Christel Neumann, die „Kurvenmutti“ von Eintracht Braunschweig, ist jeden Tag am Stadion. Sogar einen Generalschlüssel hat sie. Warum sie noch immer mit Torsten Lieberknecht telefoniert und einen guten Draht zu den Ultras pflegt.
Herzlichen Glückwunsch, Frau Neumann, die Stadt Braunschweig verleiht Ihnen die Bürgermedaille für das Jahr 2018. Wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren?
Ich habe einen Brief vom Bürgermeister bekommen. Dann ging alles ganz schnell, die Braunschweiger Zeitung hat berichtet, die Neue Braunschweiger und auch im Radio haben sie etwas dazu gebracht. Ich war sehr überrascht. Eigentlich ist es auch gar nicht mein Ding, so in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber das ist jetzt auch egal, ich freue mich trotzdem.
Die Stadt verleiht Ihnen die Auszeichnung für Ihr ehrenamtliches Engagement für bedürftige Eintracht-Fans, aber auch für Einrichtungen wie das Frauenhaus oder die Aktion „Kinder in Armut“. Was treibt Sie bei dieser Arbeit an?
Als ich nach Braunschweig kam und meine ersten Eintracht-Spiele besucht habe, habe ich festgestellt, dass doch vielen etwas fehlt. Irgendwann haben wir dann vereinbart, dass ich die Pfandbecher, die die Fans in den Innenraum werfen, einsammle und das Geld für gute Zwecke spende. Deswegen trage ich auch den weißen Helm. Sonst tut das nämlich weh, wenn man doch mal einen Becher abbekommt. Gemeinsam mit dem Catering zählen wir dann die Becher und entscheiden mit den Fanbeauftragten, wohin das Geld geht (pro Spiel kommen dabei zwischen 400 und 800 Euro zusammen, d. Red.). Kurz vor Weihnachten waren wir zum Beispiel im Frauenhaus und haben dort eine Spende abgegeben. Es gibt so viel Elend auf der Welt, da möchte ich etwas Gutes tun. Das ist das, was mich im Leben erfüllt.
Für ihr Engagement bekommen Sie nicht nur die Auszeichnung der Stadt, sondern auch Unterstützung von anderen Braunschweig-Fans, wenn Sie selbst mal Hilfe benötigen.
Als ich vor zwei Jahren einen Unfall mit meinem Auto hatte, haben die Fans mir im Stadion ein neues Auto geschenkt, zurechtgemacht mit „Kurvenmutti“-Schriftzug und „Einmal Löwe immer Löwe“. Das ist doch schön, dieser Zusammenhalt. Da kommt einiges zurück. Oder auch das Hallenturnier, das die Ultras jetzt zum neunten Mal organisiert haben. Da kamen wieder 25.000 Euro für den guten Zweck zusammen.
Und Sie wieder einmal mittendrin?
Aber sicher. Vor dem Turnier habe ich mich um Sponsoren gekümmert: Hier 50 Kilo Mett beim Metzger angefragt, da einhundert Brötchen beim Bäcker abgeholt. 1600 Mettbrötchen habe ich insgesamt geschmiert. Und dann den ganzen Tag in der Halle verbracht – großartig!
Ihnen wird ohnehin ein guter Draht zu den Ultras nachgesagt.
Von Anfang an waren das Vertrauen und das gute Verhältnis da. Ich darf auch zu jeder Feier der Ultras kommen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass diese Jungs und Mädels oft verkehrt eingeschätzt werden. Die gehen nur ungern von allein an die Öffentlichkeit, aber die haben schon so viel geleistet und getan. Wenn ich für jemanden Geld gesammelt habe oder eine Dauerkarte für jemanden gesucht habe, dessen Vater gerade gestorben war, waren die Ultras immer sofort zur Stelle. Auch bei Umzügen haben sie schon geholfen. Da kann ich nur den Hut vor ziehen.
Sie haben früher als Jugendherbergsmutter gearbeitet. Liegt Ihnen das Kümmern im Blut?
Absolut, das ist mein Ding, gerade auch die Arbeit mit Kindern. 120 Kinder habe ich in der Jugendherberge früher täglich betreut. Wenn ich heute im Innenraum die Kurve abgehe, rufen die Kinder immer „Kurvenmutti, Kurvenmutti“.
Bei all dem Engagement sind Sie ja dennoch in erster Linie immer noch Fan von Eintracht Braunschweig. Wie sehr schmerzt Sie die aktuelle sportliche Situation?
Ganz ehrlich: Entweder ich bin ein Eintracht-Fan oder ich bin eben kein Eintracht-Fan. Wir waren schon einmal neun Jahre in der dritten Liga. Wir fahren trotzdem zu jedem Spiel. Ich gehe in jede Liga mit Eintracht und wenn es die Regionalliga ist. Aber wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir haben jetzt ja auch einige Neue geholt. Vielleicht klappt es ja doch noch mit dem Klassenerhalt.
Vermissen Sie Torsten Lieberknecht, der im Sommer nach zehn Jahren bei Eintracht Braunschweig entlassen wurde
Dass ich den vermisse, das weiß jeder. Wir hatten einen super guten Draht zueinander. Ich telefoniere auch jetzt noch regelmäßig mit ihm und seiner Frau. Auch auf seinem Geburtstag war ich. So einen wie Torsten Lieberknecht, den findet man so schnell nicht wieder. Das ist schon ein ganz besonderer Mensch, das ist einmalig. Wenn wir irgendetwas brauchten oder beim Hallenturnier etwas gefehlt hat, hat er Geld gegeben. Man konnte mit allem zu ihm kommen. Für seine Aufgabe in Duisburg habe ich ihm viel Glück gewünscht. Das wird er schaffen. Das wünschen wir ihm alle.
Sie werden in diesem Jahr 75 Jahre alt. Gibt es Pläne, demnächst etwas kürzer zu treten oder wollen Sie auch weiterhin zu jedem Auswärtsspiel fahren?
Natürlich, das ist doch das was jung hält. Das kann ich jedem nur empfehlen. Ich bin bei jedem Spiel, ob auswärts oder zuhause. Und auch sonst bin jeden Tag am Stadion, meistens komme ich mit dem Fahrrad. Dann schmiere ich Brote oder helfe im Büro aus. Ich habe sogar einen Generalschlüssel. Ich beschäftige mich schon, es gibt hier immer etwas zu tun.