Kein anderer deutscher Spieler steht so im Fokus der Fußballwelt wie Mesut Özil. Die Geschichte über eine Karriere wie am Reißbrett, die Männer hinter dem Spieler und den Millionenpoker abseits des Platzes
Die Männer hinter Mesut Özil haben klare Ereignisketten geschaffen, an deren Ende Millionen verdient werden und die mitunter vergessen lassen, dass der Kern des Geschäfts noch immer ein junger Mann mit schüchternem Bubengesicht und großen Augen ist, der auf den engen Bolzplätzen von Gelsenkirchen groß geworden ist.
Fast scheint es so, als wolle auch die Entourage von Mesut Özil an diese Zeiten nicht mehr erinnert werden. Die Geschäfte werden heute auf der Königsallee in Düsseldorf gemacht. Hier reihen sich die Kaufhäuser aneinander, Geschäfte mit riesigen Glasscheiben, goldenen Dekorationen und ausgestellten Kleidungsstücken ohne Preisschild. Man trägt wieder Pelz. Kitzbühel im Rheinland.
Vor dem „Breidenbacher Hof“, einem Luxushotel mit jahrhundertelanger Tradition, steht ein Page, ein goldenes Geländer führt aus der Lobby in den ersten Stock. Dort sitzt auf einem Sofa ein stämmiger Mann im Anzug und hebt den Finger. „Allein ein guter Fußballer zu sein, das reicht nicht“, sagt Mustafa Özil, Vater und ehemaliger Berater von Mesut Özil. Er kennt die Angestellten des Restaurants mit Vornamen.
Özil überall: Wachsfigur und Wassermelonen
Hier hat er ein Fest mit 130 Gästen ausgerichtet, als sein Sohn ins Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds in Berlin aufgenommen wurde. 2012 holte er die Vermarktungsgesellschaft „Sky Media Network “ ins Boot, ein Mitarbeiter kümmerte sich fortan ausschließlich um Mesut Özil. Es entstand eine Kooperation mit einer sogenannten Kreativagentur, die ein umfassendes Vermarktungskonzept für Mesut Özil entwickelte, so wie sie es bereits für Coca- Cola oder Louis Vuitton getan hatte. Und Mustafa Özil ging gegen einen spanischen Gemüsehändler vor, der seine Wassermelonen „Mesut Özil“ nannte und das rechtlich schützen lassen wollte.
Mustafa Özil hatte viele Baustellen, aber noch mehr Ideen für neue.
Er erzählt von den Stationen seines Sohnes, schiebt Wein- und Wassergläser hin und her wie bei einer Aufstellung. Von Rot- Weiss Essen, wo ein Jugendtrainer das Talent seines Sohnes übersah. Mitspieler aus der Essener Zeit berichten, dass Vater Özil bei jedem Spiel seines Sohnes dabei war. Bei jedem. Stets redete er seinem Sohn zu. „Mesut, du bist so gut, dich können sie nicht verstecken.“ Dann wechselte Mesut zum FC Schalke 04, dort kam der Durchbruch, er wurde Profifußballer in seiner Heimatstadt.
Doch keiner der Beteiligten redet heute gerne über Schalke 04, zu unschön war das Ende. Der geheime Vertrag wurde an die Presse durchgestochen, von Bestechungsversuchen wird geraunt. Ein Schalker Verantwortlicher von damals sagt, es habe bereits eine Handschlag-Vereinbarung über eine Vertragsverlängerung gegeben. Doch dann traf Özils Konkurrent Ivan Rakitic mit einem Wahnsinnstor in München. Prompt habe sich der Wind gedreht. Mesut habe nichts dafürgekonnt, heißt es, aber sein Vater habe ihm die Luft abgeschnürt.
„Sie wollten ihn stoppen“
Mustafa Özil sagt: „Schalke hat versucht, Mesut zu stoppen.“ Auf Schalke war nicht nur das Tischtuch zerschnitten, der Tisch war zersägt. Kurz vor dem Ende der Transferperiode im Januar 2008 blieb allein die Frage, wohin Özil wechselte. Erstmal raus aus Gelsenkirchen. Fünf Vereine waren im Rennen: Bayer Leverkusen, VfB Stuttgart, Hannover 96, Werder Bremen und Manchester United. United allerdings wollte Özil nur für sechs Monate ausleihen. Mesut tendierte anfangs zum VfB, schließlich spielte dort mit Yildiray Bastürk ein enger Freund. Vater Mustafa erinnert sich an das entscheidende Gespräch mit dem Filius im Wohnzimmer: „Ich sag: ›Bremen, mein Lieber, die spielen 4−4−2, Thomas Schaaf ist ein super Trainer, Klaus Allofs macht super Arbeit.‹ Da hat er gesagt: ›Papa, Werder Bremen!‹“ Noch im gleichen Jahr gründete Mustafa Özil die „Özil Marketing GmbH“. Die Einzelprokura übernahm Reza Fazeli, Mesut Özils Berater.
Bambi, Nike und Real Madrid
Nur einen kleinen Fußmarsch auf der Königsallee entfernt sitzt Fazeli in einem Büro in der zweiten Etage vor einem großen weißen Tisch. Er spricht ruhig und bedacht, möchte am liebsten keine Interviews geben und schon gar nicht zitiert werden.
Das Verhältnis zwischen Fazeli und seinem Klienten war eng. 2010 erhielt Mesut Özil den Integrationsbambi. Die Kamera schwenkte während seiner Rede immer mal wieder auf Fazeli, der Özils Worte lippensynchron mitsprach und später erleichtert applaudierte. In Bremen brillierte Özil, schoss den Klub zum Pokalsieg und reifte zum Nationalspieler. Fazeli ebnete Özil den Weg hin zum nächsten wichtigen Karriereschritt: ein „internationaler“ Spieler zu werden, der nicht nur in Wanne-Eickel und Osnabrück erkannt wird, sondern auch in Oviedo und Rotterdam.
Es lockte Real Madrid, der berühmteste Klub der Welt. Kurze Zeit später spielten mit Hamit Altintop, Nuri Sahin und Mesut Özil drei der Klienten von Fazeli bei den Königlichen. Der Wechsel hatte einen langen Vorlauf. Özils Name war bei Real bereits 2009 diskutiert worden. „Kalter Krieg an der Weser“, schrieben in der Folge spanische und deutsche Zeitungen über den langwierigen Vertragspoker, in dessen Verlauf Bremens Manager Klaus Allofs ein erstes Angebot der Madrilenen als „lächerlich“ bezeichnete.
„Kalter Krieg“ an der Weser
Derweil wuchs auch das Interesse von Manchester United. Alex Ferguson schickte seinen Bruder als Scout auf die Tribüne des Bremer Weserstadions. Barcelonas Präsident Sandro Rosell fühlte vor, ebenso Arsenals Trainer Arsène Wenger.
Doch beim Champions-League-Finale im Mai 2010 im Estadio Bernabeu von Madrid wurden die Verhandlungen zwischen Real und Özil konkret. Kurz darauf machte er auf dem Rasen bei der WM 2010 von sich reden – und als deutscher Vertreter im Nike- Fernsehspot während des Turniers. Für die Kampagne „Schreib Zukunft“ setzte der US-Konzern Superstars wie Didier Drogba, Roger Federer, Kobe Bryant und Wayne Rooney als Testimonials in Szene – und eben Mesut Özil. Sein eigener Werbefilm mit der Firma dauerte zweieinhalb Minuten. Özil profitierte nicht nur finanziell von dem Spot, rückblickend markiert er den Beginn seines Aufstiegs zum Weltstar.