Am Dienstag griffen Fans das Haus von Manchester Uniteds zweitem Vorsitzenden Ed Woodward an. Ob sie wohl wussten, dass sie sich einen ganz speziellen Jahrestag ausgesucht hatten?
Bis zum 28. Januar 1980. Denn „World In Action“ blickte auch kritisch auf Edwards’ Aufstieg. Das Fleisch seiner Firma wäre minderer Qualität gewesen, außerdem meldeten sich Leute, die bezeugten, dass die Familie Edwards durch geheime Zahlungen an kommunale Angestellte dafür gesorgt hatte, dass sie all die vielen Aufträge im Nordwesten des Landes bekam. Dieser Teil der Vorwürfe war zwar ebenfalls schwerwiegend, hätte aber kaum noch praktische Auswirkungen haben können, denn Edwards hatte seine Anteile an der Firma Ende der Siebziger an den Tycoon James Gulliver verkauft. (Für 100.000 Pfund. Unter Gullivers Führung steigerte das Unternehmen seinen Wert in nur sieben Jahren auf zwei Milliarden.)
Doch es ging ja eben nicht nur um eine Fleischfirma, sondern um einen der größten Fußballvereine der Welt. Edwards hatte United oft mit Geld ausgeholfen, etwa um nach dem unerwarteten Abstieg 1974 eine neue Mannschaft aufzubauen oder Arbeiten am in die Jahre gekommenen Stadion auszuführen. Nun hörten die Fans des Klubs heimlich mitgeschnittene Aufnahmen von Telefongesprächen, in denen Edwards sich über die Umgehung von Kapitalertragssteuer ausließ und Steuerdelikte als „bloße Detailfragen“ bezeichnete. Viele Anhänger sorgten sich, dass jetzt auch das Finanzgebaren von United unter die Lupe genommen werden würde. Als Derby County am 2. Februar nach Old Trafford kam, hörte man im Stadion deutliche „Edwards raus!“-Rufe.
Edwards selbst sagte zu den Vorwürfen: „Mein Gewissen ist rein.“ In einem Interview mit der Zeitung „Daily Express“ kündigte er an, Granada TV mit Klagen zu überziehen. Zu diesem Zweck besprach er sich mit einigen bedeutenden Anwälten, darunter George Carman und Lord Goodman, die einst den Premierminister in solchen Fragen beraten hatten. Danach sah Edwards davon ab, juristisch gegen „World In Action“ vorzugehen. Bis heute wurden die Anschuldigungen nie angefochten oder gar widerlegt.
Der Skandal machte landesweit Schlagzeilen. Die „Daily Mail“ spekulierte sogar: „United könnte die Meisterschaft gewinnen – und dann aus der Liga geworfen werden.“ Das Netz um Edwards zog sich immer enger zusammen. Sieben Parlamentarier forderten, dass die Regierung den Fall untersuchen sollte, den man schon als „Edwardsgate“ bezeichnete. Der Verband gab bekannt, sich mit den Vorwürfen der Bilanzfälschung und des Insiderhandels mit Klubaktien genau zu befassen. Die Liga und das Handelsministerium leiteten eine Untersuchung ein, um die mögliche Bestechung der Eltern von Minderjährigen zu klären. Und schließlich meldete sich auch die Steuerbehörde zu Wort und kündigte Nachforschungen an. Der „Daily Mirror“ kommentierte: „Bisher haben wir nur deshalb noch kein Fußball-Watergate, weil man mit übler Nachrede vorsichtig sein muss. Doch es ist klar, dass die Korruption im Fußball bis in höchste Kreise reicht. Wenn diese Sendung dafür gesorgt hat, dass eine umfassende Untersuchung eingeleitet wird, dann kann das Spiel nur davon profitieren.“
Doch nichts davon geschah. Und zwar weil Louis Edwards am 25. Februar 1980 in seinem Badezimmer einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Sein Sohn Martin feuerte in den Tagen danach eine mediale Breitseite nach der anderen ab. Er warf dem Fernsehen vor, seinen 65-jährigen Vater praktisch getötet zu haben. Plötzlich stoppte das Räderwerk der Nachforschungen und Recherchen. Der „Sunday Express“ griff den Medienunternehmer Lord Bernstein scharf an, den Chef von Granada TV. Mit einem Mal hatten sowohl die Boulevardblätter wie auch die seriösen Zeitungen kein Interesse mehr daran, Korruption im Fußball offenzulegen. Seit fast vierzig Jahren pflegten die englischen Printmedien ein gutes Verhältnis zu den großen Klubs. Und es waren ja nicht sie gewesen, die Zeitungen, die den Skandal enthüllt hatten, sondern das ungeliebte Fernsehen. „Edwardsgate“ verlief im Sand.
Zwar hatte Louis Edwards offenbar seinem Freund Matt Busby versprochen, dass er sein Nachfolger werden sollte, doch am 22. März wurde Martin Edwards neuer Vorsitzender von Manchester United. (Der schon betagte Busby nahm würdevoll das Angebot an, als Präsident zu fungieren.) Es war Martin Edwards, der 1986 einen gewissen Alex Ferguson als Trainer verpflichtete. Als Louis Edwards’ Sohn den Vorsitz schließlich niederlegte – nach einem Sex-Skandal im Herbst 2002 –, war der Wert seiner Anteile am Verein von 600.000 Pfund auf 60 Millionen gestiegen. Drei Monate später begann die Glazer-Familie aus Florida damit, Manchester United nach und nach zu übernehmen.
Gestern, exakt vierzig Jahre nach der Ausstrahlung der „World In Action“-Folge, warfen United-Fans Bengalos auf das Haus von Ed Woodward, der für die Glazers die Geschäfte des Klubs leitet. Vermutlich wussten die Fans nicht einmal, welch bedeutungsvolles Datum sie sich ausgesucht hatten.