Im richtigen Leben war der Stürmer Maksim Tsyhalka nur ein passabler weißrussischer Fußballprofi. Im Computerspiel Championship Manager hingegen ein Superstar.
Ein Interview mit Maksim Tsyhalka? Schwierig. Der zweimalige weißrussische Nationalspieler lebt heute ziemlich zurückgezogen in seiner Heimatstadt Minsk. Er hat Geldsorgen, und gesundheitlich geht es ihm auch nicht gut. Es steht wieder eine Operation an. Spätfolgen einer Karriere, von der ansonsten nicht allzu viel übrig geblieben ist – mit Ausnahme eines Sieben-Sekunden-Videos auf Youtube, in dem er sein einziges Länderspieltor erzielt, bei einem 2:2 gegen Usbekistan im April 2003. Anders sieht es allerdings aus, wenn man nach „Maxim Tsigalko“ sucht, denn dann findet man Videos, in denen er 100 Tore in einer Saison schießt, für Borussia Dortmund spielt oder Sporting Lissabon ins Finale der Champions League führt.
Tsigalko – diese Schreibweise benutzten die Macher der digitalen Fußballsimulation Championship Manager, die Kennern als Vorläufer von Football Manager geläufig ist. Vor der Saison 2001/02 verpassten die Programmierer ausgerechnet einem 18-jährigen Talent aus Weißrussland ein grandioses Datendoping. Das Potential-Rating des Youngsters war schier exorbitant – und in der Gamer-Gemeinde verbreitete sich das Geheimnis wie ein Lauffeuer. Alle virtuellen Fußballmanager wollten nur noch einen kaufen: Tsigalko/Tsyhalka.
„Ich besaß nicht mal eine Konsole“
Warum Tsyhalka so fabelhafte Werte bekam, darüber gibt es nur Theorien. Eine besagt, dass der Scout, der für Championship Manager die Spieler in Osteuropa beobachtete, sich ganz einfach einen kleinen Scherz erlaubte und einen Landsmann etwas pimpte. Und so stieg Tsyhalka zum virtuellen Superstar auf, während er im realen Leben um einen Platz im Profikader von Dinamo Minsk kämpfte. Wie fühlt man sich da? „Das kann ich nicht beantworten“, sagt Tsyhalka leise. „Ich hatte ja lange Zeit gar keine Ahnung von alldem.“ Damals, als die Wohlstandskids in Westeuropa wie Süchtige an den Controllern japanischer Spielekonsolen oder amerikanischer PCs hingen, kickte man in Weißrussland noch mit Lederbällen auf der Wiese.
„Ich habe jeden Tag Fußball gespielt, zuerst auf einem Bolzplatz mit Freunden, abends dann beim Training mit Dinamo Minsk“, erinnert sich der heute 34-Jährige. Aber Managerspiele? Tsyhalka schüttelt den Kopf: „Solche Videogames kannte ich damals gar nicht. Ich besaß nicht mal eine Konsole oder einen PC. Erst zwei, drei Jahre später habe ich in einer weißrussischen Zeitung von der Hysterie um meine Person erfahren. Verrückt.“
Der „Ronaldo Osteuropas“
Verrückt waren vor allem Tsyhalkas Leistungen in der digitalen Welt. Eine dreistellige Saison-Torausbeute im Trikot von Dinamo Minsk? Kein Problem für den „Ronaldo Osteuropas“, wie er schon bald in einschlägigen Foren betitelt wurde. Für die Zocker war Tsyhalka allerdings eine viel größere Nummer als Ronaldo, denn er war spottbillig, traf zuverlässig wie Old Surehand, verletzte sich nie und galt als ultimativer Erfolgsgarant. Noch heute kann man seine verschiedenen fiktiven Karrieren im Internet nachverfolgen. In einem dieser virtuellen Leben wurde er zum Beispiel 2009 zu Europas Stürmer des Jahres gewählt, vor Emile Mpenza und David Trezeguet.
Doch der echte Maksim Tsyhalka spielte 2009 schon nicht mehr Fußball, denn er hatte im Verlauf seiner Karriere weitaus weniger Glück als sein digitales Alter ego. Zwar galt er tatsächlich als hochveranlagter Torjäger, aber auch als phlegmatisch und anfällig für Blessuren. Eine diese Verletzungen erwischte ihn zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: Während eines Probetrainings beim portugiesischen Erstligisten Maritimo Funchal im Jahr 2004 verletzte Tsyhalka sich schwer am Knie und fiel sieben Monate aus.
Auch Dinamo Minsk, wo der Schlaks noch bis 2005 unter Vertrag stand, wollte anschließend nichts mehr von ihm wissen. Seine weiteren Stationen hießen: Naftan Nawapolazk (Weißrussland), Qaisar Qysylorda (Kasachstan), FC Banants Jerewan (Armenien) und Savit Mogilev (Weißrussland). Mit 25 Jahren musste er seine Karriere als Sportinvalide beenden. „Heute“, sagt er, „spiele ich nur noch gelegentlich Fußball, einfach zum Spaß.“
„Maxim Tsigalko – The Legend“
Der virtuelle Tsyhalka aber genießt unter älteren Gamern noch immer absoluten Kultstatus. Im Internet werden bis zum heutigen Tag T‑Shirts mit der Aufschrift „Maxim Tsigalko – The Legend“ verkauft. Von den Erlösen sieht der Mann aus Fleisch und Blut keinen Cent. „Leider“, seufzt er halb im Scherz. „Andererseits bin ich natürlich auch keine Legende. Legenden sind Menschen, die wirklich Großartiges geleistet haben – in der Realität.“
Lange mochte er gar nicht über das Thema reden. Noch vor einigen Jahren lehnte er alle Anfragen ab, als man ihn für ein Buch über die Erfolgsgeschichte des Spiels interviewen wollte. Doch nun kann Tsyhalka über sein Leben als Spielkonsolenheld lächeln, wenn auch etwas müde: „Letztlich hat mir die Sache für meine Karriere weder Nutzen noch Schaden gebracht, außer natürlich ein paar dummen Sprüchen von meinen Mannschaftskollegen.“ Selbst gespielt hat er das Managerspiel übrigens nie.