Der 1. FC Köln spielt nach 25 Jahren wieder international. Unser Autor war bei der Gänsehaut-Rückkehr gegen Arsenal mittendrin. Der FC-Fan findet: die aktuelle Schieflage des Klubs tut der Europa-Euphorie keinen Abbruch. Im Gegenteil.
Ich hatte wirklich geglaubt, die Chaoszeiten in der Domstadt seien endgültig vorbei. Vier Jahre lang ging es beim 1. FC Köln nur in eine Richtung – bergauf. Erst langsam, dann schneller. Vielleicht zu schnell. Jetzt, nach dem katastrophalen Saisonstart und dem Schmadtke-Aus, droht der Effzeh wieder all das einzureißen, was man sich in den letzten Jahren mühsam aufgebaut hat. Doch es läuft nicht alles schlecht.
Die Sehnsucht nach Europa
Sportlich sieht es aktuell düster aus. Da lässt sich kaum etwas schönreden. Zwei mickrige Pünktchen in der Liga. Abgeschlagen auf Platz 18. Und doch ist die aktuelle Spielzeit für alle Kölner eine ganz besondere. Die Rückkehr auf die europäische Bühne hat eine Sehnsucht befriedigt, die so tief in den Kölner Fanseelen verwurzelt war, wie die kölsche Identität selbst.
Wie groß diese Sehnsucht tatsächlich ist, zeigte sich beim ersten Europa League Spiel gegen Arsenal London. Der Ansturm auf die Karten war so groß, die Effzeh-Fans hätten das „Emirates“ fast alleine vollmachen können. Doch statt 60.000 gab es gegen Arsenal nur 2.900 Tickets für die Anhänger der Geißböcke. Ein fataler Fehler.
15.000 Kölner folgen dem Geißbock
Nur ein Bruchteil der Bewerber hatte tatsächlich eine Karte für das Spiel ergattern können. Das hinderte rund 15.000 Köln-Anhänger aber nicht daran, trotzdem die Reise nach London anzutreten. Viele hatten sich auf dem Schwarzmarkt Tickets besorgt. Meine Kumpels und mich eingeschlossen.
„Glaubst du wirklich, dass wir da reinkommen?“, fragt mich Yannick. „Klar“, antworte ich und blicke auf meine Karte vom Schwarzmarkt. Sicher bin ich mir nicht. Seit drei Stunden stehen wir uns vor dem „Emirates Stadium“ die Beine in den Bauch. Ich frage mich zum hundertsten Mal, ob ich mir im Shop nicht doch einen Arsenal-Schal kaufen soll? Endlich bewegt sich etwas. Der Einlass beginnt.
Die „Schande von London“
Gedränge. Hektik. Von hinten schieben uns andere FC-Fans Richtung Eingang. Ich umklammere mein ausgedrucktes Ticket. Bloß nicht fallen lassen. Oder Bier drauf schütten. Was machen wir, wenn das Lämpchen rot blinkt? Wahrscheinlich ist meine Karte ohnehin gleich mehrfach im Umlauf. Doch es spielt keine Rolle. Überhaupt keine.
„Da steht ja gar keiner mehr!“, ruft Alex völlig perplex von hinten. Noch vor wenigen Minuten haben zahlreiche Ordner den Eingang am „Clock End“ bewacht. Keine Spur mehr von ihnen. Vor mir drängen sich zwei Kölner gleichzeitig durch das Drehkreuz. Niemanden stört es. Keiner hält sie auf.
Und dann sind wir drin. Wir können es kaum fassen. Knapp 100 Euro hat jeder von uns für das Ticket hingelegt – ohne zu wissen, ob wir überhaupt reinkommen. So geht es hier vielen. Die pure Erleichterung greift um sich. Hunderte FC-Anhänger stehen dicht gedrängt im Eingangsbereich und grölen: „Eu-ro-pa-pokal. Wir spielen wieder im Europapokal…“
Erst mal pissen. Und kurz hinsetzen. Den ganzen Tag sind wir schon auf den Beinen. Fan-Marsch durch die Stadt. Danach stundenlanges Stehen. Irgendwann ging den Pubs tatsächlich das Bier aus. Oder sie durften es nicht mehr verkaufen. Um den riesigen Ansturm auf das Stadion aufzuhalten, hat die Polizei kurzerhand die Zugangsbrücke gesperrt. Was für eine Schnapsidee! Das konnte ja nicht gut gehen. Aber „et hät noch immer jot jejange!“ Über einen Umweg sind wir zum Stadion gekommen. Und jetzt drin. Mittendrin.
Auswärtsfahrten sind schön
Oben angekommen. Der erste Blick in ein neues Stadion ist immer besonders. Der Rasen. Die Tornetze. Die Ränge. Im „Emirates“ sieht das Dach aus, als würde es durchhängen. „Alter, ist das geil“, sagt Alex. Mehr zu sich selbst als zu uns. „Wir müssen irgendwie in den Gästeblock kommen“, meint er mit einem Ausdruck von Glückseligkeit im Gesicht. Ja, da sind wir uns alle einig.
Unsere Plätze sind nicht weit weg vom Gästebereich. Eine Reihe von Sicherheitskräften hat sich schon um den Block versammelt. Grimmige Blicke. Dahinter die Absperrung. Einige der Ultras brechen oben und unten durch die Reihen. Kurzes Gerangel mit den Ordnern. Danach springen sie einfach über die Absperrung. Geschafft. Aus dem Block tönt lautes Gejohle.
„Europapokal“
Wir schauen uns an. Sollen wir es riskieren? Seve sieht verunsichert aus. Auch Roy scheint von der Idee nicht gerade begeistert. Dann kommen die Hunde. Polizisten führen ein halbes Dutzend der Köter an Leinen direkt vor den Block. Lautes Kläffen. Die FC-Ultras antworten mit wütenden Beleidigungen. Sie schlagen gegen die Banden. Die Hunde spielen verrückt. Die Stimmung ist angespannt.
„Lass uns doch einfach hier bleiben“, schlage ich vor. Wir stehen sowieso direkt daneben. Von der Stimmung verpassen wir nichts. Also bleiben wir wo wir sind. Stehplätze gibt es natürlich nicht. Also klettern wir auf die Klappsitze. Und Hüpfen. „Eu-ro-pa-pokaaaal.“
Das Spiel ist gut. Intensiv. Wir stehen direkt hinterm Tor. Dritte Reihe. Wir peitschen den FC nach vorn. Unermüdlich. So laut wie noch nie. Im ganzen Stadion hört man nur uns. Die Anhänger der „Gunners“ sind still. Es ist fast wie ein Heimspiel. Und dann erzielt Jhon Córdoba eines der schönsten Tore seit Lukas Podolski den Effzeh verlassen hat.
Ich schreie vor Freude. Dann vor Schmerz. Ein Stoß in den Rücken. Irgendwer ist beim Jubeln in mich reingefallen. Egal. Scheiß drauf. Ich helfe ihm auf. Bier und Ketchup auf seinem Hector-Trikot. Dann fallen wir uns in die Arme und jubeln. Er hat tatsächlich Tränen in den Augen. 15.000 Kölner rasten komplett aus. Wir führen. Gegen Arsenal. Gänsehaut! Kurz glaube ich ernsthaft daran, dass wir hier etwas mitnehmen können. Schon zur Halbzeit habe ich keine Stimme mehr.
Die schönste Niederlage
Im zweiten Durchgang drehen Sanchez & Co. dann auf. Das 1:1 war ohnehin nur eine Frage der Zeit. Beim 1:2 stimmen die Londoner erstmals Schmäh-Gesänge in unsere Richtung an. Zumindest für wenige Minuten. Wir antworten lautstark mit: „You only sing when you’re winning.“ Die „Gooners“ verstummen. Sogar die Ordner können sich das Lachen kaum verkneifen.
Wir haben uns teuer verkauft. Aber viel wichtiger: so eine Stimmung hat noch keiner von uns erlebt. In keinem Stadion. Und das obwohl es nicht mal annährend ausverkauft war. Noch eine Stunde nach Abpfiff feiern wir unsere Mannschaft. Unseren Klub. Und uns selbst. Keiner verlässt das Stadion. Dass wir mit 1:3 verloren haben ist egal. Zumindest für den Moment.
Die Rückkehr des Geißbocks
Knapp sieben Wochen später ist es nicht mehr so egal. Der Effzeh steht in der Liga noch immer ohne Sieg, in der Europa League ohne Punkt und nun auch noch ohne Manager da. Nach dem emotionalen Höhepunkt in London, hätte es für Köln kaum schlechter laufen können. Katerstimmung. Abstiegsangst. Aber wie sagt man in der Domstadt so schön: „Et kütt wie et kütt!“
Vor dem Spiel gegen BATE Borisov ist das Weiterkommen schon so gut wie unmöglich. Die Liste der Verletzten wächst. Die Hoffnung auf einen Sieg? Gering. Und dennoch gibt es kaum etwas Schöneres, als mit diesem Verein mit zu fiebern und mit zu leiden. Lange haben wir auf die Rückkehr nach Europa gewartet. Jetzt werden wir uns anständig verabschieden. Vielleicht dauert es erneut 25 Jahre, ehe der Geißbock wiederkommt. Wahrscheinlich sogar länger.