Mehr als 120 Menschen sind bei der Stadion-Katastrophe von Malang gestorben. Gewalt ist im indonesischen Fußball allgegenwärtig. Ein Roadtrip durchs Kriegsgebiet.
„Welcome to Jakarta“, hatten die Ultras von Persija kurz nach unserer Ankunft geschrieben. Ihr Verein ist einer der größten im Land, aber die Erfolge liegen schon einige Jahre zurück. 2001 gewann der Klub zuletzt die Meisterschaft. Aber das ist nun nebensächlich, denn das Spiel gegen Persib erzählt eine ganz eigene Geschichte. Es ist zwar nicht so farbenfroh wie das marokkanische Derby zwischen Raja und Wydad Casablanca und auch nicht so laut wie eines in Istanbul. Aber es geht so brutal zu wie bei vermutlich keinem anderen Fußballspiel auf der Welt. Es ist ein Duell, in dem sich das ganze Chaos entlädt. Der totale Exzess. Der Kampf zwischen der Hauptstadt und der Provinz West-Java.
Die Reise nach Surakarta beginnt am Donnerstag, den 2. November. Treffpunkt ist ein Supermarkt in Tambora, West-Jakarta, die Slums nur einen Steinwurf entfernt. Schon die einstündige Fahrt aus Zentral-Jakarta nach Tambora ist ein Höllenritt durch ein urbanes Labyrinth, das für die einen Traum und Sehnsuchtsort ist, für die anderen ein Moloch und Gerüst, provisorisch zusammengehalten von Ersatzteillagern, Wellblechhütten, Eisen, Rost, Hochhäusern, Shoppingmalls, Baustellen, Moscheen, Lichtern, Lärm, Mopeds, Autos, Hitze. Momentan ist es besonders chaotisch, denn Jakarta rüstet auf für die Asienspiele 2018.
Vor einigen Jahren ordnete die Regierung wegen des hohen Verkehrsaufkommens an, dass zu Stoßzeiten mindestens drei Personen in einem Wagen sitzen müssen. Die Superreichen flogen daraufhin mit Privathelikoptern zur Arbeit, die Normalreichen ließen sich chauffieren und lasen am Straßenrand sogenannte „Jockeys“ auf, die sich für ein paar Rupiah als dritter Fahrgast anboten. Unglaublich? Ach.
Am Supermarkt in Tambora spielen zwei junge Männer auf Gitarren Lieder des indonesischen Musikers Iwan Fals, der zur Suharto-Zeit als Asiens Bob Dylan galt. Bald trudeln die ersten Persija-Fans ein und singen den Protestsong „Bento“ voller Inbrunst mit, als könnten sie alles, die blutige Vergangenheit und auch die harte Gegenwart, einfach niederbrüllen. Sie sind Kinder, Teenager, Engel, Heilige, Märtyrer, Halbstarke, Verbrecher, Ausgestoßene, Vergessene, Verlorene – es kommt nur auf die Perspektive an. Ihre Gesichter sind voller Spuren, aber eigentlich ist alles an ihnen, die Haare, die Haut, die Körper, zart und fragil wie Orangenpapier.
Die meisten von ihnen haben keinen Job, sie sprechen kein Englisch, sie waren nie im Ausland, viele haben noch nicht ein einziges Mal in ihrem Leben die Insel Java verlassen. Aber sie wissen, was die zwei Wörter auf ihren T‑Shirts bedeuten: Crazy Boys. Es ist eine von zahlreichen Persija-Ultragruppen. Ihre Gang. Etwas, das ihnen in diesem riesigen und zerfaserten Inselstaat zumindest ein wenig Halt und Glück verspricht. Sie setzen sich vor den Supermarkt und trinken selbstgebrannten Schnaps, Ciu, abgefüllt in PET-Flaschen. Die besonders Harten verstärken ihn mit Insektenschutzmittel. „Drink!“, sagt einer und hält das Gesöff in die Luft. „What’s your name, Mister?“, fragt ein anderer und reicht schüchtern seine Hand. Es ist, als würde man in Watte greifen.