In einer überschaubaren Zeitspanne ist Tim Wiese von der Nummer 2 in der deutschen Nationalmannschaft zum ausgebooteten Problemkeeper bei der TSG Hoffenheim geworden. Die Chronik eines Abstiegs.
Unlängst gab der Manager der TSG Hoffenheim, Andreas Müller, bekannt, dass Tim Wiese auch über die Winterpause hinaus im Kraichgau bleibt. Diese Nachricht überrascht insofern, als dass niemand einen Verbleib Wieses bei der TSG irgendwie in Frage gestellt hätte, schließlich wechselte der Keeper erst im Sommer unter großem Trara nach Sinsheim. Müllers unverlangtes Dementi scheint darauf hinzudeuten, dass ein vorzeitiger Abgang des ehemaligen Nationaltorhüters zumindest intern bei der TSG ein Thema ist, bzw. war. Nach der kurz zuvor erfolgten und völlig unnötigen Demontage des ohnehin verletzten Keepers durch Trainer Babbel nun also ein weiterer vorläufiger Tiefpunkt des Missverständnisses Wiese – Hoffenheim? Fakt ist: Beim ehemaligen Nationaltorwart ist in letzter Zeit viel schief gelaufen. Die Chronik eines schleichendes Abstiegs.
April 2011
Nach sechs Jahren bei Werder Bremen rückt das erste Mal ein Wechsel in den Bereich des Möglichen. Wiese hat einen Vertrag bis 2012, wird aber bereits in der Sommerpause 2011 mit Schalke und Wolfsburg in Verbindung gebracht. Wiese sagt gegenüber dem „kicker“, dass er „gerne bei Bremen bleiben“ würde, betont allerdings auch: „Wenn Bremen mich verkaufen muss, können wir darüber reden“.
Juli 2011
Vertragsgespräche zwischen Wiese und Werder finden statt, eine Einigung kommt aber nicht zustande. Wiese, mittlerweile Nummer 2 in der deutschen Nationalmannschaft, sagt zu einem angeblichen Interesse aus Wolfsburg: „Wenn ein Angebot kommt, müssen wir darüber reden“.
Januar 2012
Nach einer durchwachsenen Hinrunde erhöht Wiese den Druck auf Manager Allofs, will Klarheit. „Ich habe viele Angebote. Es gibt aber noch kein konkretes Angebot von Werder, daher weiß ich nicht, wie es weitergeht. Bis Anfang April will ich Klarheit haben, sonst muss ich mich anderweitig umschauen.“
4. April 2012
Wiese steht zu seinem Ultimatum. „Ich werde Werder nach dieser Saison verlassen. Ich hatte sehr schöne Jahre in Bremen, nun geht die Zeit zu Ende. Das ist schade, aber ich wollte etwas Neues“. Die Gerüchteküche brodelt umgehend. Wiese soll ein unterschriftsreifer Vertrag von Real Madrid vorliegen, auch Tottenham Hotspur, der AC Mailand und Schalke 04 sollen Interesse haben. Auch erste Gerüchte zur TSG Hoffenheim machen die Runde, Wiese selber betont, „Champions League spielen“ zu wollen.
11. April 2012
Wiese scheint einen neuen Klub gefunden zu haben. Gegenüber der „Sportbild“, sagt er: „Ich habe dort langfristig unterschrieben. Es ist ein Club, der dauerhaft um Titel mitspielen wird und finanziell nicht am Hungertuch nagt. In meiner Entscheidung ging es mir vor allem um die Perspektive des Vereins. Die wird mir geboten. Unten rumkrebsen, das wollte ich nicht mehr. Ich will oben mitspielen.“ Den Namen des Klubs verrät er nicht, die gesamte Aussage revidiert er zwei Wochen später.
23. April 2012
Hoffenheims Trainer und Manager Markus Babbel macht beim Thema Wiese keine sonderlich souveräne Figur. Lediglich ein „Gerücht“, heißt es zunächst, „Stand heute ist nichts dran“, wenig später am gleichen Tag. Am 24. April sagt Babbel schließlich gegenüber der „Bild“: „Es ist noch nix perfekt, aber wenn so ein Spieler auf dem Markt ist, dann müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um ihn zu kriegen“.
28. April 2012
Fanproteste in Hoffenheim. Die Anhänger stehen einer etwaigen Verpflichtung Tim Wieses kritisch gegenüber und äußern beim Heimspiel gegen Nürnberg ihren Unmut. Auch Stammtorwart Tom Starke zeigt sich irritiert. „Wenn die Verantwortlichen meinen, Tim Wiese holen zu müssen, sollen sie es machen. Ich kann es mir aber nicht vorstellen“, meint der Keeper, der eine solide Saison spielt und eine der wenigen Identifikationsfiguren für die Fans ist.
2. Mai 2012
Wiese kokettiert mit einem Wechsel zu Real Madrid. „Wenn solche Gerüchte auftauchen, ist meist etwas dran. Es gibt Kontakt zwischen Madrid und meinem Berater.“ Später am Tag ist die Katze ist aus dem Sack: Tim Wiese wechselt zur TSG Hoffenheim. Er unterschreibt einen Vertrag bis 2016 und soll jährlich ca. 2,8 Millionen verdienen. Neben primär familiären Gründen gibt Wiese zu Protokoll: „Der Verein hat mit Markus Babbel einen Super-Trainer. Er ist der zweite Grund für meinen Wechsel. Ich sage: Wir werden gemeinsam einiges erreichen!“
24. Juli 2012
Nach der EM steigt Wiese ins Training bei der TSG ein. „Wir wollen international spielen“, lauten Wieses ehrgeizige Ziele, die sich mit denen des ambitionierten Klubs decken.
9. August 2012
Markus Babbel ernennt Tim Wiese zum Kapitän.
10. August 2012
Tim Wiese wird nicht für das Länderspiel gegen Argentinien nominiert. Bei Trainer Markus Babbel stößt das auf Unverständnis: „Ich bin schon etwas überrascht, dass Tim nicht mehr dabei ist. Mit 30 ist er im besten Torwartalter, hat immer seine Leistung gebracht und sich im Kreis der Nationalmannschaft stets vorbildlich verhalten. Es ist schwer nachzuvollziehen.“ Wiese selber nimmt die Nichtberücksichtigung sehr souverän: „Ich respektiere, dass die jüngeren Torhüter stärker eingebunden werden sollen. Wenn’s brennt, stehe ich bereit.“
18. August 2012
Die TSG Hoffenheim blamiert sich in der ersten Runde des DFB-Pokals beim Regionalligisten Berliner AK 07 mit 0:4. Die „Bild“ titelt: „Wiese wird zur Witzfigur“.
23. September 2012
Nach drei Niederlagen zu Saisonstart fällt Wiese mit einer Adduktorenverletzung aus. Trainer Babbel: „Ich hätte Tim gerne im Tor gehabt. Wenn er wieder fit ist, spielt er auch wieder. Er ist schließlich unser Kapitän.“ Mit Ersatzmann Koen Casteels holt Hoffenheim in vier Spielen sieben Punkte.
19. Oktober 2012
Beim 3:3 gegen die SpVgg Greuther Fürth steht Wiese wieder im Tor.
3. November 2012
Ein fast vergessenes Gefühl: Im Spiel gegen Schalke 04 ist Wiese der überragende Mann auf dem Platz und sichert seiner Mannschaft mit zahlreichen Paraden den 3:2‑Sieg.
25. November 2012
Beim Abschlusstraining vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen zieht sich Wiese eine Knieverletzung zu. Die Hinrunde ist gelaufen.
26. November 2012
Nach dem 1:2 gegen Leverkusen demontiert Babbel den verletzten Kapitän öffentlich. Der Trainer gegenüber Sky: „Ich habe unter der Woche darüber nachgedacht, einen Torwartwechsel vorzunehmen. Leider hat sich der Tim verletzt, dadurch ist mir die Entscheidung ein Stück weit abgenommen worden. Ich hätte mich aber höchstwahrscheinlich für Koen Casteels entschieden“
28. November 2012
Es geht drunter und drüber im Kraichgau. Die Mannschaft steht auf dem Relegationsplatz, Trainer Babbel vor dem Rauswurf. Gegen Nürnberg heute Abend wird Babbel noch auf der Bank sitzen, auf der Einladung zur Pressekonferenz für das Spiel gegen Bremen am kommenden Wochenende fehlt Babbels Name bereits. Tim Wieses Bilanz liest sich derweil bescheiden: In acht Ligaspielen musste Wiese 23 Gegentore hinnehmen. Zu einem möglichen Abgang Wieses bereits in der Winterpause heißt es seitens Manager Andreas Müller: „Die Frage stellt sich überhaupt nicht. Wir werden ihn nicht fallenlassen.“