Seit über 75 Jahren ist Cyril Mintz Fan von Manchester City, sein Freund Martin Allweis seit über 60 Jahren. Ein Gespräch über Freud und Leid, Bert Trautmann und David Silva.
Gleichzeitig explodieren die Gehälter der Spieler. Fällt es Ihnen eigentlich schwer, sich mit den heutigen Profis zu identifizieren?
Cyril: Früher sind die Spieler noch mit mir im Bus zu den Spielen gefahren. Ich musste einigen mal das Fahrgeld leihen. Damals haben sie 20 Pfund in der Woche verdient, was immer noch viel mehr war, als sich der Rest der Bevölkerung vorstellen konnte. Fußballspieler sollen schon gut verdienen, aber ich habe ein Magengrummeln, wenn sie mal eben 14.000 Pfund an einem Abend in Las Vegas ausgeben.
Martin: Ein ehemaliger City-Spieler ging einmal in eine Bar in der Nähe von Manchester. Er blickte über die Getränkekarte auf der Suche nach dem teuersten Wein. Dieser kostete um die 200 Pfund. Er bestellte also diesen exquisiten Tropfen – und dazu eine Cola zum Mixen.
Cyril: Auf der anderen Seite kann ich mich erinnern, was beispielsweise 1936 los war, als City Peter Doherty für die damalige Rekordsumme von 10 000 Pfund verpflichtete. Die Leute waren sehr aufgebracht, sie fragten: „Wie kann man so viel Geld für einen Fußballer ausgeben?“ Letztendlich war Doherty einer der besten Spieler, die City je hatte. Er ist bis heute einer meiner Lieblingsspieler, doch ich mag auch David Silva sehr. Egal, wie viel er verdient. Was dieser Mann für ein Auge und ein Timing hat!
Durch die neuen Besitzer, die Scheichs aus Abu Dhabi, wurde City zu einem superreichen Verein. In Deutschland sieht man den Einstieg von Investoren skeptisch.
Cyril: Mich beängstigt diese Entwicklung. Im Fußball allgemein wird sehr viel durch Geld entschieden, somit auch durch Korruption. Ich kann nicht verstehen, dass jemand wie Sepp Blatter noch ernsthaft ein Amt bekleiden kann. Die geschmierten Funktionäre vergeben eine WM nach Katar, entschuldigt, aber da bekomme ich auch einen Katarrh.
Martin: Zu den Investoren bei City muss man allerdings sagen, dass sie bisher nicht versucht haben, in das operative Geschäft oder die sportlichen Belange einzugreifen. Letzten Endes kann man ohne das Geld von außen nicht mehr international konkurrenzfähig sein.
Hängt die Akzeptanz der City-Fans für die Investoren auch mit dem langgehegten Wunsch nach der Meisterschaft zusammen?
Cyril: Die Leute hier haben 44 Jahre lang auf den Titel gewartet, mit ihrem Klub sehr viel schlechte Phasen durchgemacht. Kann sein, dass ihnen für den Erfolg dann jedes Mittel recht ist.
Wie hart war die Zeit des Wartens für Sie?
Martin: Sehr hart. Ich war mal bei einem Pokalspiel in Oldham, City verlor gegen einen unterklassigen Verein bei Minustemperaturen, und ein kleiner Junge zog seinen Vater am Ärmel. Er sagte: „Mir ist kalt, ich habe Hunger, ich will nach Hause.“ Der Vater antwortete: „Du bleibst hier und leidest mit City wie wir anderen auch.“
Cyril: Denk nur einmal an 1996. Alan Ball, einer der Weltmeister von 1966, war damals Trainer und gab seinen Spielern im letzten Spiel die Anweisung, auf Unentschieden zu spielen. Das war falsch, denn die Konkurrenten siegten alle. City stieg ab. Es ging runter bis in die dritte Liga. Ich hatte seit dem Jahr 1956 eine Dauerkarte, 40 Jahre lang. Dann mit 70 dachte ich, dass ich zu alt dafür werde, und bestellte sie ab. Im folgenden Jahr war es aber wieder um mich geschehen. Ich blickte auf die neue Jahreskarte und hätte weinen können. Darauf stand: „Jahre mit City: 1“.
Martin: Selbst als City drittklassig spielte, waren 30 000 Fans im Stadion. Unvergessen ist das Spiel gegen Gillingham 1999 um den Aufstieg in die zweite Liga. City lag kurz vor dem Ende 0:2 zurück, viele waren schon gegangen, da schafften sie in der Nachspielzeit noch den Ausgleich. Der damalige Aufstieg rettete den Verein vor dem Kollaps. Ansonsten wären die Lichter wohl komplett ausgegangen.
Hat der 13. Mai 2012 die langen Jahre der Enttäuschung aufgewogen?
Martin: Das kann man wohl sagen.
Cyril: Es war der beste Moment in den 75 Jahren mit City.
13. Mai 2012, Man City gegen Queens Park Rangers, 1:2, 91 Minuten und elf Sekunden gespielt. Noch eine Ecke, Silva bringt den Ball hoch herein, und Edin Dzeko köpft ihn aus vier Metern ins Tor. Martin Allweis steht auf, hält die Hände an die Wangen. Nur ein Tor fehlt. Die Menge rast. Und QPR schießt den Ball vor Erschöpfung nach dem Anstoß direkt ins Seitenaus. Über 93 Minuten sind vorbei, da spielt Sergio Agüero einen Doppelpass mit Mario Balotelli. Zwölf Meter vor dem Tor legt er sich den Ball noch einmal vor und schießt.
Der Fernsehmoderator schreit: „Agüeeerooooo, City hat den Titel gewonnen. Ich schwöre, Sie werden so etwas nie wieder sehen. Schauen Sie hin, trinken Sie diese Momente.“
Agüero reißt sich das Trikot vom Leib, Cyril Mintz wird umarmt, er winkt mit seiner Mütze in der Luft, Menschen fallen übereinander. Martin Allweis springt auf seinem Sitz auf und ab, wirft den von seiner Mutter vor 50 Jahren gestrickten Schal hoch. Auf der Anzeigetafel zählt ein Countdown von 44 auf Null herunter. City-Fan Stephen Tudor fasst es so zusammen:
„Mitten im Rausch, als Agüeros Tor einen 44 Jahre alten Geist beerdigte und ich mich aus dem Menschenknäuel befreite, da fing ich an zu weinen, in so einer Flut von Emotionen, die ich in meinem Leben als Erwachsener nicht mehr für möglich gehalten hätte. Es war, als würde ein ganzes Leben voller Hohn und Spott all der anderen, von meinen Schulkameraden bis zu meinen Arbeitskollegen, Abstiege, Ärger, Missmanagement und Herzschmerz, einfach alles herausströmen. Es war die Erlösung und Rechtfertigung für eine Entscheidung, die ich vor 30 Jahren getätigt und nie bereut hatte. This is how it feels to be City.“
Nach dem Spiel und den Feierlichkeiten interviewt ein Fernsehteam Cyril Mintz auf dem Weg zum Auto. Er sagt: „Ich folge dem Verein seit 75 Jahren, ich war mal über 1,80 Meter groß, ein Junge mit lockigem Haar.“ Dann zieht er seine Mütze und zeigt seine Glatze, er lächelt und sagt: „Schaut, was es aus mir gemacht hat.“