fügt, gelangen Hun­derte Fans in kür­zester Zeit ins Sta­di­on­in­nere. Ein fataler Fehler, wäh­rend die Teams schon auf dem Platz auf­laufen, strömen immer noch Fans auf die Ränge der über­füllten Liver­pooler Fan­kurve.

Gary Burns ist von der Menge in einen langen, engen Tunnel geschoben worden, der die Auf­gänge mit den Steh­plätzen ver­bindet. Wie durch einen Fla­schen­hals drängen immer mehr Men­schen von hinten nach. Burns kann nun nicht einmal mehr den Kopf bewegen. Von vorne dringen pani­sche Rufe: Geht zurück, geht zurück“, die Fans im Tunnel brüllen nicht minder ver­zwei­felt zurück: Wir können nir­gend­wohin.“ Die ersten Fans ver­lieren die Nerven. Eine Frau schreit immer wieder: Lasst mich raus, lasst mich raus!“ Neben Burns bricht ein Junge zusammen. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht kalk­weiß.“ Mit letzter Kraft wird das Kind aus der Menge gezogen und über den Köpfen hin­aus­ge­reicht.

Obwohl die Polizei Bedenken hat, pfeift der Schieds­richter die Partie pünkt­lich um 15 Uhr an, die Auf­merk­sam­keit der Men­schen­masse richtet sich nun voll­ends auf das Spiel­feld. Beardsley hat die Latte getroffen“, ruft einer von vorne. Hinten ringen die Men­schen um Luft. Fans, die noch außer­halb des Sta­dions stehen und nicht noch mehr vom Spiel ver­passen wollen, drängen nach. Sie merken nicht, welche dra­ma­ti­schen Szenen sich im unteren Teil der Tri­büne abspielen. Durch den Druck von oben werden die Men­schen gegen Gitter und Zäune gepresst, ringen nach Luft, kämpfen ums Über­leben. Der mitt­lere Block direkt hinter dem Tor, der soge­nannte Pen 3“, wird zum Todes­block. Er ist nach links und rechts durch hohe Zäune von den Nach­bar­blö­cken getrennt. In ihm sterben schon kurz nach drei die ersten Fans, auf­recht ste­hend an Kreis­lauf­ver­sagen oder Atem­still­stand inmitten ihrer Freunde. Bemerkt wird dies zuerst nur von den Fans in direkter Umge­bung. Erst als es den ersten Anhän­gern gelingt über den Zaun auf das Spiel­feld zu klet­tern, wird der Ernst der Lage erkennbar. Helft uns“, rufen Fans über den Zaun zu den Foto­grafen. Doch die ran­geln um den besten Platz für dra­ma­ti­sche Motive. Auf Anwei­sung der Polizei wird das Spiel in der sechsten Spiel­mi­nute unter­bro­chen. Schieds­richter Ray Lewis schickt die Mann­schaften in die Kabine. Kenny Dag­lish, der Trainer des FC Liver­pool, erin­nert sich: Wir war­teten im Kor­ridor, als plötz­lich einige Fans den Kabi­nen­gang hinauf gelaufen kamen und riefen: ›Kenny, Kenny, da draußen sterben Men­schen!‹“

Bloß kein Platz­sturm“

Doch noch immer öffnen Poli­zisten und Ordner nur Tore im oberen Bereich der Tri­büne, die Tore zum Spiel­feld bleiben ver­schlossen, obwohl sogar das Fern­sehen die qual­voll ver­zerrten Gesichter der Anhänger unten am Zaun ein­fängt. Bloß kein Platz­sturm“, lautet die Order, die Masse soll um jeden Preis unter Kon­trolle gehalten werden. Wäh­rend die Fans im oberen Teil der Blöcke schließ­lich auf die immer noch halb­leeren Neben­blöcke aus­wei­chen können, geht das Sterben im unteren Teil des Mit­tel­blocks weiter. Vom Ober­rang herab recken sich Hände und ziehen ein­zelne Anhänger aus dem mör­de­ri­schen Gedränge nach oben. Mitt­ler­weile muss jeder im Sta­dion begriffen haben, welch töd­liche Tra­gödie sich gerade in Lep­pings Lane abspielt. Sie töten uns, sie töten uns!“, schreien Fans in den vor­dersten Reihen Liver­pools Keeper Bruce Grob­belaar zu. Der will helfen, rennt zu den Ste­wards, die heben hilflos die Arme.
Bis heute unge­klärt ist, was sich in diesen Minuten in der Kom­man­do­zen­trale der Polizei abge­spielt hat. Der Kon­troll­raum in Hills­bo­rough ver­fügte über meh­rere Über­wa­chungs­ka­meras, die auf Lep­pings Lane gerichtet waren. Der dienst­ha­bende Offi­zier muss die Tra­gödie mit ange­sehen haben, vor­aus­ge­setzt, er hielt sich wie vor­ge­schrieben im Kon­troll­raum auf.

Gegen 15.30 Uhr muss nie­mand mehr die Tore öffnen. Der Druck im unteren Teil des Mit­tel­blocks ist zu hoch für den Zaun, die mas­sive Eisen­ab­sper­rung knickt unter der Last weg. Nach Atem rin­gend fallen Men­schen auf das Spiel­feld, teil­weise mit schwersten Quetsch­ver­let­zungen. Fans leisten ihren Freunden not­dürftig erste Hilfe, andere halten Ster­benden in den letzten Minuten die Hand. Einige Anhänger, die einen Ver­letzten zum Kran­ken­wagen tragen wollen, müssen eine Poli­zei­kette durch­bre­chen. Für viele kommt jede Hilfe zu spät. 94 Men­schen sterben an diesem Tag im Hills­bo­rough-Sta­dion, 766 erleiden zum Teil schwere Ver­let­zungen. Vier Tage später erliegt der 14-jäh­rige Lee Nicols im Kran­ken­haus seinen Ver­let­zungen. Die end­gül­tige Opfer­zahl von 96 wird im März 1993 erreicht, als nach vier­jäh­rigem Koma Tony Bland im Alter von 22 Jahren stirbt.

Sie fragen, wie viele Pubs man auf dem Weg zum Sta­dion auf­ge­sucht hat

Auch in Liver­pool spricht sich an diesem Nach­mittag die Kata­strophe wie ein Lauf­feuer herum. Zehn­tau­sende Fans sind nach Shef­field gefahren, lange ist unge­wiss, wer die Toten, wer die Ver­letzten sind. Hun­derte Ange­hö­rige warten an der Lime Sta­tion auf die Züge aus Shef­field. Wäh­rend­dessen spielen sich im Gym­na­sium neben dem Sta­dion in Shef­field erschüt­ternde Szenen ab. Ange­hö­rige sollen die Toten iden­ti­fi­zieren. Auch Barry Devon­side, der mit seinem Sohn Chris­to­pher zum Spiel gefahren ist, wird in die Turn­halle des Sta­dion geführt, Beamte rollen einen Leichnam in einem Plas­tik­sack heran, Devon­side erkennt seinen Sohn. Zeit, um Abschied zu nehmen, bleibt ihm nicht. Sofort geleiten ihn Poli­zisten an einen Tisch und beginnen ein Gespräch, das Devon­side noch heute ein Verhör nennt. Sie fragen, wie viele Pubs man auf dem Weg zum Sta­dion auf­ge­sucht, wie viel Alkohol man getrunken habe. Sie fragen einen Vater, der gerade seinen Sohn ver­loren hat.

Später am Abend irrt das Ehe­paar Delaney durch die Turn­halle. Sie haben draußen die Pola­roid-Fotos der Toten gesehen. Ihren Sohn James haben sie nicht wie­der­erkannt. Dann sehen sie ihren Sohn auf einer Bahre liegen, in einem grünen Lei­chen­sack mit der Nummer 37. Sein Vater und ich, wir begannen James zu küssen und mit ihm zu spre­chen. Sofort kam ein Poli­zist und ver­suchte uns, aus der Turn­halle zu drängen“, erin­nert sie sich. Ich wurde hys­te­risch, wie konnte es ein, dass wir die Halle ver­lassen sollten und unser armer Sohn lag in der Halle, jeder­manns Bli­cken aus­ge­lie­fert.“ Es gibt unzäh­lige dieser Geschichten. Von über­for­derten, unsen­si­blen Poli­zisten. Und von Kran­ken­wagen, die viel zu spät in Hills­bo­rough ein­trafen.

Später am Abend kur­siert zum ersten Mal eine Opfer­zahl. Über 70 Men­schen seien gestorben, später heißt es, über 80 Anhänger hätten den Tod gefunden. Schon jetzt ist klar, es ist eine der größten Sta­dion-Kata­stro­phen der Fuß­ball­ge­schichte. Später erfährt die geschockte Nation von anderen grau­samen Sta­tis­tiken: Kaum eines der Opfer ist über 30 Jahre alt, viele von ihnen noch Kinder. Als jüngstes Opfer stirbt Jon-Paul Gil­hooley im Alter von nur zehn Jahren. Jon-Pauls Cousin, damals im selben Alter wie er, spielt heute selbst als Profi beim FC Liver­pool. Steven Ger­rard erzählt in seiner 2006 erschie­nenen Auto­bio­grafie, seine gesamte Kar­riere sei dem toten Cousin gewidmet. Er hat Liver­pool mit der glei­chen Lei­den­schaft bewun­dert, wie ich es tue, wenn ich das rote Trikot über­streife.“ Gil­hoo­leys Name und die der anderen 95 Opfer sind auf dem Denkmal ein­gra­viert, das in Anfield an die Kata­strophe erin­nert.
Das Denkmal an den Shankly-Gates ist nur das sicht­barste Zei­chen der Anteil­nahme, die die Ein­wohner der Stadt Liver­pool den Opfern gab. In den Tagen und Wochen nach der Kata­strophe ver­wan­deln Anhänger das Sta­dion an der Anfield Road in einen Schrein. Hun­derte, Tau­sende kommen und knüpfen ihren Schal zum Gedenken an die Opfer an den Sta­di­on­zaun.

Ferry cross the Mersey“ liegt den Men­schen auf den Lippen

Kenny Dag­lish: Liver­pool FC war der Mit­tel­punkt des Lebens von so vielen Leuten, da war es nur natür­lich, dass sie alle nach Anfield kamen, um da zu sein, mit­ein­ander zu reden. Viele Ange­hö­rige kamen zum Sta­dion, um über Fuß­ball zu reden, um den Spie­lern zu sagen: Ihr wart seine Idole.“ In diesen Wochen liegt ein Lied auf den Lippen der Anhänger. Es ist nicht You’ll never walk alone“, son­dern das von Gerry Marsden spontan neu auf­ge­nom­mene Ferry cross the Mersey“, eine weh­mü­tige Hom­mage an die Stadt Liver­pool und die Behar­rungs­kraft ihrer Ein­wohner.

Die Spieler des FC Liver­pool besu­chen in diesen Tagen auch die Schwer­ver­letzten im Kran­ken­haus. John Barnes wird von Eltern gerufen, in der Hoff­nung, die Stimme des Idols könne ihrem Sohn helfen, aus dem Koma zu erwa­chen. Ich hielt die Hand des Jungen und redete und redete und redete. Über alles, was mir gerade ein­fiel, über Fuß­ball und über den Klub, den wir alle lieben.“ Barnes ver­lässt tief beein­druckt das Kran­ken­haus. Wenn es je nötig war, mich an die Bedeu­tung des Lebens und der Familie zu erin­nern, dann taten es diese Momente im Sta­dion und im Hos­pital. Da saßen die Eltern seit dem Samstag bei ihren Kin­dern, spra­chen mit ihnen und beteten, dass sie ihre Augen wieder öff­neten. Sie waren so tapfer.“

Der Sün­den­fall von The Sun“

Nur wer diese Tage der Soli­da­rität, der Ver­bun­den­heit mit­er­lebt hat, wird die Empö­rung ermessen können, die ein Artikel im Bou­le­vard-Blatt The Sun“ aus­löst. Unter dem infamen Titel The Truth – Die Wahr­heit“, ver­öf­fent­licht die Zei­tung am Mitt­woch nach der Kata­strophe einen Artikel, der Unge­heu­er­li­ches behauptet. Betrun­kene Anhänger hätten Ret­tungs­kräfte ange­griffen, die den Opfern zur Hilfe eilen wollten. Ein totes Mäd­chen sei miss­braucht worden. Liver­pool-Anhänger hätten öffent­lich auf Poli­zisten und Lei­chen uri­niert. Autor des Arti­kels ist Chef­re­dak­teur Kelvin McKenzie, der sich auf einen anonymen Poli­zei­be­amten beruft. Die Kam­pagne der Sun“ ver­setzt eine ganze Stadt in hei­ligen Zorn. Zahl­lose Zei­tungs­händler wei­gern sich fortan, die Sun„ zu ver­kaufen, die Leser boy­kot­tieren das Blatt, binnen weniger Wochen fällt die ver­kaufte Auf­lage von 240 000 dau­er­haft auf 12 000 Exem­plare im Groß­raum Liver­pool. Schon bald bezeichnet der sonst bedacht for­mu­lie­rende Pres­serat den ver­meint­li­chen Scoop McKen­zies als Lügen“, was den Jour­na­listen nicht dazu bringt, sich bei den Fans für die Kol­por­tage zu ent­schul­digen. Zwar gibt er vor einem Aus­schuss zu Pro­to­koll, die Bericht­erstat­tung über Hills­bo­rough sei ein Fehler gewesen den er bereue, um Jahre später jedoch unge­rührt zu ver­künden, Sun“-Besitzer Rupert Mur­doch habe ihn damals aus ver­lags­po­li­ti­schen Gründen zu diesem Ein­ge­ständnis gezwungen. Ich habe es damals nicht bereut und bereue es bis heute nicht.“

Bis heute hat also Kelvin McKenzie keine Rechen­schaft abge­legt. Und bis heute begleitet die Kata­strophe von Hills­bo­rough das Leben vieler Men­schen. Kenny Der­byshire ist einer von ihnen. Er trägt am Kragen eine Ansteck­nadel des FC Liver­pool, seit 1981 hat er eine Dau­er­karte an der Anfield Road. Kenny Der­byshire war damals in Shef­field und ist heute Vor­sit­zender der Jus­tice for the 96“-Kampagne. Die Orga­ni­sa­tion wurde kurz nach der Kata­strophe gegründet, sie hilft den Hin­ter­blie­benen der Hills­bo­rough-Opfer, doku­men­tiert die Gescheh­nisse von damals und kämpft für die Auf­ar­bei­tung des Unglücks. Bis heute hat nie­mand Ver­ant­wor­tung für die Kata­strophe über­nommen“, sagt Kenny. Wir wollen wenigs­tens einen Ver­ant­wort­li­chen, aber es gab nicht mal eine Ent­schul­di­gung.“ In einem kleinen Laden direkt gegen­über dem Sta­dion hat die Kam­pagne Quar­tier bezogen. Viele Fans kommen vor oder nach dem Spiel vorbei, die meisten spenden etwas und holen sich ein paar Auf­kleber ab: Don’t buy The Sun“ steht auf ihnen. Die Sun wird noch immer boy­kot­tiert, fast 20 Jahre danach. Die Auf­lage hat sich bis heute nicht erholt.

Sicher, inzwi­schen weiß man, was zu dem Tod von 96 Men­schen geführt hat. Die kata­stro­phalen bau­li­chen Zustände im Hills­bo­rough-Sta­dion mit 23 Dreh­kreuzen für 24.000 Besu­cher. Die fatale Ent­schei­dung, zusätz­liche Tore zu den Rängen zu öffnen, die jenen unmensch­li­chen Druck erzeugten, der die Fans ersti­cken ließ. Das end­lose Zögern der Polizei, die Tore zum Spiel­feld zu öffnen. Die viel zu spät geru­fenen Kran­ken­wagen. Eine schier end­lose Kette von Fehl­leis­tungen, für die aber einen Schul­digen aus­zu­ma­chen, selbst den ordent­li­chen Gerichten schwer fiel. Nicht einmal den Poli­zei­di­rektor David Ducken­field mochten sie ver­ur­teilen. Jener Ducken­field, der den Befehl gab, unkon­trol­liert Fans ins Sta­dion strömen zu lassen und der sich hätte denken können, was das für die Men­schen in den ohnehin schon über­füllten Blö­cken bedeuten musste.

Kein Ereignis hat den Fuß­ball in ganz Europa so nach­haltig ver­än­dert

Die Schock­wellen der Hills­bo­rough-Kata­strophe blieben nicht auf Liver­pool, nicht auf Eng­land beschränkt. Kein Ereignis hat den Fuß­ball in ganz Europa so nach­haltig ver­än­dert wie der 15. April 1989. Schon zwei Tage nach der Tra­gödie hatte Home Secre­tary Dou­glas Hurd ange­kün­digt, ein Gesetz zu ver­ab­schieden, das alle Erst­li­ga­klubs dazu zwingen würde, die Steh­plätze aus ihren Sta­dien zu ver­bannen. Und wie bestellt, ver­öf­fent­lich-
te einige Jahre später eine Kom­mis­sion unter der Lei­tung von Lord Taylor of Gos­forth einen Bericht, der 78 Maß­nahmen vorsah, um eine Kata­strophe wie Hills­bo­rough künftig unmög­lich zu machen. Die Besei­ti­gung von gefähr­li­chen Begren­zungs­zäunen gehörte ebenso dazu wie die bes­sere Kon­trolle des Ticket­ver­kaufs an Gäs­te­fans. Vor allem aber emp­fahl die Taylor-Kom­mis­sion wie schon Dou­glas Hurd, die Sta­dien aller großen Ver­eine in reine Sitz­platz­sta­dien umzu­wan­deln. Einen Vor­schlag, den die eng­li­sche Foot­ball League“ rasch auf­nahm und zur zwin­genden Vor­aus­set­zung für die Erst­li­ga­teil­nahme machte. Viele Ver­eine bauten dar­aufhin ihre Sta­dien um, einige auch schon, bevor die Vor­schriften in Kraft traten. Es kam ihnen dabei zupass, dass reine Sitz­platz­sta­dien deut­lich höhere Ein­nahmen ver­spra­chen. Wenige Zeit später über­nahmen auch der Welt­ver­band FIFA und der euro­päi­sche Ver­band UEFA diese Rege­lungen, wes­halb heute auch in deut­schen Sta­dien bei inter­na­tio­nalen Spielen aus­schließ­lich Sitz­plätze zuge­lassen sind. Wenn man so will, war die Kata­strophe von Hills­bo­rough die Geburts­stunde der modernen Hoch­glanza­renen. Sie sorgte, Ironie der Geschichte, auch dafür, dass die wohl stim­mungs­vollste Steh­tri­büne Europas, der Kop in Anfield, 1992 in eine Sitz­platz­tri­büne unge­wan­delt wurde.

So sehr sich viele eng­li­sche Anhänger die Rück­kehr der großen Steh­ter­rassen wün­schen, so ent­schieden wehren sich die Ange­hö­rigen der Opfer dagegen. Viele Eltern, aber auch viele Fans, die damals ver­letzt der Hölle von Hills­bo­rough ent­kamen, sind bis heute trau­ma­ti­siert, leiden unter Schlaf­lo­sig­keit und Panik­at­ta­cken. Gary Burns kann bis heute den Monat April nicht gedruckt und geschrieben sehen, nicht einmal als Halt­bar­keits­datum auf der Milch, nicht einmal als Datums­an­gabe auf der Zei­tung, ohne sich zu erin­nern. An den Druck, die Enge, die Schreie, die Toten. Im April beginnt der Früh­ling“, sagt Burns, in der Natur zeigt sich neues Leben, für mich aber ist der April kälter und dunkler als jeder Win­ter­monat.“ Die Kata­strophe hat die Men­schen und den Fuß­ball ver­än­dert. Im Wappen des FC Liver­pool wurden zu Ehren der Opfer zwei Flammen hin­zu­ge­fügt, vor dem Denkmal am Anfield-Road-Sta­dion liegen, auch 20 Jahre nach der Kata­strophe, jeden Tag noch fri­sche Blumen und Fan­schals aus aller Welt. Im April 2009, zur 20. Trau­er­feier, gab es einen beson­deren Got­tes­dienst. Es wurden noch einmal die Namen der getö­teten Fans ver­lesen:

John Anderson (62)
Colin Ash­croft (19)
James Aspi­nall (18)
Kester Ball (16)
Gerard Baron (67)
Simon Bell (17)
Barry Ben­nett (26)
David Benson (22)
David Wil­liam Birtle (22)
Tony Bland (22)
Paul Brady (21)
Andrew Brookes (26)
Carl Brown (18)
David Brown (25)
Henry Burke (47)
Peter Bur­kett (24)
Paul Car­lile (19)
Ray­mond Chapman (50)
Gary Church (19)
Joseph Clark (29)
Paul Clark (18)
Gary Collins (22)
Ste­phen Copoc (20)
Tracey Eliza­beth Cox (23)
James Delaney (19)
Chris­to­pher Devon­side (18)
Chris­to­pher Edwards (29)
Vin­cent Fitzs­im­mons (34)
Thomas Fox (21)
Jon-Paul Gil­hooley (10)
Barry Glover (27)
Ian Glover (20)
Der­rick Godwin (24)
Roy Hamilton (34)
Philip Ham­mond (14)
Eric Hankin (33)
Gary Har­rison (27)
Ste­phen Har­rison (31)
Peter Har­rison (15)
David Hawley (39)
James Hen­nessy (29)
Paul Hewitson (26)
Carl Hewitt (17)
Nicholas Hewitt (16)
Sarah Louise Hicks (19)
Vic­toria Jane Hicks (15)
Gordon Rodney Horn (20)
Arthur Hor­rocks (41)
Thomas Howard (39)
Thomas Howard (14)
Eric Hughes (42)
Alan John­ston (29)
Chris­tine Jones (27)
Gary Jones (18)
Richard Jones (25)
Nicholas Joynes (27)
Anthony Kelly (29)
Michael David Kelly (38)
Carl Lewis (18)
David Mather (19)
Brian Mathews (38)
Francis McAl­lister (27)
John McBrien (18)
Marion McCabe (21)
Joseph Daniel McCarthy (21)
Peter McDon­nell (21)
Alan McGlone (28)
Keith McGrath (17)
Paul Murray (14)
Lee Nicol (14)
Ste­phen Francis O’N­eill (17)
Jona­thon Owens (18)
Wil­liam Pem­berton (23)
Carl Rimmer (21)
David Rimmer (38)
Graham Roberts (24)
Steven Robinson (17)
Henry Rogers (17)
Colin Sefton (23)
Inger Shah (38)
Paula Smith (26)
Adam Spear­ritt (14)
Philip Steele (15)
David Thomas (23)
Patrik Thompson (35)
Peter Thompson (30)
Stuart Thompson (17)
Peter Tootle (21)
Chris­to­pher Traynor (26)
Martin Traynor (16)
Kevin Tyr­rell (15), Colin Wafer (19)
Ian Whelan (19)
Martin Wild (29)
Kevin Wil­liams (15)
Graham Wright (17).

Sie starben am 15. April 1989, bloß weil sie ein Fuß­ball­spiel sehen wollten.


Hin­weis: Dieser Text erschien erst­mals in unserem 11FREUNDE-Spe­zial Die Acht­ziger“