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Ajax Ams­terdam ist der Underdog schlechthin in dieser Cham­pions-League-Saison. Keiner hatte diesen Lauf bis ins Halb­fi­nale erwartet, keiner konnte sich vor­stellen, dass Ajax in Europas Spit­zen­klasse wieder groß auf­spielt. Zuletzt hatte der Klub 2005/06 über­haupt die K.o.-Phase der Cham­pions League erreicht. Aber spä­tes­tens nach Achtel- und Vier­tel­fi­nale, als die junge Mann­schaft nach­ein­ander den Titel­ver­tei­diger Real Madrid und Ita­liens Meister Juventus Turin aus dem Wett­be­werb warf, ist der eins­tige Underdog keiner mehr – son­dern das Cham­pions-League-Mär­chen schlechthin.

Im Schatten dieser fabel­haften Erzäh­lung schreibt aller­dings auch Ajax‘ Halb­fi­nal­gegner seine ganz eigene Geschichte. Bloß: Kaum jemand spricht dar­über. Dabei ist die Saison von Tot­tenham Hot­spur min­des­tens genauso mär­chen­haft.

Tot­tenham schreibt Geschichte, Pochet­tino ist der Autor

Zum ersten Mal in der Ver­eins­ge­schichte steht Tot­tenham im Halb­fi­nale der Cham­pions League (im Euro­pa­pokal der Lan­des­meister erreichte Tot­tenham einmal, 1961/62, die Runde der letzten Vier). Dabei ist der Verein in Zeiten von Super­klubs und Scheich­mil­lionen schon in der hei­mi­schen Pre­mier League eher der Außen­seiter der Top 6“.

Vor der Saison for­derte Trainer Mau­ricio Pochet­tino eine mutige und ris­kante Trans­fer­po­litik. Er bekam von Klub­be­sitzer Daniel Levy: nicht einen ein­zigen neuen Spieler. Auf dem über­hitzten Markt Pre­mier League, wo selbst Abstiegs­kan­di­daten Spieler für 20 Mil­lionen Pfund kaufen, um sie dann auf die Bank zu setzen, wirkte das bei­nahe wie eine kon­ser­va­tive Gegen­be­we­gung. Konnte das gut­gehen?

Und ob! Die Mann­schaft besiegte im Cham­pions-League-Vier­tel­fi­nale mit Man­chester City eben einen sol­chen Super­klub. Im Ach­tel­fi­nale hatte man gegen den dama­ligen Bun­des­li­ga­ta­bel­len­führer Borussia Dort­mund in Hin- und Rück­spiel gewonnen.

Kleines Licht im Lam­pen­laden Pre­mier League

Das Halb­fi­nale ist der Höhe­punkt einer Ent­wick­lung, die Poch“ vor­an­treibt, seitdem er 2014 die Mann­schaft über­nahm. Unter seiner Füh­rung wurden die Spurs Vize­meister, kehrten nach der Pre­miere vor neun Jahren in die Cham­pions League zurück und spielen auf­re­genden, begeis­ternden Offen­siv­fuß­ball. Doch dass sie die Hand nach einem euro­päi­schen Finale aus­stre­cken würden, damit habe im Vor­feld der Saison nie­mand gerechnet, sagte Pochet­tino vor dem schweren Rück­spiel heute Abend.

Seit seinem Amts­an­tritt ver­kauft er seine Mann­schaft als kleines Licht im Lam­pen­laden Pre­mier League. Glaubt man dem Trainer, könnte man meinen, die Spurs gingen jede Woche weit über ihr eigent­li­ches Leis­tungs­ni­veau hinaus. Tief­sta­peln, hoch gewinnen. Das Ziel sei es, so pos­tu­lierte Pochet­tino immer wieder, zum Sai­son­ende kon­stant unter den ersten vier der Pre­mier League zu landen. Und in der Cham­pions League?

Auf euro­päi­scher Ebene schien jedes Spiel Bonus zu sein. Erst recht, nachdem die Mann­schaft weder im ver­gan­genen Sommer noch in der Win­ter­pause mit neuen Spie­lern ver­stärkt wurde. Tot­ten­hams Leis­tungen waren solide, aber nicht über­ra­gend. Die Auf­merk­sam­keit zogen dem­entspre­chend die Kon­kur­renten aus der Pre­mier League auf sich oder die euro­päi­schen Schwer­ge­wichte aus Madrid und Bar­ce­lona, Turin und Mün­chen. Und als die Mann­schaft dieses Jahr dann doch Gefahr lief, ins Ram­pen­licht zu geraten, weil sie trotz aller Wid­rig­keiten Runde für Runde über­stand, kam mit Ajax ein noch grö­ßerer Underdog um die Ecke. Zwei Under­dogs können in einem K.o.-Spiel aber nicht gegen­ein­ander antreten. David gegen David? So funk­tio­niert der Fuß­ball nicht.

Bis zum Halb­fi­nale konnte Ajax‘ nächste gol­dene Gene­ra­tion viel­leicht befreit auf­spielen. Doch gegen Tot­tenham hat sich der Wind gedreht. Heute Abend hat sie zum ersten Mal etwas zu ver­lieren, gerade nach dem 1:0‑Hinspielsieg. Den Vor­sprung. Die Euphorie. Die Erzäh­lung. Die Krö­nung einer fan­tas­ti­schen jungen Mann­schaft, die im Sommer auf dem Trans­fer­markt zer­pflückt werden wird. Alles also.

Europa will die Cin­de­r­ella-Story

Pochet­tino und Tot­tenham hin­gegen brau­chen sich darum nicht zu sorgen: Wir haben von Beginn an nichts zu ver­lieren“, sta­pelte der Trainer auf der Pres­se­kon­fe­renz vor dem Rück­spiel mal wieder tief.

Aber diesmal zurecht: Ihr Gegner hat sich seit Jah­res­be­ginn in einen euro­päi­schen Daur­rausch gespielt. Ganz Europa scheint sich nach dem wun­der­baren Ende der Ams­ter­damer Cin­de­r­ella-Story zu sehnen. Tot­tenham hin­gegen hat aus den letzten zehn Liga­spielen nur elf Punkte geholt, Platz vier ging nur wegen gleich­zei­tiger Schwä­che­phasen der Kon­kur­renz von United und Arsenal nicht ver­loren. Die letzte wirk­lich über­zeu­gende Mann­schafts­leis­tung war das 1:0 im Vier­tel­fi­nal­hin­spiel gegen City. Tot­ten­hams dünner Kader ist auf dem Zahn­fleisch in dieses Halb­fi­nale gekro­chen.

Immerhin auf den Social-Media-Kanälen ver­breiten sie die frohe Kunde, dass im Fuß­ball immer alles mög­lich sei. Believe“ lautet das Motto für das Spiel gegen Ajax.
 

Tonight is the night. We believe. #UCL ⚪️ #COYS pic​.twitter​.com/​v​h​6​7​R​ESWT5

— Tot­tenham Hot­spur (@SpursOfficial) 8. Mai 2019

Trotzdem: Gefühlt hat sich Fuß­ball­eu­ropa schon mit dem Aus­scheiden der Spurs abge­funden. Umso größer wäre die Über­ra­schung, sollte das heim­liche Tot­ten­hamer Euro­pa­mär­chen doch noch ein Happy End finden.