Matt Le Tissier spielt wieder Fußball. Für seine Heimatinsel Guernsey lief der 44-Jährige neulich in der achten Liga auf. Wir haben ihn für unsere Reportage in Ausgabe #139 (ab Donnerstag im Handel) besucht – und sprachen über Thomas Müller, Mario Götze und einen Fußballmarathon.
Matt Le Tissier, was halten Sie von Mario Götze?
Ein super Spieler, behauptet jemand was anderes?
Viele BVB-Fans dachten, er könnte ihr Matt Le Tissier werden.
Der Spieler, der seine komplette Karriere bei einem Klub spielt? Ich habe schon gehört, dass die Enttäuschung über seinen Wechsel zum FC Bayern sehr groß ist.
Sie haben 17 Jahre bei ein und demselben Klub gespielt: dem FC Southampton. Stimmt Sie das heutige Nomadentum im Fußball nicht traurig?
Was heißt traurig? Es ist der Lauf der Dinge. Die Spieler wissen, dass ihre Karriere zeitlich begrenzt ist und wollen daher das Beste rausholen. Und wenn du bei einem anderen Klub nicht mehr nur 100.000 Pfund im Monat, sondern in der Wochen verdienen kannst, nimmst du das Angebot an. Ganz ehrlich: Ich hing zwar an Southampton, das war mein Herzensverein. Doch wenn da ein richtig großer Klub gekommen wäre, dann hätte ich mir einen möglichen Wechsel auch gründlich überlegt. Die Sache war: Es gab kaum Angebote. (lacht)
Kaum vorstellbar. Sie gelten als einer der prägenden Mittelfeldspieler der neunziger Jahre. Barcelonas Xavi nennt Sie heute noch seinen größten Einfluss.
Gut, aber Sie wissen ja, wie man mich sah – und wie ich mich selbst einschätzte.
Sie schreiben auf Ihrer Twitter-Seite über sich selbst: „Slightly lazy – but gifted“, ein bisschen faul, aber talentiert.
Ich denke, das trifft es ganz gut, oder?
Sie haben manchmal halbe Mannschaften ausgespielt, und trotzdem sah Ihr Spiel weder rasant noch übermäßig spektakulär aus. Xavi sagte mal: „Der Mann ging einfach durch die Gegner durch“. Welcher Spieler kann das heute noch?
Ich beobachte vornehmlich Spieler, die auf meiner Position spielen. Zum Beispiel finde ich Mesut Özil großartig. Oder Thomas Müller! Ein toller Spieler. Der spielt so herrlich einfach, ist technisch aber trotzdem beschlagen. Der geht auch durch die Gegner durch, ohne großen Zirkus. Müller ist mein Mann!
In England gibt es keinen Spieler, den Sie bewundern?
Klar, da gibt es einige. Doch wie Sie mitbekommen haben, hat sich der englische Fußball in dieser Champions-League-Saison nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Woran liegt das eigentlich?
Viele Leute sagen, dass das Niveau der Premier League gesunken sei. Ich denke eher, dass es nach wie vor hoch ist. Der Unterschied zu früher ist allerdings, dass die deutschen Topklubs, Borussia Dortmund und der FC Bayern, in den vergangenen drei Jahren immens aufgeholt haben. Und mehr noch: Sie haben die englischen Teams überholt. Nächstes Jahr wird es aber wieder besser für uns laufen. Ich rechne mit einem Halbfinalisten und vielleicht sogar einem Finalisten aus England. Optimistisch, nicht wahr?!
Demnach war es keine Überraschung für Sie, als Pep Guardiola beim FC Bayern und nicht beim FC Chelsea unterschrieb.
Nicht wirklich. Schauen Sie sich die Champions-League-Saison der Bayern an: Das Team ist vermutlich das beste der Welt. Guardiola hat das sehr früh erkannt. Außerdem ist der FC Bayern ein Klub mit großer Tradition. Ich habe die Aufregung über seine Entscheidung pro Bayern überhaupt nicht verstanden.
Wer gewinnt denn die Champions League?
Ich wäre sehr erstaunt, wenn es nicht der FC Bayern wird. Es wäre auch ein Stück weit gerecht, gerade nach dem Finale 2012, als die Bayern gegen Chelsea die bessere Mannschaft waren.
Sie arbeiten momentan als Experte bei „Sky England“. Zuletzt ging es bei Interviews mit Ihnen auch oft um den Klub auf Ihrer Heimatinsel Guernsey.
Das stimmt, ich versuche den Guernsey FC immer wieder ein wenig zu promoten. Wir haben kürzlich sogar ein kleines Feature über den Klub gedreht.
Die Mannschaft ist nun von der achten in die siebte Liga aufgestiegen – und Sie haben sogar Ihr Comeback gegeben. Wie war’s?
Schwierig zu beurteilen. Im Spiel gegen Colliers Wood United (am 24. April 2013, d. Red.) habe nicht sonderlich viele Ballberührungen gehabt, zudem lagen wir bereits 2:4 hinten, als ich eingewechselt wurde. Das Spiel lief irgendwie an mir vorbei.
Es gilt also immer noch der Satz „Slightly lazy – but gifted“?
An meinem Spielstil habe ich nichts geändert. (lacht) Neulich habe ich mit ein paar ehemaligen Southampton-Spielern gegen ein lokales Team gekickt. Wir haben 5:2 gewonnen, und ich habe zwei Tore vorbereitet und einen Elfmeter versenkt. Alles wie früher also (in seiner Zeit bei Southampton verwandelte Matt Le Tissier 47 von 48 Elfmeter, d. Red.).
Sie fühlen sich fit?
Absolut. Ich trainiere gerade für einen Halbmarathon.
Apropos Marathon: Die Situation in Guernsey war in diesem Frühjahr kompliziert. Weil im Winter zahlreiche Spiele ausfielen, musste die Mannschaft zwischen Ende März und Anfang Mai 21 Spiele austragen.
Nur aus diesem Grund habe ich ja wieder mitgespielt. Erst sagte ich: „Ihr werdet doch keinen 44-Jährigen brauchen.“ Doch weil sich aufgrund des Spielemarathons der Kader schnell ausdünnte, kam der Trainer wieder auf mich zu.
Was haben Sie denn gedacht, als Sie erstmals den modifizierten Spielplan gesehen haben?
Ich dachte, was vermutlich alle dachten: Das kann doch verdammt nochmal nicht wahr sein! Ich hatte gehofft, noch einmal mit den Verantwortlichen bei der FA reden können, um die Saison nach hinten zu verlängern. Doch die FA zeigt sich nicht immer hilfreich, wenn es um unterklassige Teams geht. Klubs unterhalb der League 2 scheinen für die Herren manchmal lästig zu sein.
Sie hatten aber vor, in dieser Saison mal mitzukicken?
Guernsey ist wie Southampton eine Herzensangelegenheit. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. In meiner Kindheit und Jugend spielte ich in der lokalen Insel-Liga für Vale Recreation FC. Ich fand die Idee toll, noch einmal hier zu kicken.
Sie sind ja auch Ehrenpräsident beim Guernsey FC.
Der Klub wurde erst vor zwei Jahren gegründet. Das geschah vornehmlich aus dem Grund, um am überregionalen Ligabetrieb der FA teilnehmen zu können und den Leuten hier das Gefühl zu geben, richtig mitzumischen im englischen Fußball. Mein Bruder Mark wurde Sportdirektor, ich Ehrenpräsident, der ehemalige Halbprofi Tony Vance ist Trainer. Im September 2012 meldeten sie mich bei der FA an. Allerdings ahnten wir da noch nichts von dem Mammutprogramm.
Ihre Mutter soll nicht begeistert gewesen sein, als Sie Ihr Comeback verkündeten.
Mütter! (lacht) Mütter machen sich immer Sorgen. Sie ist großer Fußballfan und hat sogar eine Dauerkarte für den Guernsey FC. Sie befürchtet allerdings, dass ich mich verletzte.
Wie oft sind Sie denn noch in Guernsey?
Ich lebe in England, doch fliege ein paar Mal im Monat rüber. Wenn ich bei den Spielen nicht im Stadion sein kann, gucke ich sie mir in der Wiederholung oder im Stream an. Kennen Sie den Guernsey-Stream?
Ja.
Großartig, nicht wahr?! Manchmal, bei Auswärtsspielen, sitzen da mehrere hundert Leute in den Pubs und feuern uns an. Das macht mich wirklich glücklich.
Wissen Sie, wie viele Fans in Deutschland zu einem Siebt- oder Achtligisten kommen?
Sagen Sie es mir.
20 bis 30.
In Guernsey haben wir einen Schnitt von über 1500. Das hängt natürlich auch mit der Insel-Situation zusammen – und letztendlich mit den Erfolgen in den vergangenen zwei Jahren. Wir sind nun zum zweiten Mal in Folge aufgestiegen und waren im Pokal im Halbfinale. Damals kamen 4500 Leute ins Footes Lane. Wahnsinn!
Trauen Sie der Mannschaft den Durchmarsch in den Profibetrieb zu?
Ich denke, dass wir es in den semiprofessionellen Fußball schaffen können. Was danach kommt: abwarten.
Der Klub ist schon so professionell aufgestellt wie vermutlich kein anderer Siebt- oder Achtligist.
Guernsey ist eine reiche Insel, das stimmt. Und das Stadion, die Mitarbeiter, die ganze Infrastruktur – das ist alles außergewöhnlich, wenn man das Level betrachtet, auf dem wir momentan spielen. Allerdings vergessen die Leute oft, dass wir einige Auflagen von der FA zu erfüllen haben. Wir müssen zum Beispiel den Gästeteams die Anreise und die Unterbringung auf der Insel bezahlen. Da kommen schnell mal 4000 Pfund pro Spiel zusammen.
Matt Le Tissier, jetzt haben wir noch gar nicht über den FC Southampton gesprochen.
Frechheit (lacht).
Sie müssen sehr zufrieden sein.
Und ob. Viele Experten hatten die Mannschaft als sicheren Absteiger eingeplant – und dann gewannen wir gegen Liverpool, Chelsea und Manchester City. Auch wenn wir am Ende etwas geschwächelt haben: Es war eine tolle Saison!
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In 11FREUNDE #139: „Hunde, wollt ihr ewig spielen“, eine Reportage über den Marathonspielplan in Guernsey. Ab Donnerstag am Kiosk!