Die WM 1974 hatte noch gar nicht richtig begonnen, da konnte man schon die erste Lehre aus ihr ziehen: Kein Mensch braucht Eröffnungsfeiern.
Viel schlimmer, zumindest für die Fans, war aber das, was sich zwischen den Darbietungen der Jugoslawen und Brasilianer so abspielte. Die Bundesrepublik vertraute der Winninger Winzer‑, Tanz- und Trachtengruppe, die „Ja, das hat die Mosel so an sich“ schmetterte – und damit nur den DFB-Präsidenten Hermann Neuberger dazu brachte mitzusingen. Und während eine 20-köpfige Tanzgruppe aus Zaire die Hüften schwang, explodierte plötzlich eine Rakete auf der Gegentribüne, was eine kurze Panik auslöste, weil einige Zuschauer ein Attentat der RAF vermuteten.
Und dann war da noch die DDR, die den Schlagersänger Frank Schöbel und seine Band um Uve Schikora ins Rennen schickte.
Die Afrikaner flohen ins Warme
Schöbel hatte den fetzigen WM-Song der DDR veröffentlicht. „Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“ hieß das Stück, bei dem verzerrte Gitarren einen Text untermalten, der forderte: „Lasst den Fußball leben, Tore muss es geben!“ Für die Eröffnungsfeier war das den DDR-Oberen aber wohl zu rockig. Also spielte Schikora Fagott und sechs Mitglieder des Staatsopernballetts versuchten sich an ein paar Hebeübungen, während Schöbel „Freunde gibt es überall“ trällerte.
Seine herzerwärmenden Zeilen wie „Feuerrot geht der Tag und die Nacht beginnt/Wenn ein Kind sich einsam fühlt, dann erzählt der Wind“ ließen allerdings das „Ensemble Pende“ aus der Provinz Bandundu in der heutigen Demokratischen Republik Kongo buchstäblich kalt. Entgegen der Absprache machten sich die Afrikaner, die zwanzig Minuten vor Schöbel aus dem Ball gehüpft waren, während des DDR-Auftritts vom Acker und flohen ins Warme.
Das Publikum wäre ihrem Beispiel vermutlich gerne gefolgt. Auf den meisten Plätzen konnte man weder die Musik richtig verstehen noch die Künstler gut erkennen. „Wer keinen Feldstecher im Marschgepäck hatte, blickte mehr auf die Uhr als auf das Spielfeld“, notierte das Fachblatt „Kicker“, das für seinen Bericht über die Feier das Waldstadion bissig als „Tatort“ bezeichnete. So atmeten alle auf, als das Pflichtprogramm um 17 Uhr endlich beendet war und die Mannschaften aus Brasilien und Jugoslawien die Bühne übernahmen. Sie quälten sich zu einem 0:0, und jetzt endlich waren es die Zuschauer leid: Ein Pfeifkonzert beendete den ersten Tag der WM.