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Es ist lange her, dass man in Dort­mund nach einem erzit­terten Unent­schieden in so gelöste, fröh­liche Gesichter sah wie am Dienstag. Sebas­tian Kehl schaffte es sogar noch vor Erling Haa­land ins Visier der Fern­seh­ka­meras. Wäh­rend das nor­we­gi­sche Wun­der­kind noch über­legte, ob er einige dieser ganzen Man-of-the-Match-Tro­phäen mal bei eBay ein­stellen sollte, gab der zukünf­tige Sport­di­rektor des BVB zu Pro­to­koll: Das war ein geiler Fight!“

Ein paar Meter weiter stand Noch-Trainer Edin Terzic und sah aus wie jemand, der sich viel­leicht zum ersten Mal in seinem Berufs­leben so richtig auf ein Inter­view freut. Kaum leuch­tete das Rot­licht, gewährte Terzic einen Ein­blick in sein Gefühls­leben. Dass Borussia Dort­mund im Vier­tel­fi­nale der Cham­pions League steht, sagte er, fühlt sich ganz cool an“. Da wun­derte man sich vor allem, dass der Mann über­haupt noch bei Stimme war, schließ­lich hatte Terzic fast 100 Minuten lang schreien müssen wie nie zuvor. Denn der Rück­kampf des BVB gegen den FC Sevilla war vor allem: die lau­teste Bol­zerei seit Erfin­dung der Geis­ter­spiele.

Die armen Pferde

Auf dem Platz befand sich kein ein­ziger Spieler aus Sevilla, der nicht jeden Pass und jede Grät­sche kehlig kom­men­tiert hätte; selbst der marok­ka­ni­sche Tor­wart Bono konnte ja vor lauter Mit­tei­lungs­be­darf nicht mehr an sich halten, wie Haa­land bei seinem ersten Elf­meter her­aus­fand. Von der spa­ni­schen Bank mal ganz zu schweigen, um mit Absicht ein in diesem Zusam­men­hang schiefes Bild zu gebrau­chen. Die ohren­be­täu­benden Kom­mandos von Trainer Julen Lope­tegui und seinen Ver­ba­las­sis­tenten ras­selten jeden­falls so unauf­hör­lich in die Dort­munder Nacht, dass in den Ställen des nahe­ge­le­genen Reit­ver­eins die Pferde auf Tage hinaus schlecht schlafen werden.

Warum ist das erwäh­nens­wert? Weil eine Dort­munder Mann­schaft, der man gerne ein Men­ta­li­täts­pro­blem unter­stellt und die von Dietmar Hamann erst vor Kurzem an der Grenze zur Untrai­nier­bar­keit ver­ortet worden ist, beim Ein­satz der Stimm­bänder genauso dage­gen­hielt wie beim Rennen, Rem­peln und Ran­da­lieren. Siehe dazu nur Thomas Delaney vor dem 1:0 und höre Haa­land nach dem 2:0. An einem Abend, an dem der FC Sevilla große Ähn­lich­keit mit Atlé­tico Madrid hatte, ent­deckte die Borussia eine Art Ein­tracht Frank­furt in sich.

Und so ist die für alle Dort­mund-Fans beste und wohl auch wich­tigste Erkenntnis aus dem Spiel, dass eine Ten­denz der letzten Wochen ein­drucks­voll bestä­tigt wurde. Die jüngsten Erfolge, ange­fangen beim Hin­spiel in Sevilla, sind nicht etwa das Resultat von wun­der­barem Fuß­ball, den die vielen talen­tierten Spieler in Schwarz-Gelb durchaus auf den Rasen zau­bern können, wie sie schon bewiesen haben. Statt­dessen nahmen sie den anstren­genden Pokal­kampf, den ihnen auf­ge­drehte Spa­nier auf­zwangen, genauso an wie den in Mön­chen­glad­bach vor acht Tagen.

Viel­leicht ist es ein wenig vor­eilig, das jetzt schon zu sagen, aber es hat den Anschein, als wäre der BVB im Früh­jahr 2021 plötz­lich erwachsen geworden. Das sieht man am 17-jäh­rigen Jude Bel­lingham, der Axel Witsel fast ver­gessen ließ, obwohl um ihn herum eine hit­zige Hektik herrschte, die man ihm in Bir­mingham nur selten zuge­mutet haben dürfte. Das sieht man auch am ewigen Talent Mah­moud Dahoud, der sich völlig über­ra­schend in eine Elf gebissen hat, in der gerade kein Bedarf an einem Schön­geist wie Julian Brandt besteht. Und man sieht es natür­lich auch an dem Mann, der vor drei Monaten noch keine Ahnung hatte, dass er jemals Chef einer Pro­fi­mann­schaft sein würde. Oder dass außer ihm nur noch sieben andere Trainer um die Cham­pions League spielen könnten.

Nicht zu früh freuen

Edin Terzic ist zwei­fellos der Mann der Stunde, und man mag sich gar nicht aus­malen, was jetzt los wäre – auf den Seiten der Bou­le­vard­blätter, beim Vor­stand des BVB und im Wohn­zimmer von Marco Rose –, wenn er sein Ding auch am Samstag in Mün­chen nur ein paar Minuten länger durch­ge­zogen hätte. Ver­mut­lich wäre er dann schon ein heißer Kan­didat auf die Nach­folge von Joa­chim Löw. Das ist zwar kein Scherz (wer es dafür hält, kann sich ja mal durch­lesen, wen Mehmet Scholl so vor­schlägt), aber natür­lich trotzdem maßlos über­trieben. Denn noch sind alle Lobes­hymnen auf den neuen BVB und seinen jungen Inte­rims-Betreuer ver­früht.

Denn das Errei­chen des Vier­tel­fi­nales in der Königs­klasse ist zwar ebenso erfreu­lich wie das bis­he­rige Abschneiden im DFB-Pokal. Doch die Saison des Klubs ist damit noch lange nicht gerettet. Gerade in diesem Jahr hängt für Dort­mund alles am Errei­chen des Sai­son­zieles. Und das lautet natür­lich: vor Schalke landen. Nein, Quatsch. Es heißt: min­des­tens Platz vier. Denn auch im nächsten Jahr braucht die Borussia die Cham­pions League. Um die finan­zi­ellen Corona-Schäden zu mil­dern, um für Erling Haa­land attraktiv zu bleiben, um Jadon Sancho zu halten. Bei aktuell vier Punkten Rück­stand ist zwar noch alles drin, aber um das noch auf­zu­holen, darf das Sevilla-Spiel nicht der letzte geile Fight gewesen sein.