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Ich hatte wirk­lich geglaubt, die Cha­o­szeiten in der Dom­stadt seien end­gültig vorbei. Vier Jahre lang ging es beim 1. FC Köln nur in eine Rich­tung – bergauf. Erst langsam, dann schneller. Viel­leicht zu schnell. Jetzt, nach dem kata­stro­phalen Sai­son­start und dem Schmadtke-Aus, droht der Effzeh wieder all das ein­zu­reißen, was man sich in den letzten Jahren mühsam auf­ge­baut hat. Doch es läuft nicht alles schlecht. 

Die Sehn­sucht nach Europa

Sport­lich sieht es aktuell düster aus. Da lässt sich kaum etwas schön­reden. Zwei mick­rige Pünkt­chen in der Liga. Abge­schlagen auf Platz 18. Und doch ist die aktu­elle Spiel­zeit für alle Kölner eine ganz beson­dere. Die Rück­kehr auf die euro­päi­sche Bühne hat eine Sehn­sucht befrie­digt, die so tief in den Kölner Fan­seelen ver­wur­zelt war, wie die köl­sche Iden­tität selbst.

Wie groß diese Sehn­sucht tat­säch­lich ist, zeigte sich beim ersten Europa League Spiel gegen Arsenal London. Der Ansturm auf die Karten war so groß, die Effzeh-Fans hätten das Emi­rates“ fast alleine voll­ma­chen können. Doch statt 60.000 gab es gegen Arsenal nur 2.900 Tickets für die Anhänger der Geiß­böcke. Ein fataler Fehler.

15.000 Kölner folgen dem Geiß­bock

Nur ein Bruch­teil der Bewerber hatte tat­säch­lich eine Karte für das Spiel ergat­tern können. Das hin­derte rund 15.000 Köln-Anhänger aber nicht daran, trotzdem die Reise nach London anzu­treten. Viele hatten sich auf dem Schwarz­markt Tickets besorgt. Meine Kum­pels und mich ein­ge­schlossen. 

Glaubst du wirk­lich, dass wir da rein­kommen?“, fragt mich Yan­nick. Klar“, ant­worte ich und blicke auf meine Karte vom Schwarz­markt. Sicher bin ich mir nicht. Seit drei Stunden stehen wir uns vor dem Emi­rates Sta­dium“ die Beine in den Bauch. Ich frage mich zum hun­dertsten Mal, ob ich mir im Shop nicht doch einen Arsenal-Schal kaufen soll? End­lich bewegt sich etwas. Der Ein­lass beginnt. 

Die Schande von London“

Gedränge. Hektik. Von hinten schieben uns andere FC-Fans Rich­tung Ein­gang. Ich umklam­mere mein aus­ge­drucktes Ticket. Bloß nicht fallen lassen. Oder Bier drauf schütten. Was machen wir, wenn das Lämp­chen rot blinkt? Wahr­schein­lich ist meine Karte ohnehin gleich mehr­fach im Umlauf. Doch es spielt keine Rolle. Über­haupt keine. 

Da steht ja gar keiner mehr!“, ruft Alex völlig per­plex von hinten. Noch vor wenigen Minuten haben zahl­reiche Ordner den Ein­gang am Clock End“ bewacht. Keine Spur mehr von ihnen. Vor mir drängen sich zwei Kölner gleich­zeitig durch das Dreh­kreuz. Nie­manden stört es. Keiner hält sie auf.

Und dann sind wir drin. Wir können es kaum fassen. Knapp 100 Euro hat jeder von uns für das Ticket hin­ge­legt – ohne zu wissen, ob wir über­haupt rein­kommen. So geht es hier vielen. Die pure Erleich­te­rung greift um sich. Hun­derte FC-Anhänger stehen dicht gedrängt im Ein­gangs­be­reich und grölen: Eu-ro-pa-pokal. Wir spielen wieder im Euro­pa­pokal…“ 

Erst mal pissen. Und kurz hin­setzen. Den ganzen Tag sind wir schon auf den Beinen. Fan-Marsch durch die Stadt. Danach stun­den­langes Stehen. Irgend­wann ging den Pubs tat­säch­lich das Bier aus. Oder sie durften es nicht mehr ver­kaufen. Um den rie­sigen Ansturm auf das Sta­dion auf­zu­halten, hat die Polizei kur­zer­hand die Zugangs­brücke gesperrt. Was für eine Schnaps­idee! Das konnte ja nicht gut gehen. Aber et hät noch immer jot jejange!“ Über einen Umweg sind wir zum Sta­dion gekommen. Und jetzt drin. Mit­ten­drin.

Aus­wärts­fahrten sind schön

Oben ange­kommen. Der erste Blick in ein neues Sta­dion ist immer beson­ders. Der Rasen. Die Tor­netze. Die Ränge. Im Emi­rates“ sieht das Dach aus, als würde es durch­hängen. Alter, ist das geil“, sagt Alex. Mehr zu sich selbst als zu uns. Wir müssen irgendwie in den Gäs­te­block kommen“, meint er mit einem Aus­druck von Glück­se­lig­keit im Gesicht. Ja, da sind wir uns alle einig.

Unsere Plätze sind nicht weit weg vom Gäs­te­be­reich. Eine Reihe von Sicher­heits­kräften hat sich schon um den Block ver­sam­melt. Grim­mige Blicke. Dahinter die Absper­rung. Einige der Ultras bre­chen oben und unten durch die Reihen. Kurzes Gerangel mit den Ord­nern. Danach springen sie ein­fach über die Absper­rung. Geschafft. Aus dem Block tönt lautes Gejohle.

Euro­pa­pokal“

Wir schauen uns an. Sollen wir es ris­kieren? Seve sieht ver­un­si­chert aus. Auch Roy scheint von der Idee nicht gerade begeis­tert. Dann kommen die Hunde. Poli­zisten führen ein halbes Dut­zend der Köter an Leinen direkt vor den Block. Lautes Kläffen. Die FC-Ultras ant­worten mit wütenden Belei­di­gungen. Sie schlagen gegen die Banden. Die Hunde spielen ver­rückt. Die Stim­mung ist ange­spannt.

Lass uns doch ein­fach hier bleiben“, schlage ich vor. Wir stehen sowieso direkt daneben. Von der Stim­mung ver­passen wir nichts. Also bleiben wir wo wir sind. Steh­plätze gibt es natür­lich nicht. Also klet­tern wir auf die Klapp­sitze. Und Hüpfen. Eu-ro-pa-pokaaaal.“

Das Spiel ist gut. Intensiv. Wir stehen direkt hin­term Tor. Dritte Reihe. Wir peit­schen den FC nach vorn. Uner­müd­lich. So laut wie noch nie. Im ganzen Sta­dion hört man nur uns. Die Anhänger der Gun­ners“ sind still. Es ist fast wie ein Heim­spiel. Und dann erzielt Jhon Cór­doba eines der schönsten Tore seit Lukas Podolski den Effzeh ver­lassen hat.

Ich schreie vor Freude. Dann vor Schmerz. Ein Stoß in den Rücken. Irgendwer ist beim Jubeln in mich rein­ge­fallen. Egal. Scheiß drauf. Ich helfe ihm auf. Bier und Ket­chup auf seinem Hector-Trikot. Dann fallen wir uns in die Arme und jubeln. Er hat tat­säch­lich Tränen in den Augen. 15.000 Kölner rasten kom­plett aus. Wir führen. Gegen Arsenal. Gän­se­haut! Kurz glaube ich ernst­haft daran, dass wir hier etwas mit­nehmen können. Schon zur Halb­zeit habe ich keine Stimme mehr.

Die schönste Nie­der­lage

Im zweiten Durch­gang drehen San­chez & Co. dann auf. Das 1:1 war ohnehin nur eine Frage der Zeit. Beim 1:2 stimmen die Lon­doner erst­mals Schmäh-Gesänge in unsere Rich­tung an. Zumin­dest für wenige Minuten. Wir ant­worten laut­stark mit: You only sing when you’re win­ning.“ Die Goo­ners“ ver­stummen. Sogar die Ordner können sich das Lachen kaum ver­kneifen.

Wir haben uns teuer ver­kauft. Aber viel wich­tiger: so eine Stim­mung hat noch keiner von uns erlebt. In keinem Sta­dion. Und das obwohl es nicht mal annäh­rend aus­ver­kauft war. Noch eine Stunde nach Abpfiff feiern wir unsere Mann­schaft. Unseren Klub. Und uns selbst. Keiner ver­lässt das Sta­dion. Dass wir mit 1:3 ver­loren haben ist egal. Zumin­dest für den Moment.

Die Rück­kehr des Geiß­bocks

Knapp sieben Wochen später ist es nicht mehr so egal. Der Effzeh steht in der Liga noch immer ohne Sieg, in der Europa League ohne Punkt und nun auch noch ohne Manager da. Nach dem emo­tio­nalen Höhe­punkt in London, hätte es für Köln kaum schlechter laufen können. Kater­stim­mung. Abstiegs­angst. Aber wie sagt man in der Dom­stadt so schön: Et kütt wie et kütt!“ 

Vor dem Spiel gegen BATE Borisov ist das Wei­ter­kommen schon so gut wie unmög­lich. Die Liste der Ver­letzten wächst. Die Hoff­nung auf einen Sieg? Gering. Und den­noch gibt es kaum etwas Schö­neres, als mit diesem Verein mit zu fie­bern und mit zu leiden. Lange haben wir auf die Rück­kehr nach Europa gewartet. Jetzt werden wir uns anständig ver­ab­schieden. Viel­leicht dauert es erneut 25 Jahre, ehe der Geiß­bock wie­der­kommt. Wahr­schein­lich sogar länger.