Monate voller Geisterspiele sind schon für ganz normale Fans kaum zu ertragen. Aber was ist mit den Allesfahrern, für die zum Teil jahrzehntelange Serien enden? Wir haben sechs von ihnen gefragt.
„Für mich gehört zum Fußball ein volles Stadion“
Seit ich denken kann, bin ich Dortmund-Fan. Das ist eben mein Heimatverein. Mittlerweile habe ich über 2100 Spiele des BVB gesehen und bin eigentlich noch lange nicht müde. Angefangen hat alles mit der Partie gegen den MSV Duisburg im Jahr 1965. Die Namen der Spieler weiß ich noch heute. Es war fast die Elf, die 1966 dann den Europapokal holte, nur Aki Schmidt war leider nicht dabei. Ansonsten bin ich eh ein wandelndes Lexikon über Borussia Dortmund. Seit der Verein 1974 ins Westfalenstadion umgezogen ist, war ich bei jedem Heimspiel dabei. Auswärts fahre ich auch zu praktisch jedem Spiel mit. Nur nach Gelsenkirchen und Leipzig nicht. Diese Vereine möchte ich nicht unterstützen, vor allem weil Leipzig nichts anderes als eine Produktwerbung ist.
Ich habe in meiner Zeit so viel gesehen. Ob mit dem Wohnmobil nach Rumänien oder mit dem Zug nach Donezk: Ich war überall dabei. Exotisch war auch meine Reise nach Tokio zum Weltpokal-Finale. Einmal war ich in Glasgow und musste am nächsten Tag arbeiten. Wegen des Nachtflugverbots konnte der Flieger nicht mehr starten und wir flogen erst am nächsten Morgen los. Ich bin direkt, in voller Fan-Montur, zur Arbeit gegangen und alle haben mich angestarrt. „Wo kommst du denn her?“, fragten sie. „Na, aus Glasgow, woher denn sonst?“ Meinen Urlaub habe ich immer nach den Spielen der Borussia ausgerichtet. Was mich reizen würde, wäre eine Auswärtsfahrt nach Irland. Das habe ich mit Dortmund nämlich noch nicht erlebt.
Als ich von der Saisonunterbrechung hörte, hoffte ich noch auf eine komplette Absage. Mir wäre es am liebsten gewesen, sie hätten gar nicht mehr gespielt. Der Fußball entwickelt sich dermaßen weg von den Fans, das nervt mich sehr. Mit den Geisterspielen kam für mich der Punkt, mich komplett vom Fußball abzuwenden. Die Partien habe ich auch nicht im Fernsehen verfolgt, nur die Zusammenfassungen in der Sportschau. Es gab zwar spaßeshalber die Überlegung mich als Balljunge zu bewerben, um vielleicht doch ins Stadion zu kommen, aber in meinem Alter war das Unternehmen aussichtslos. Hinzu wäre dann auch noch eine Quarantäne gekommen, weil ich nicht in Nordrhein-Westfalen lebe, sondern im niedersächsischen Osnabrück. Auch in der neuen Saison habe ich für mich den Entschluss gefasst, dass der Fußball zurzeit komplett überflüssig ist. Für mich gehört zum Fußball ein volles Stadion, und das passiert wohl erst, wenn es einen Impfstoff gibt. Vorher gehe ich nicht ins Stadion. Ganz oder gar nicht.
„Ein Tag hin, ein Tag zurück: eigentlich Wahnsinn“
Ich bin sauer auf die DFL und ihre Entscheidung pro Geisterspiele. Seit 1999 war ich bei jeder Partie des 1. FC Nürnberg. Bis auf eine: die Wiederholung gegen Alemannia Aachen im Januar 2004. Es war das erste Geisterspiel im deutschen Profifußball, deswegen konnte ich nicht hin. Aber bei der regulären ersten Partie war ich im Stadion, deswegen zählt das schon als durchgängige Serie. Ich habe keine Groundhopper-App oder führe Buch über meine Spiele, es waren aber bestimmt 1000 Stück. In den zwanzig Jahren gab es einige Highlights. Vor allem das Pokalfinale 2007 in Berlin. Auch die UEFA-Cup-Spiele danach waren klasse. Einmal sind wir einen ganzen Tag mit dem Bus nach Bukarest gefahren – und einen Tag wieder zurück. Für ein einziges Spiel. Eigentlich Wahnsinn, wenn man darüber nachdenkt. Die Reise nach Sankt Petersburg habe ich daraufhin lieber mit dem Flugzeug gemacht. Auswärts ist der Zusammenhalt stärker, dabei entstehen Freundschaften. Wenn man krasse Fahrten macht, wie etwa nach Kiel, als es nachts um drei Uhr losging, sind eben nur Menschen dabei, die wirklich zum Verein stehen.
Leider war nichts zu machen, bei unseren Geisterspielen doch irgendwie ins Stadion zu kommen. Anfangs dachte ich noch, dass ein Abbruch total okay wäre, vor allem als es bei Dynamo Dresden Corona-Fälle gab. Dadurch stiegen die Dresdner noch später ein und mussten quasi alle drei Tage spielen. Das war in meinen Augen Wettbewerbsverzerrung. Ein Saisonende wäre besser und logisch gewesen. In dieser Zeit fand bei mir eine Entfremdung vom Fußball statt. Die Spiele der Clubberer habe ich nur im Liveticker am Handy verfolgt. Ich habe die Übertragungen bewusst boykottiert, denn Fußball ist kein Fernsehprodukt. Selbst bei der Relegation war ich nicht vor dem Fernseher, sondern in Prag, bei einem Spiel von Dukla. Als ich gesehen habe, dass Ingolstadt 3:0 führt, war ich aber den Tränen nahe. Es ging schließlich um die Existenz des Vereins. Bei unserem Tor in der Nachspielzeit jubelten wir zu dritt in einem Park und schrien vor Freude, bis uns die Anwohner schräg anschauten.
Obwohl das erste Spiel der neuen Saison auswärts in Regensburg stattfand, bin ich durch Kontakte an Karten gekommen. Aber alles regelkonform, sozusagen als neutraler Fan. Es hat sich etwas komisch angefühlt. Trotzdem freute ich mich natürlich, wieder im Stadion zu sein. Es fehlt zwar noch viel zur Normalität, aber es ist besser als nichts.