Ein sportliches Kräftemessen der Kontinente sollte der Weltpokal stets sein. Stattdessen war er in früheren Jahrzehnten verlässlicher Schauplatz wüster Gewaltexzesse und wilder Ausschreitungen.
Dieser Text erschien erstmals in 11FREUNDE #229. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
John Fallon hat den Schuss nicht gehört. Sagt er selbst. „Das liegt wohl daran, dass ich Torwart war“, meint er. In einem schottischen Akzent, der so breit ist wie tief, fügt er hinzu: „Und Sie wissen ja, was man über Torhüter sagt. Wir sind bescheuert.“ Dann entschuldigt er sich. Auf der anderen Leitung ruft der Tierarzt an. Es geht um den Hund, den der 80-jährige Fallon aus einer Tierauffangstation geholt hat. Das klingt so normal, dass man fragen muss: Warum hält sich die lebende Legende von Celtic Glasgow für verrückt?
Nun, das hat mit einem Wettbewerb zu tun, der 2020 einen runden Geburtstag feierte, auch wenn die Party im Dezember ausfallen musste, und der in seiner Geschichte schon unter mehr Namen bekannt war als Sean Combs. Aktuell heißt er FIFA-Klub-WM, früher nannte man ihn Toyota Cup, davor sprach man in Deutschland vom Weltpokal, während andere Länder Bezeichnungen wie Copa Europea-Sudamericana oder Intercontinental Cup bevorzugten. Noch verwickelter ist seine Entstehung. Mal wird die Idee João Havelange zugeschrieben, mal Henri Delaunay. Dazu gibt es auch noch zahlreiche Vorläuferturniere, etwa die Copa Rio (1951), die Pequeña Copa del Mundo (1952) oder das Tournoi de Paris (1957). Sie hatten zwei Gemeinsamkeiten: Klubs aus Europa spielten gegen Vereine aus Südamerika – und jemand kürte den Sieger zum besten Team des Planeten.
Doch ein richtig offizieller Wettkampf zwischen Vertretern der beiden Kontinente war erst nach Einführung der heutigen Copa Libertadores im Jahre 1960 möglich. Damit hatte Südamerika sein Gegenstück zum Europapokal der Landesmeister, und als Peñarol aus Montevideo im Juni die erste Austragung gewann, war die Bahn frei für ein Duell mit Real Madrid um … Tja, worum eigentlich genau? Für die deutsche Presse gab es keinen Zweifel. Das „Sport-Magazin“ sprach vom „Weltpokal der Vereinsmannschaften“ und erklärte Real nach einem 0:0 in Uruguay und einem 5:1‑Sieg daheim im September 1960 zur „besten Vereinself der Welt“. Das war zwar inhaltlich unstrittig und wurde auch von der UEFA und der südamerikanischen CONMEBOL so gesehen, doch bei der FIFA sorgte der Begriff für Stirnrunzeln.
Ein Wettstreit, an dem nur zwei Kontinentalverbände beteiligt waren, konnte kaum weltumspannend genannt werden. Außerdem war der Ausdruck „Weltpokal“ schon vergeben, hieß doch die WM in den meisten Ländern „World Cup“. In Deutschland allerdings nicht, und so bürgerte sich bei uns nach und nach der Name Weltpokal ein, mal mit dem Adjektiv „inoffiziell“, oft ohne.
Eines war aber schon ganz schnell offiziell: die Ernsthaftigkeit, mit der die Spieler selbst um eine Trophäe kämpften, deren Bedeutung in der Öffentlichkeit eher schwankte. Schon im Herbst 1963 beschwerte sich der „Kicker“ nach dem Duell zwischen dem AC Mailand und dem FC Santos über die „oft erbitterte körperliche Härte“ der Italiener, während das „Sport-Magazin“ noch eine Schippe drauflegte: Die „Itacos wurden zum gereizten, wütenden Stier“, waren „eine unsympathische Mannschaft“ und „mähten um, was sich dem Strafraum näherte“.
Unglücklicherweise wurde auch noch ein Entscheidungsspiel nötig, in dem die Brasilianer es dem Gegner dann mit gleicher Münze heimzahlten; so musste Milans Torwart nach einem Foul von Almir Pernambuquinho blutbeschmiert ausgewechselt werden. (Almir erlangte später noch traurigere Berühmtheit: Im Februar 1973 wurde er bei einer Kneipenschlägerei an der Copacabana erschossen.) Eine Zeitung schrieb: „Es war kein Spiel, sondern eine Schlacht.“ Dabei war die Partie verglichen mit dem, was bald kommen sollte, ein Bibelkreis.