Wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay soll Manchester City für zwei Jahre von der Champions League ausgeschlossen werden. Doch warum investieren die Besitzer aus Abu Dhabi eigentlich so massiv in den Fußball?
Was hinter den Kulissen des englischen Meisters geschieht, hat unser Autor in der Ausgabe #195 festgehalten. Hier gehts zum Heft.
2018 kündigte Amazon Prime eine Eigenproduktion an, eine Dokumentation über die so glänzende Saison von Manchester City. Da kam mir die Idee für eine mögliche Anfangssequenz. Man hört darin die Worte, die ein US-Fernsehreporter 2009 sagte: „Was Sie nun sehen werden, ist extrem brutal und verstörend.“ Es folgt eine unheilvolle Pause, unterlegt mit bedrohlicher Musik. Dann wird unscharfes Bildmaterial eingespielt. Es zeigt Scheich Issa bin Zayed Al Nahyan, den Halbbruder des Besitzers von Manchester City, irgendwo in der Wüste vor den Toren Abu Dhabis.
Mit einer Viehpeitsche schlägt er auf einen Mann ein, der von einem Polizisten festgehalten wird. Die Musik weicht langsam den Gesängen von Manchester-City-Fans, die im Etihad Stadion den Bruder des Prügelnden besingen: „Scheich Mansour, my Lord, Scheich Mansour!“ Währenddessen schlägt Issa den Mann mit einem Brett, aus dem ein Nagel hervorsteht, er streut Salz in die Wunden und verpasst seinem Opfer einen Elektroschock. Dann steckt er den Mann in Brand.
An dieser Stelle muss Amazon Prime dem Drang widerstehen, die Stimmung etwas aufzuhellen, etwa indem sie Bilder eines wunderbaren Zusammenspiels zwischen Kevin de Bruyne und David Silva dazwischenschneiden. Stattdessen folgt die Kamera Scheich Issa und zeigt, wie er mit seinem Mercedes-SUV wieder und wieder über den leblosen Körper fährt, während auf der Tonspur Fußballfans weiter der Königsfamilie von Abu Dhabi zujubeln, deren Geld Manchester Citys Aufstieg in die erste Riege des europäischen Fußballs erst ermöglicht hat.
Nun, die Anfangssequenz ist fiktiv, doch das Video, auf dem ein ehemaliger Geschäftspartner von Scheich Issa gefoltert wird, ist echt. Es wurde dem Sender ABC zugespielt und löste 2009 einen weltweiten Skandal aus. In Abu Dhabi jedoch wurde Scheich Issa gerichtlich vom Vorwurf der Folter freigesprochen. Die abstruse Begründung: Der Scheich sei von Gangstern unter Drogen gesetzt worden.
Ein berechtigter Einwand könnte nun lauten, was diese finstre Geschichte mit dem berauschenden Fußball zu tun hat, den Manchester City unter Pep Guardiola gegenwärtig spielt. Schließlich hat Scheich Issa mit Manchester City nichts zu tun, und seit der Folterung wird er als schwarzes Schaf der Familie auch etwas aus der Öffentlichkeit gehalten. Doch dass so etwas in Abu Dhabi möglich ist, lädt dringend dazu ein, einen etwas genaueren Blick darauf zu werfen, wer wirklich hinter dem glänzenden Fußballprojekt steckt. Und was dabei zutage tritt, ist nicht unbedingt erfreulicher als die Geschehnisse auf dem Foltervideo und deren Folgen.
Das ursprüngliche Gesicht der Übernahme des Vereins durch das Emirat Abu Dhabi im September 2008 war das von Dr. Sulaiman al-Fahim, einem umtriebigen Geschäftsmann, passionierten Schachspieler und Gastgeber einer Reality-TV-Show. Dem Reporter James Montague sagte er ein paar Wochen nach Abschluss des Deals: „Ich betrachte mich als Vorsitzenden, als Besitzer. Sogar unsere offizielle Pressemitteilung nennt mich den Besitzer. Das war nett, das gefiel mir. Ich mag es, wenn mein Bild in den Nachrichten ist.“
Doch den Männern, die wirklich hinter der Übernahme steckten, gefiel das offenbar nicht so sehr, jedenfalls wurde al-Fahim stillschweigend beiseitegeschoben. Offiziell gehört Manchester City nun Scheich Mansour Al Nahyan. Der ist so begeistert von seiner angeblichen Investition von fast einer Milliarde Pfund, dass er in den letzten neun Jahren genau ein Spiel seines Klubs besucht hat. „Mansour mag den ganzen Rummel nicht“, war die eher unglaubwürdige Antwort, die jemand beim Klub dem „Guardian“ gab, als die Zeitung wissen wollte, warum der Scheich dem Stadion fernbleibt. Eine einfachere Erklärung könnte sein, dass Scheich Mansour nichts mit Manchester City zu tun hat und dass es gar nicht sein Geld ist, das für den großen Aufschwung des Klubs gesorgt hat. Dass es aber den Anschein haben soll.
Abu Dhabi ist das wohlhabendste und einflussreichste der sieben Emirate, aus denen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bestehen. Der Mann, der Abu Dhabi regiert und dort die Politik diktiert, ist Mansours Bruder, Kronprinz Mohamed bin Zayed Al Nahyan, ein Halbbruder von Prügel-Scheich Issa. Die Männer, die bei Manchester City das Sagen haben, sind Vertraute des Kronprinzen. Der wichtigste heißt Khaldoon Al Mubarak, ist Citys Vorsitzender und die rechte Hand des Kronprinzen. Er leitet außerdem ein noch wesentlich wichtigeres Unternehmen von Mohamed bin Zayed. Gemeint ist der Megakonzern Mubadala, der Vermögenswerte von 50 Milliarden Pfund besitzt und weltweit enorme Summen in die unterschiedlichsten Branchen investiert.
Der Kronprinz ist auch die treibende Kraft hinter den Bemühungen der Emirate, eine Rüstungsindustrie aufzubauen. Er kann also selbst Waffen herstellen und sie dann an die zunehmend aktive VAE-Armee verkaufen kann. Er ist im Begriff, eine Art Ein-Mann-Rüstungsindustrie zu werden, und dabei niemandem Rechenschaft schuldig. Das gilt auch für die Kriegstreiberei an einem Ort wie dem Jemen. Das ärmste Land der arabischen Halbinsel wird gerade von einer Koalition unter der Führung Saudi-Arabiens, zu der auch die VAE gehören, durch andauernde Bombardierungen zerstört.
Ebenfalls im Vorstand von Manchester City und eine andere Schlüsselfigur ist der Australier Simon Pearce. Der Leiter von Abu Dhabis strategischer Kommunikation hat sich einen Namen bei der PR-Firma Burson-Marsteller gemacht, die auch für Kunden wie Nicolai Ceaucescu und Union Carbide gearbeitet hat. (Was zu dem Spruch führte: „Wenn das Böse PR braucht, ruft es Burson-Marsteller an.“) Abu Dhabi beauftragte Pearce damit, den Ruf des Emirats zu schützen und aufzupolieren.
Wer verstehen will, warum das Emirat Manchester City gekauft hat, sollte Abu Dhabi nicht nur als Stadtstaat, sondern auch als Konzern betrachten. So wie auch Pearce das tut, für den es keinen Unterschied macht, ob er bei Geschäftsabschlüssen berät oder Empfehlungen zur Innen- und Außenpolitik gibt. Wer glaubt, das seien wilde Spekulationen, dem sei die Lektüre seiner E‑Mails im Internet empfohlen.
Das ist möglich geworden, seit der Hotmail-Account von Yousef Al-Otaiba gehackt wurde, dem Botschafter der VAE in den USA. „Er ist clever, gerissen und er schmeißt Hammerpartys“, schrieb die „Huffington Post“ in einem Porträt über Otaiba. Allerdings war der Botschafter nicht clever genug, seine elektronische Post gut zu verschlüsseln. Das erlaubte der investigativen Website The Intercept, eine Reihe von faszinierenden Artikeln über seinen E‑Mail-Verkehr zu veröffentlichen. Dabei ging es auch um den New York City FC, Abu Dhabis amerikanische Fußballniederlassung. In einer Mail vom 5. Mai 2013 riet Pearce dem von ihm als „Chief“ titulierten Botschafter zu großer Vorsicht, um negative PR zu vermeiden. „Jetzt, da der Deal an die Öffentlichkeit gelangt ist, stellt jede Verzögerung der Entscheidung bezüglich des Franchises und des Stadions ein zusätzliches Risiko für das Projekt sowie für den Ruf der Eigentümer dar“, schrieb Pearce.
Er benannte einige „Schwachstellen von Abu Dhabi und den VAE“, auf die sich Kritiker stürzen könnten, als da wären: „Schwule, Reichtum, Frauen, Israel.“ Gemeint damit waren der enorme Reichtum des Landes, der Neid wecken könnte, die Kriminalisierung von Homosexuellen, die Rolle der Frau und die Weigerung der VAE, den Staat Israel anzuerkennen. Außerdem sorgte Pearce sich darüber, dass „die Medien, die Politiker und die Gesellschaft Abu Dhabi als Eigentümer definieren und nicht die CFG“. Die City Football Group wurde 2014 gegründet, um die Fußballgeschäfte des Emirats abzuwickeln, zu ihr gehören neben den Klubs in Manchester und New York auch der Melbourne City FC und der Club Atlético Torque in Uruguay. Außerdem ist sie beteiligt an den Yokohama Marinos in Japan und dem spanischen FC Girona. Trotz seiner Bedenken schrieb Pearce, dass es ein „herber Rückschlag für die CFG-Pläne“ und eine „vertane Chance“ wäre, sollte der Deal mit der Major League Soccer doch noch platzen. Er war also offensichtlich der Meinung, dass die Vorteile des Deals das Risiko schlechter Presse aufwogen.
Ganz ähnlich sieht es in Manchester aus. Dort ist man so begeistert von Abu Dhabi, dass das Emirat gerne bereit ist, ein paar PR-Risiken in Kauf zu nehmen. Als Abu Dhabi vor einigen Jahren ein Immobiliengeschäft über eine Milliarde Pfund mit der Stadtverwaltung abschloss, äußerten Menschenrechtsgruppen sich besorgt über das enge Verhältnis der Stadt Manchester zu einer fragwürdigen Regierung. In seiner Antwort beschrieb der Stadtrat das Emirat als „beispielhaften Geschäftspartner“ und argumentierte, dass die „angeblichen“ Misshandlungen, die dem Emirat vorgeworfen würden, sich dem Einflussbereich der Stadtverwaltung entzögen.
Pearces E‑Mails erlauben einen Einblick, warum Abu Dhabi überhaupt Fußballvereine kauft. Es geht dabei um mehr als die Verbesserung der Außendarstellung. In New York wollte Pearce beispielsweise gar nicht, dass der Klub mit Abu Dhabi in Verbindung gebracht würde, weil er fürchtete, dass die Exponierung besagter „Schwachstellen“ des Emirats dessen geschäftliche Interessen gefährden könnten.
Fraglich ist auch, ob es Abu Dhabi darum geht, mit dem Fußball Gewinne zu generieren. Zwar betont Manchester City gerne die Tatsache, dass man in den letzten drei Jahren einen Nettogewinn von 32,2 Millionen Pfund eingefahren habe. Doch in den fünf Spielzeiten davor betrug der Nettoverlust fast eine halbe Milliarde Pfund, und der Kauf des Vereins hatte geschätzt rund 210 Millionen Pfund gekostet. Nimmt man alle Verluste seit 2008 zusammen, kommt man auf einen Betrag von wohl über 850 Millionen Euro. Sollte der Plan gewesen sein, alternative Einnahmequellen für die Zeit nach dem Öl zu erschließen, so macht Abu Dhabi bislang keinen guten Job.
Letztlich geht es aber wohl um etwas anderes: Manchester City und New York City ermöglichen es Abu Dhabi, in Macht- und Einflusszentren Fuß zu fassen. Die Klubs sind Plattformen, von denen aus man neue Geschäftsverbindungen knüpfen und alte festigen kann. Auf diese Weise stärken sie den politischen Einfluss des Landes. Es ist nicht klar, ob hier das Hauptziel des Engagements im Fußball liegt, aber die E‑Mails von Pearce weisen in diese Richtung. Aus ihnen spricht zwar die schon erwähnte Sorge, dass es eine riskante Strategie sei, eine gewalttätige Diktatur dermaßen ins Rampenlicht zu stellen, aber er ist auch der Überzeugung, das Risiko kontrollieren zu können.
Pearce tut das auf drei Wegen: Erstens stellt er den Eigentümer des Vereins als wohlhabenden und großzügigen Geschäftsmann dar, nicht als allmächtigen Staatsmann, weshalb Mansour Al Nahyan und nicht Kronprinz Mohammed bin Zayed im Vordergrund steht. Zweitens verbreitet Pearce über die Medien Lobeshymnen auf die vermeintliche Fortschrittlichkeit der VAE. Und drittens stellt er die Glaubwürdigkeit oder Beweggründe derer in Frage, die Abu Dhabi kritisieren. Unglücklicherweise macht er all das ziemlich gut.
Der irische Fußballjournalist Ken Early bezeichnete Manchester City kürzlich als „Wirtsorganismus“. Early ging nicht soweit, Abu Dhabis Herrscherfamilie mit einem bösartigem Virus zu vergleichen, aber wenn man sich anschaut, wie die Männer hinter Manchester City ihren Einfluss im Ausland geltend machen, ist die Metapher gut gewählt. Bereits 2012 verfasste Pearce Briefings für den Kronprinzen, in denen es darum geht, dass der damalige englische Premierminister David Cameron dazu gedrängt werden sollte, härter gegen die sogenannte Muslimbruderschaft in Ägypten vorzugehen.
Aus Pearces Notizen geht hervor, dass Cameron als Gegenleistung ein lukratives Waffen- und Ölabkommen offeriert werden sollte. Auch in Washington zieht Abu Dhabi Fäden, um neo-konservative Kräfte zu stärken und Menschenrechtsorganisationen zu diskreditieren. In Frankreich helfen die Vereinigten Arabischen Emirate sogar extrem rechten Gruppierungen, so waren sie 2012 bereit, den Wahlkampf von Marine Le Pen mit zwei Millionen Dollar zu unterstützen.
Daheim liegen die Dinge nicht besser. Kronprinz Mohamed bin Zayed hat wenig Skrupel, auf altbewährte Weise dafür zu sorgen, dass seine Untertanen nicht aus der Reihe tanzen. Sein aus Schlägertypen bestehender Sicherheitsapparat patrouilliert in SUVs durch die Straßen. Wer kritische Tweets formuliert, ist erledigt, wie das Beispiel des preisgekrönten Menschenrechtsaktivisten Ahmed Mansoor zeigt, der in Abu Dhabis Gefängnissen dahinvegetiert. Und das Foltervideo von Scheich Issa beweist, dass wir hier nicht bloß über die Verletzung von Menschenrechten reden, sondern über Verbrechen, die von einer korrupten Justiz gedeckt werden. Im Jahresbericht 2016/17 von Amnesty International über die Situation in den Vereinigten Arabischen Emiraten heißt es: „Die Regierung schränkt die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit 2016 weiterhin willkürlich ein. Regierungskritiker, Oppositionelle und ausländische Staatsangehörige wurden festgenommen und strafrechtlich verfolgt.“
Abu Dhabi hat vielleicht nicht die schlimmste Regierung der Welt, aber es ist fraglos die schlimmste Regierung, die einen Fußballverein führt. Natürlich dicht gefolgt von Katar. Der Einfluss dieser beiden Regierungen auf den europäischen Fußball sollte nicht nur die Fans der betroffenen Klubs beunruhigen. Doch davon wird man in der Dokumentation von Amazon Prime nichts zu hören bekommen. Und sie wird auch nicht mit einer Anfangssequenz beginnen, die brutal und verstörend ist. Dabei ist die Wahrheit das oft.
Nick McGeehan ist Experte für den Nahen Osten und war lange für die NGO Human Rights Watch tätig.