Seit 1995 starben über 70 Fans im indonesischen Fußball. Jede Auswärtsfahrt könnte deshalb für die Ultras von Persija Jakarta die letzte sein. Ein Roadtrip durchs Kriegsgebiet.
Gegen 19 Uhr ist Abfahrt. Ein Gebet zu Beginn, die Fans bitten Gott, er möge Persijas Spieler stark und schnell machen. Dabei dröhnt „You’ll Never Walk Alone“ aus den Boxen, eine Coverversion der indonesischen Punkband Keotik. Danach Oasis, „Live Forever“, das Original. Maybe I just want to fly, singt Liam Gallagher, I want to live, I don’t want to die, es könnte ihr Soundtrack sein. Bei Kilometer 17 der erste Stop auf einem Rastplatz, und nun erkennt man auch den Ausmaß dieser Tour. Denn nicht nur die Crazy Boys sind auf dem Weg nach Surakarta, es sind Hunderte, Tausende, ein ganzer Konvoi schleppt sich in dieser Nacht über den Highway, einige sind sogar mit Mopeds unterwegs. Die Fans stolpern aus den Bussen und Autos hinüber zu den Satay-Verkäufern, und die Ciu-Flasche kreist durch die Reihen, „Mister, Mister, drink!“ Bier trinken sie nicht, kostet zu viel, betäubt zu wenig.
„In 30 Kilometern wird’s gefährlich!“ Was ist mit der Polizeieskorte? „Polizei? Die kommt heute nicht mehr.“
Vor der Weiterfahrt schaut Rifki Haikal auf sein Handy und prüft die Route. Der 20-Jährige trägt Windbreaker, britische Flat-Cap, Leeds in West-Java. „Noch sind wir sicher“, sagt er. „Aber in 30 Kilometern wird’s gefährlich!“ Was ist mit der Polizeieskorte? „Polizei? Die kommt heute nicht mehr.“ Früher hat Rifki in einem lokalen Supermarkt gearbeitet, jetzt ist er arbeitslos. Er träumt von einer eigenen Firma, will Klamotten produzieren, coole Slogans auf T‑Shirts drucken, so wie es die jungen Leute in England machen. Letztes Jahr war er dabei, als ihr Konvoi von Persib-Fans mit Steinen attackiert wurde und zwei Freunde starben. Einer lag schon am Boden, als die Angreifer mit einer Axt auf ihn einschlugen – bis er sich nicht mehr regte. Keine Gnade. Rifki schaut aus dem Fenster. Was dieser Vorfall mit ihm gemacht hat, kann er nicht sagen. Warum er trotzdem noch mitfährt schon: „Ich folge meinem Herzen. Gott beschützt mich.“ Dann schweigt er.
Bei Kilometer 39 knallt es zum ersten Mal. Einen Bus hat es erwischt, eine Scheibe ist zersplittert, verletzt ist aber niemand. Kurzer Halt mitten auf der Autobahn. Auf der Leitplanke sitzen Dinar und Raina. Sie sind 15 und 16 Jahre alt und die einzigen Mädchen im Bus. Sie gehen noch zur Schule. Auch sie wollen nicht über ihre Ängste sprechen. Lieber darüber, dass Persija stark sei. Und die Eltern? Hati-hati, immer vorsichtig sein, sagen sie. Neben ihnen setzt sich Anas auf die Straße, 17 Jahre jung, ebenfalls noch Schüler, ein Oasis-Shirt in der Größe XS flattert am Körper, eine halbe Portion, so schmal, dass man Sorge hat, die nächste Windböe könnte ihn zurück nach Jakarta wehen.
„So ist das mit Rivalen, bei Liverpool gegen Everton, bei West Ham gegen Millwall, überall“, sagt er und versucht grimmig zu gucken. „Überall geht es um Leben und Tod!“ Er nimmt einen Schluck aus der Ciu-Flasche, um die Chips runterzuspülen. Ob er Persib-Fans persönlich kenne, möchte man wissen. „Klar“, sagt er. „Viele in meiner Klasse sind Persib-Fans, auch Freunde.“ Und wenn du sie hier treffen würdest? „Dann müssten sie sterben.“ Er lächelt, seine Freunde lächeln auch, und Liam singt wieder von vorne: Lately, did you ever feel the pain?
Wenig später sind auch ein paar Polizisten vor Ort. Ein bisschen Präsenz zeigen. Sie schreiten mit ihren Pumpguns an den Leitplanken gemächlich auf und ab, als wären sie Schauspieler, die gerade ihre Rolle als Polizist durchgehen und darauf warten, dass jemand „Action“ ruft. Was ist Realität? Was ist Fiktion? Und wo sind überhaupt die Angreifer abgeblieben? Ach.