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Das ist mal wieder typisch City. Seit 44 Jahren sehnt sich dieser Klub nach der Meis­ter­schaft, an diesem 13. Mai 2012 sollte das Warten ein Ende haben. Doch an diesem Tag gelingt nichts – wie immer, wenn es drauf ankommt. Citys Fans pflegen zu singen: This is how it feels to be City, this is how it feels to be small. This is how it feels when your team wins not­hing at all.“ So fühlt es sich an, City zu sein, wenn du klein bist und dein Team absolut nichts gewinnt.
Seit einem Drei­vier­tel­jahr­hun­dert geht Cyril Mintz zu Man­chester City, oft sagte er im Scherz, dass er nicht wisse, ob er eine Meis­ter­schaft noch einmal erleben werde. Als sein Arzt ihm mit­teilte, dass er einen Herz­schritt­ma­cher tragen müsse, ant­wor­tete er: Das ist keine gute Idee, ich bin City-Fan.“ Ein Leben mit einem Verein wie den Blues trai­niert den Gal­gen­humor unge­mein. Doch die Frage im Bob-Dylan-Stil blieb: Wie viele Wege muss ein Mann zum Sta­dion gehen, bevor er den größten Moment erlebt?

Cyril Mintz, wann waren Sie das erste Mal im Sta­dion?
Das war am Oster­montag 1937, ich war zehn Jahre alt. Wir fuhren mit der Stra­ßen­bahn hin, mein Vater setzte mich auf einen Wel­len­bre­cher. Man­chester City schlug Liver­pool mit 5:1, im glei­chen Jahr haben sie die Meis­ter­schaft gewonnen. Und so wie City nun mal ist, stiegen sie in der fol­genden Saison ab.

Woran erin­nern Sie sich als Erstes, wenn Sie an die Fan­kurve von damals denken?
An Onkel Joes Pfef­fer­minz­ku­geln“. Vor den Stehr­ängen lief jemand hin und her, der Süßig­keiten ver­kaufte. Doch da man nicht so schnell nach unten durchkam, gab man ein­fach seine Bestel­lung und sein Geld durch. Die Münzen wan­derten nach unten, von einem zum anderen, teil­weise über 30 Reihen. Danach wurden die Süßig­keiten und das Wech­sel­geld nach oben durch­ge­reicht.

Aber wahr­schein­lich nur die Hälfte des Geldes, oder?
Nein, das gesamte Rück­geld kam oben an. Ich habe in all den Jahren nie gehört, dass etwas gefehlt hätte. Nie­mand hätte im Traum daran gedacht, Geld zu nehmen. Ich kann mir nicht vor­stellen, dass so etwas heute noch mög­lich wäre, aber bis Mitte der sech­ziger Jahre funk­tio­nierte es. Es herrschte schlicht eine unglaub­liche Gemein­schaft derer, die zusammen im Fan­block standen.

Was dachten die Fans, als mit Bert Traut­mann kurz nach dem Krieg ein Deut­scher im City-Tor stand?
Sie waren natür­lich sehr, sehr skep­tisch. Es darf doch nicht sein, dass ein Deut­scher in unserem Tor steht“, haben sie gesagt. Ich selbst hatte sehr viele Gespräche mit meinen Freunden dar­über, ich habe ihn ver­tei­digt. Und wenig später hat Traut­mann so gehalten, dass man ihn ein­fach nur lieben musste. Seine Reflexe waren ein­malig. Ich sage eins: Bert Traut­mann war der groß­ar­tigste Tor­wart, den ich gesehen habe – nicht nur von City, nicht nur in Eng­land, son­dern in der Geschichte des Fuß­balls.

Auch Martin All­weis schwärmt von Traut­mann, er und Cyril besuchten 1964 das Abschieds­spiel des legen­dären Kee­pers. Er liest aus einem alten Pro­gramm­heft vor: Traut­mann zeigte wieder jene Paraden, die ihn zu einem der her­aus­ra­genden Tor­hüter in Groß­bri­tan­nien werden ließen und wegen derer ihm selbst der Gegner applau­dierte.“ All­weis hat ganze Regale voller sol­cher Pro­gramm­hefte. Sein größter Schatz ist jenes vom Spiel gegen Swindon 1965, dem Spiel mit der geringsten Zuschau­er­zahl in der Geschichte von City: 8015. Und ich war dabei“, sagt er stolz.

Im Ver­gleich zu früher explo­dieren gerade bei Ver­einen wie City die Gehälter der Spieler. Fällt es Ihnen eigent­lich schwer, sich mit den heu­tigen Profis zu iden­ti­fi­zieren?
Cyril: Früher sind die Spieler noch mit mir im Bus zu den Spielen gefahren. Ich musste einigen mal das Fahr­geld leihen. Damals haben sie 20 Pfund in der Woche ver­dient, was immer noch viel mehr war, als sich der Rest der Bevöl­ke­rung vor­stellen konnte. Fuß­ball­spieler sollen schon gut ver­dienen, aber ich habe ein Magen­grum­meln, wenn sie mal eben 14 000 Pfund an einem Abend in Las Vegas aus­geben.
Martin: Ein ehe­ma­liger City-Spieler ging einmal in eine Bar in der Nähe von Man­chester. Er blickte über die Geträn­ke­karte auf der Suche nach dem teu­ersten Wein. Dieser kos­tete um die 200 Pfund. Er bestellte also diesen exqui­siten Tropfen – und dazu eine Cola zum Mixen.
Cyril: Auf der anderen Seite kann ich mich erin­nern, was bei­spiels­weise 1936 los war, als City Peter Doh­erty für die dama­lige Rekord­summe von 10000 Pfund ver­pflich­tete. Die Leute waren sehr auf­ge­bracht, sie fragten: Wie kann man so viel Geld für einen Fuß­baller aus­geben?“ Letzt­end­lich war Doh­erty einer der besten Spieler, die City je hatte. Er ist bis heute einer meiner Lieb­lings­spieler, doch ich mag auch David Silva sehr. Egal, wie viel er ver­dient. Was dieser Mann für ein Auge und ein Timing hat!

Durch die neuen Besitzer, die Scheichs aus Abu Dhabi, wurde City zu einem super­rei­chen Verein. In Deutsch­land sieht man den Ein­stieg von Inves­toren skep­tisch.
Cyril: Mich beängs­tigt diese Ent­wick­lung. Im Fuß­ball all­ge­mein wird sehr viel durch Geld ent­schieden, somit auch durch Kor­rup­tion. Ich kann nicht ver­stehen, dass jemand wie Sepp Blatter noch ernst­haft ein Amt bekleiden kann. Die geschmierten Funk­tio­näre ver­geben eine WM nach Katar, ent­schul­digt, aber da bekomme ich auch einen Katarrh.
Martin: Zu den Inves­toren bei City muss man aller­dings sagen, dass sie bisher nicht ver­sucht haben, in das ope­ra­tive Geschäft oder die sport­li­chen Belange ein­zu­greifen. Letzten Endes kann man ohne das Geld von außen nicht mehr inter­na­tional kon­kur­renz­fähig sein.

Hängt die Akzep­tanz der City-Fans für die Inves­toren auch mit dem lang­ge­hegten Wunsch nach der Meis­ter­schaft zusammen?
Cyril: Die Leute hier haben 44 Jahre lang auf den Titel gewartet, mit ihrem Klub sehr viel schlechte Phasen durch­ge­macht. Kann sein, dass ihnen für den Erfolg dann jedes Mittel recht ist.

Wie hart war die Zeit des War­tens für Sie?
Martin: Sehr hart. Ich war mal bei einem Pokal­spiel in Oldham, City verlor gegen einen unter­klas­sigen Verein bei Minus­tem­pe­ra­turen, und ein kleiner Junge zog seinen Vater am Ärmel. Er sagte: Mir ist kalt, ich habe Hunger, ich will nach Hause.“ Der Vater ant­wor­tete: Du bleibst hier und lei­dest mit City wie wir anderen auch.“
Cyril: Denk nur einmal an 1996. Alan Ball, einer der Welt­meister von 1966, war damals Trainer und gab seinen Spie­lern im letzten Spiel die Anwei­sung, auf Unent­schieden zu spielen. Das war falsch, denn die Kon­kur­renten siegten alle. City stieg ab. Es ging runter bis in die dritte Liga. Ich hatte seit dem Jahr 1956 eine Dau­er­karte, 40 Jahre lang. Dann mit 70 dachte ich, dass ich zu alt dafür werde, und bestellte sie ab. Im fol­genden Jahr war es aber wieder um mich geschehen. Ich blickte auf die neue Jah­res­karte und hätte weinen können. Darauf stand: Jahre mit City: 1“.
Martin: Selbst als City dritt­klassig spielte, waren 30 000 Fans im Sta­dion. Unver­gessen ist das Spiel gegen Gil­lingham 1999 um den Auf­stieg in die zweite Liga. City lag kurz vor dem Ende 0:2 zurück, viele waren schon gegangen, da schafften sie in der Nach­spiel­zeit noch den Aus­gleich. Der dama­lige Auf­stieg ret­tete den Verein vor dem Kol­laps. Ansonsten wären die Lichter wohl kom­plett aus­ge­gangen.

Hat der 13. Mai 2012 die langen Jahre der Ent­täu­schung auf­ge­wogen?
Martin: Das kann man wohl sagen.
Cyril: Es war der beste Moment in den 75 Jahren mit City.

13. Mai 2012, Man City gegen Queens Park Ran­gers, 1:2, 91 Minuten und elf Sekunden gespielt. Noch eine Ecke, Silva bringt den Ball hoch herein, und Edin Dzeko köpft ihn aus vier Metern ins Tor. Martin All­weis steht auf, hält die Hände an die Wangen. Nur ein Tor fehlt. Die Menge rast. Und QPR schießt den Ball vor Erschöp­fung nach dem Anstoß direkt ins Sei­tenaus. Über 93 Minuten sind vorbei, da spielt Sergio Agüero einen Dop­pel­pass mit Mario Balotelli. Zwölf Meter vor dem Tor legt er sich den Ball noch einmal vor und schießt.

Der Fern­seh­mo­de­rator schreit: Agüee­erooooo, City hat den Titel gewonnen. Ich schwöre, Sie werden so etwas nie wieder sehen. Schauen Sie hin, trinken Sie diese Momente.“
Nach dem Spiel und den Fei­er­lich­keiten inter­viewt ein Fern­seh­team Cyril Mintz auf dem Weg zum Auto. Er sagt: Ich folge dem Verein seit 75 Jahren, ich war mal über 1,80 Meter groß, ein Junge mit lockigem Haar.“ Dann zieht er seine Mütze und zeigt seine Glatze, er lächelt und sagt: Schaut, was es aus mir gemacht hat.“