Bei der Einführung der Conference League war die Skepsis groß. Jetzt ist die Begeisterung bei den Fans der beiden Finalisten riesig. Roma-Trainer José Mourinho spricht sogar vom wichtigsten Finale seiner Karriere.
Am 21. Oktober 2021 scheint es, als sei José Mourinho am Tiefpunkt seiner Trainerkarriere angekommen. Der zweifache Champions-League-Sieger hat soeben mit der AS Rom 1:6 auf einem Kunstrasenplatz beim norwegischen Meister FK Bodø/Glimt verloren – in der Vorrunde eines von vielen als überflüssig betrachteten Wettbewerbs namens UEFA Conference League, begleitet von gerade einmal 166 Auswärtsfans.
Nach der höchsten Niederlage seiner Laufbahn greift Mourinho seine eigene Mannschaft öffentlich an. Er habe nun einmal nicht genügend gute Spieler im Kader, die zweite Reihe sei einfach zu schlecht. Angesichts der Niederlage gegen einen derart unbekannten Gegner mit einem deutlich geringeren Etat wirkt diese Begründung geradezu abenteuerlich. Für viele Zeitungen ist zu diesem Zeitpunkt bereits klar: Der Lack ist ab, die Magie vorbei. Auch bei der Roma würde der 59-jährige Portugiese, für den es zuvor schon bei Tottenham und Manchester United eher mittelmäßig gelaufen war, nicht an frühere Erfolge anknüpfen können.
Ein halbes Jahr später sieht die Welt anders aus: Mourinho und die Roma stehen im Finale der Conference League gegen Feyenoord Rotterdam – und der vermeintlich unbedeutende Wettbewerb hat bei den Finalteilnehmern echte Begeisterung ausgelöst. Über 100.000 Fans beider Lager sollen in der albanischen Hauptstadt Tirana sein, obwohl das Stadion lediglich Platz für 22.000 Menschen bietet. Zum Public Viewing werden sowohl im Stadio Olimpico als auch im Feyenoord Stadion über 50.000 Zuschauer erwartet.
„Wettbewerb für fußballerisch unterentwickelte Länder“
Besonders groß ist die Sehnsucht nach dem Titel in Rom. Feyenoord ist immerhin 15-facher niederländischer Meister, gewann in den 1970er Jahren sogar den Pokal der Landesmeister und den Weltpokal und holte vor zwanzig Jahren im Finale gegen Borussia Dortmund den UEFA-Cup. Die Titelsammlung des dreimaligen italienischen Meisters AS Rom fällt im Vergleich dazu eher spärlich aus. 1961 gelang mit dem Gewinn des Messepokals der erste und einzige internationale Erfolg.
Das ist zum einen bereits über sechzig Jahre her, zum anderen wird der Vorgängerwettbewerb des UEFA-Cups nicht einmal offiziell von der UEFA anerkannt. Zweimal erreichte der stolze Hauptstadtklub noch internationale Endspiele, verlor aber sowohl das Finale um den Pokal der Landesmeister 1984 gegen den FC Liverpool als auch das UEFA-Cup-Endspiel 1991 gegen Inter Mailand. Über die Landesgrenzen hinaus im Gedächtnis geblieben sind eher hohe Pleiten wie die 1:7‑Niederlagen gegen Manchester United 2007 oder den FC Bayern 2014.
Mourinho hat schnell erkannt, dass er sich mit einem Titelgewinn bei den leidenschaftlichen Anhängern unsterblich machen könnte. „Das hier ist ein großer Klub, aber für einen Klub mit dieser sozialen Bedeutung ist der Trophäenraum nicht groß genug. Der Finaleinzug ist noch kein Titel, doch er bedeutet den Menschen hier sehr viel“, sagte er nach dem mit 1:0 gewonnenen Halbfinal-Rückspiel gegen Leicester City vor drei Wochen. Zuvor war im Viertelfinale beim Wiedersehen mit Bodø/Glimt die Revanche geglückt – nach einer 1:2‑Hinspielniederlage gewann die Roma vor über 60.000 Anhängern im ausverkauften Olympiastadion mit 4:0. Kleinreden lässt man sich den Erfolg ungern. Kritik wie von Ex-Roma-Coach Zdenek Zeman, der von einem „Wettbewerb für fußballerisch unterentwickelte Länder“ sprach, sorgten bei den Fans, die bereits seit Wochen im Finalfieber sind, für Empörung. Mourinho antwortete darauf gar nicht erst.
Anders als man es von einem Trainer mit seiner Historie vielleicht erwartet hätte, hat er die zahlreichen Spiele gegen kleine Vereine wie Bodø/Glimt oder Vitesse Arnheim keineswegs mit Missachtung gestraft, sondern wollte unbedingt ins Finale kommen. Nach dem Halbfinalsieg im voll besetzten Stadio Olimpico verdrückte er sogar ein paar Tränen. Der Mann, der bereits zweimal die Champions League und mit Manchester United auch die Europa League gewonnen hat, sagt nun: „Es wird das wichtigste Finale meiner Karriere.“
Es sind Sätze wie dieser, mit denen Mourinho die Herzen der Roma-Fans erobert hat. Schon die Ankündigung seiner Verpflichtung hatte große Euphorie in der Stadt ausgelöst. Und obwohl der neue Coach mit seiner Mannschaft eine auf den ersten Blick keineswegs berauschende Saison spielt und in der Liga lediglich auf Rang sechs gelandet ist, standen die Tifosi zu jedem Zeitpunkt hinter ihm – selbst nach dem peinlichen 1:6 in Norwegen. Nach dem 3:0‑Erfolg im Stadtderby gegen Lazio am 20. März verglich ihn der in Rom ansässige „Corriere dello Sport“ bereits mit Nils Liedholm und Fabio Capello, den beiden erfolgreichsten Trainern der Klubgeschichte: „Wir wissen zwar nicht, ob Mourinho so viel gewinnen wird wie Liedholm oder Capello, doch schon jetzt, nach neun wechselhaften Monaten, ist er der am meisten geliebte Trainer in der Geschichte der Giallorossi.“
Dabei ist Rom für Trainer traditionell ein schwieriges Pflaster. Ein Lied davon singen kann etwa der aktuelle Napoli-Coach Luciano Spalletti. Der wurde 2017 mit 87 Punkten Vizemeister – ist bei vielen Fans aber bis heute verhasst, weil er es gewagt hatte, den 40-jährigen Francesco Totti in der Regel nur noch in den Schlussminuten einzuwechseln. Mourinho holte zwar 24 Punkte weniger als Spalletti, doch nackte Zahlen sind für die Fans offensichtlich nicht entscheidend. So schreibt der „Corriere“ weiter: „Mit Mourinho auf der Bank ist für den Roma-Fan das Ergebnis nicht mehr das Wichtigste.“
„Mit Mourinho auf der Bank ist für den Roma-Fan das Ergebnis nicht mehr das Wichtigste.“
Zugute kommt Mourinho, dass die Ergebnisse vor allem in der zweiten Saisonhälfte immer häufiger stimmten. Der Coach setzt weiterhin auf einen pragmatischen Spielstil und hat eine dafür nötige solide Defensive um Ex-Manchester-United-Verteidiger Chris Smalling und den italienischen Nationalspieler Gianluca Mancini gebildet. Mit dem offensiven Mittelfeldspieler Lorenzo Pellegrini führt die Mannschaft wie früher Totti ein gebürtiger Römer als Kapitän aufs Feld, und im Angriff steht mit Tammy Abraham ein Mittelstürmer, der nach einigen wechselhaften Jahren bei Chelsea zu seiner Topform gefunden hat. Mit neun Toren, darunter das 1:0 gegen Leicester, hat er großen Anteil am Einzug ins Finale – und scheint sich wie sein Trainer in Rom verliebt zu haben. Einige Angebote aus der Premier League soll der bei den Fans beliebte Stürmer abgelehnt haben.
Trotz der öffentlichen Kritik nach dem 1:6 in Norwegen hat Mourinho offenbar inzwischen auch die Spieler geschlossen hinter sich gebracht – was in der Vergangenheit als eine seiner größten Stärken galt. Die betonen nun bei jeder Gelegenheit, ihrem Coach blind zu vertrauen und glauben daran, dass er sie zu einem Titelgewinn führen kann.
Ebenso fest daran glauben vermutlich die 166 Fans, die das Team bei ihrem Saison-Tiefpunkt an einem eisigen Donnerstagabend im Oktober in Norwegen begleitet hatten. Alle 166 werden auch heute Abend im Stadion dabei sein. Als Dankeschön für ihre Treue versorgte sie der Verein mit Freikarten für das Finale.
-