Nach elf Jahren Chelsea geht der ehemalige Welttorhüter Petr Cech zum FC Arsenal. Im Netz wird er dafür übel angefeindet.
Wenn die Welt eine bessere wäre bzw. wenn die Verantwortlichen von Werder Bremen im Sommer 2002 mehr Weitsicht bewiesen hätten, könnte dieser Text folgendermaßen beginnen:
Nach 13 Jahren verlässt der tschechische Torwart Petr Cech den frisch gebackenen Deutschen Meister Werder Bremen. Cech, für den die Bremer 2002 die damalige Rekordsumme von fünf Millionen Euro an Sparta Prag überwiesen, absolvierte mehr als 500 Spiele für die Hanseaten, wurde mit ihnen viermal Meister und viermal Pokalsieger, 2012 gewann er zudem die Champions League. Der Keeper, 2005 zum „Welttorhüter“ ausgezeichnet, hatte…usw..
Stade Rennes statt Werder
Doch die Welt ist schlecht. Und Werder arm. Und im Sommer 2002 ohne Weitsicht. Denn die fünf Millionen Euro Ablöse für den bereits beim Probetraining begeisternden Petr Cech zahlte damals Stade Rennes. Im Januar 2004 überwies der FC Chelsea 15 Millionen Euro nach Frankreich und sicherte sich die Dienste des tschechischen Auswahltorwarts.
Seitdem ist eine Menge Wasser die Themse herunter geflossen. Elf Jahre stand Petr Cech für die Londoner im Tor. Wettbewerbsübergreifend hat er 493 Spiele für Chelsea bestritten. Dabei lediglich 393 Gegentore kassiert, 228 Mal spielte er zu Null. 44.275 Minuten für einen Klub. Vier Meisterschaften. Vier FA-Cups. Drei Ligapokalerfolge. Zwei nationale Siege im Supercup. 2012 Champions-League-Sieger, 2013 Gewinner der Europa League. Der Mann ist eine Legende beim FC Chelsea.
Doch auch Legenden sind dem Leistungsprinzip unterworfen. Im Sommer 2014 holte Chelsea den drei Jahre lang bei Atletico Madrid geparkten Belgier Thibaut Courtois zurück. Trainer José Mourinho konnte gar nicht anders, als das zehn Jahre jüngeren Supertalent zur Nummer Eins zu machen. Vielleicht gab es in der vergangenen Spielzeit nur zwei Klubs, bei denen Petr Cech auf der Bank gesessen hätte: den Arbeitgeber von Welttorhüter Manuel Neuer – und eben den Klub des gleich hinter Neuer zum zweitbesten Torwart der Welt gekürten Courtois.
Nur noch 16 Einsätze
Schon nach der Verpflichtung des Belgiers, erklärt Cech in einem offenen Brief an die Chelsea-Fans, habe er feststellen müssen, dass seine Zeit in diesem Verein abgelaufen war, „aber ich fühlte irgendwie, dass es noch nicht Zeit war, den Klub auch zu verlassen“. Denn: „Eigentlich dachte ich, dass es nie passieren würde, mich von Chelsea zu verabschieden.“
Rührselige Worte sind es, die Cech da in seinen Brief gepackt hat. Aber einem wie ihm darf man sie ruhig abnehmen, 44.275 Minuten Einsatzzeit für ein und denselben Klub wären selbst in den noch nicht von Legionären durchsetzten sechziger oder siebziger Jahren ein phänomenaler Wert. Das sind 31 Tage am Stück. Wahnsinn.
Petr Cech hat in seinem Brief leider nicht verraten, warum er noch eine Saison bei den „Blues“ blieb. Aber vermutlich lässt sich einer, der 2005 noch Welttorhüter war und 2012 das Finale der Champions League im Elfmeterschießen zu Gunsten seines Klubs entschied, nicht einfach so von einem jungen Konkurrenten verdrängen. Und sei der auch noch so stark. 16 Einsätze gestand ihm Mourinho in der vergangenen Spielzeit zu, in der Vorsaison waren es noch 46. Chelsea wurde wieder Meister, und Mourinho war so freundlich, Cech für seine sieben Ligaeinsätze zu danken, „weil er uns da entscheidende Punkte gesichert hat“. Das änderte nichts daran, dass aus dem jahrelang beinahe unüberwindbaren Torwart (einmal blieb er beim FC Chelsea 1025 Minuten am Stück ohne Gegentor) ein Bankdrücker geworden war. „Jede Minute, die ich nicht spielen durfte“, schreibt Cech in seinem Abschiedsbrief, „habe ich schmerzlich vermisst.“
Jetzt hat er sich einen neuen Verein gesucht. Einen, der ebenfalls zu den besten Mannschaften gehört. Einen, mit dem man Titel gewinnen kann. Einen, der ebenfalls in London beheimatet ist, der Stadt, wo Cechs Kinder zur Schule gehen und die Familie inzwischen fest verwurzelt ist. Und vor allem einen Klub, der keinen Thibaut Courtois oder Manuel Neuer zwischen den Pfosten hat. Sondern den Polen Wojciech Szczęsny und den Kolumbianer David Ospina. Für einen fitten austrainierten Petr Cech keine echte Konkurrenz, selbst mit 33.
Widerliche Twitter-Reaktionen
Einziger Haken an der Sache: Bei Cechs neuem Arbeitgeber handelt es sich um den FC Arsenal, traditionell ein Rivale des FC Chelsea. Historisch und sportlich – deshalb hatte José Mourinho seinen zweiten Torwart eigentlich nicht innerhalb der Premier League wechseln lassen wollen. „Petr allein sichert einer Mannschaft zwölf bis 15 Punkte pro Saison“, urteilte Cechs langjähriger Vordermann John Terry neulich. Sein Trainer wird das ähnlich sehen. Weil aber Cech unbedingt wieder auf dem Platz stehen wollte und die „Gunners“ umgerechnet 15 Millionen Euro Ablöse überwiesen, kam der Transfer schließlich doch zustande. „Und ich dachte, ich hänge hier meine Handschuhe eines Tages an den Nagel“, schreibt Petr Cech in seinem Brief.
Damit hätte diese Geschichte eigentlich vorbei sein können. Torwart-Legende wird nicht mehr gebraucht und verlässt schweren Herzens einen Klub, für den er elf Jahre lang die Knochen hinhielt, einmal sogar auf so riskante Art und Weise den Schädel, dass er seitdem den berühmtem Helm trägt. Doch selbstverständlich muss es auch in dieser Geschichte Bösewichter geben. Die heißen „@Febreezion“ oder „@Enegali10“ und haben kurz nach der Bekanntgabe des Wechsels via Twitter furchtbare Inhalte verbreitet. „Say goodbye to your family for one last time before they go to sleep, you won´t be seeing them tomorrow you shake idiot“, schrieb „@Febreezion“. „Hope your kids have cancer“, „@Enegali10“. Ich hoffe, deine Kinder haben Krebs.
Zum Auftakt gegen den alten Klub
Vielleicht wurden solche Sätze früher auch gesagt, wenn Vereinslegenden zu einem verhassten Rivalen wechselten. Aber damals bekam das niemand mit. Heute leider schon. Aber so sehr man „@Enegali10“, „@Febreezion“ und all den anderen Idioten eine Tracht Prügel wünscht, ernst nehmen muss man solche Drohungen wohl nicht. Widerlich sind sie trotzdem.
Und vor allem sehr ungerecht. Wenn Chelsea keinen Platz mehr für Petr Cech hat, dann sucht sich Petr Cech eben einen neuen Arbeitgeber. Wie gut er immer noch ist, kann der Tscheche am 2. August unter Beweis stellen. Dann eröffnet der amtierende FA-Cup-Sieger Arsenal die neue Saison im FA Community Shield. Gegner ist der amtierende Meister FC Chelsea.