In Anlehnung an seinen Lieblingsverein Fortuna Düsseldorf gründet der Sprachstudent Robert Gonnella 1994 in Peking zuerst das Fußballteam Fortuna 94 Beijing. Und dann die größte Amateurliga Chinas.
Robert Gonnella, was hat Sie 1994 mit 26 Jahren nach China verschlagen und wie kam es zur Gründung von Fortuna 94 Beijing?
Ich bekam ein Stipendium, um in Peking Chinesisch und Logistik zu studieren. Zuvor hatte ich bereits zwei Jahre in Japan gelebt, wo ich mit Studenten von der Sprachuni den Fußballverein Fortuna 1993 Tokyo gründete und in der International Friendship Football League spielte. Da war es für mich naheliegend, auch in Peking ein Team ins Leben zu rufen. Wenn ich schon nicht mehr die Heim- und Auswärtsspiele von Fortuna Düsseldorf sehen konnte, so wollte ich auch in China ein Stückchen Fortuna haben. Also gründete ich Fortuna 1994 Beijing. Ich habe an der Uni und an den Orten, wo sich die ausländischen Studenten aufhielten, Flyer verteilt und Plakate aufgehangen, um eine Mannschaft zusammenzustellen. Das erste Team von F94 bestand aus Russen, Arabern, Nepalesen, Franzosen, Japanern, Engländern, Chinesen, Palästinensern und Deutschen. Alle waren komplett fußballverrückt.
Gegen welche Teams spielte Fortuna? Und wie sah es 1994 überhaupt mit Fußballplätzen in Peking aus?
Zuerst waren es wenig reizvolle Freundschaftsspiele gegen Botschafts- und Arbeitermannschaften. Und da zeigte sich auch schon die Diskrepanz in der Volksrepublik: Die Botschaftsteams spielten auf Rasenplätzen, die ohne Umkleidekabinen, Duschen, Flutlicht und Schiedsrichter umgerechnet satte 200 Euro für zwei Stunden kosteten. Für die Äcker und Schotterplätze, auf denen die Arbeiter und Studenten spielten, mussten wir um die 20 Euro hinblättern. Zum Vergleich: Ein Lehrer hat damals in China rund 300 Euro monatlich verdient. Um eine Meisterschaft austragen zu können, habe ich die Idee der International Friendship Football League aus Japan nach China adaptiert. Schließlich wollte ich mit Fortuna auch Pokale gewinnen.
Haben Sie in der Volksrepublik China, die nun mal ein autoritäres Staatssystem ist, keine Schwierigkeiten mit der kommunistischen Partei bekommen?
Anfangs lief alles prima. Wir spielten in einer Liga mit zehn Mannschaften die Meisterschaft aus, und meine Fortuna wurde gleich in der ersten Saison Meister. Aber wenn man in China öffentliche Veranstaltungen austrägt, zu denen zum Teil um die 200 Zuschauer kommen, kann man sicher sein, dass mindestens einer vom Staatsschutz oder der Staatssicherheit unter den Besuchern ist. So kam dann auch irgendwann jemand vom chinesischen Fußballverband auf mich zu und sagte: „Was Sie hier machen, ist illegal.“ Seine Frage danach, wer denn die Verantwortung trägt, wenn ein Spieler auf dem Platz zum Invaliden wird oder tot zusammenbricht, konnte ich leider nicht beantworten. Ich wusste nur: Ich will sie auf keinen Fall haben.
Und trotzdem ging es für Ihre Liga weiter. Wie haben Sie das hinbekommen?
Der chinesische Fußball stand damals ganz am Anfang und verpasste die Weltmeisterschaft 1994 in den USA bereits in der Vorrundenqualifikation der Asienqualifikation. Es gab damals nur die erste und zweite chinesische Liga, an einem Unterbau mit Amateuren fehlte es komplett. Der chinesische Fußballverband sah in unserer Liga auch eine Chance für sich selbst. Weil es die IFFL schon in Japan gab, musste ich die Liga zu einem Klub machen, sie in International Friendship Football Club umbenennen und offizielles Mitglied im chinesischen Fußballverband werden. Die Liga hieß jetzt also Club, doch der Ligabetrieb lief weiter wie bisher. Es war eine Win-win-Situation: Der Verband versprach sich durch unsere Liga internationale Erfahrung und schickte seine Schiedsrichter zur Ausbildung zu unseren Spielen. Wir durften dafür weitermachen und mit einem All-Star-Team aus der Liga auch an den offiziellen Play-Offs um den Aufstieg in die zweite chinesische Liga mitspielen. Leider mit der Auflage, nicht aufsteigen zu dürfen, weil wir eben kein chinesischer Verein waren. Sportlich hätten wir den Aufstieg bereits in den ersten beiden Jahren geschafft, wurden einmal Zweiter und einmal Dritter, was uns qualifiziert hätte.
Wie haben Sie Fortuna 94 und die Liga überhaupt finanziert?
Ich kannte den Sohn von Chinas damaligem Nationaltrainer Klaus Schlappner sehr gut. Für ihre Firma hatte ich einige logistische Tätigkeiten übernommen und neben meinem Stipendium noch ein bisschen Geld verdienen können. Zum Beispiel, als Franz Beckenbauers Verlag sein Buch am chinesischen Markt positionieren wollte. Da war ich quasi Tourneemanager des „Kaisers“ und habe Fernsehauftritte, Autogrammstunden und seine Reise organisiert. Später wollte Schlappner sein eigenes Bier in China etablieren. Da kam ich aber erst dazu, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war: Unzählige Paletten Dosenbier aus Deutschland hingen in Shanghai ewig im Zoll fest und wir haben sie nicht rausbekommen, weil irgendjemand plötzlich noch einen immens hohen Betrag haben wollte, den Schlappner zu Recht nicht gewillt war zu zahlen. So hat der Zoll das Bier erst freigegeben, als das Verfallsdatum abgelaufen und somit nicht mehr verkäuflich war. Ich habe die Dosen dann vertrauensvoll an mich genommen und sie wochenlang an die Ligaspieler und Zuschauer verteilt. Ich werde nie vergessen, wie Fans und Spieler von Afrika United völlig besoffen von abgelaufenem Schlappner-Bier während eines Fortuna-Spiels Bob-Marley-Lieder sangen und uns gegen den Dauerrivalen Inter Beijing anfeuerten.
Wie hat sich der IFFC dann entwickelt?
Das muss man sich mal vorstellen: Aus der erst illegalen Liga wurde ein offizieller Spielbetrieb, der in seiner besten Zeit drei Ligen und 40 Teams beinhaltete, in denen es nach europäischem Vorbild neben der Meisterschaft auch um Aufstieg, Abstieg und den ligainternen Pokal ging. Dazu hatten wir eine Frauen- und eine Kinderliga und wurden mit über tausend Mitgliedern aus mehr als 80 Nationen der mitgliederstärkste Amateurverband Chinas in den Neunzigerjahren. Für Nebentätigkeiten bei den Schlappners blieb also keine Zeit mehr, weil ich mich ausschließlich um den IFFC kümmerte. Als Ligamanager brachte ich eine IFFC-Zeitung heraus, organisierte den Spielplan, die Schiedsrichter und die Plätze, die ich nun über den chinesischen Verband bekam und ihn an die Teams vermietete. Günstigere und bessere Fußballplätze als zur Anfangszeit. Davon konnte ich leben und noch etwas für die Altersvorsorge sparen.
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(„Der Beginn einer neuen Ära“: Ein Spieltagsheft aus der Saison 1997/98. Foto: Robert Gonnella / privat).
Das hört sich nicht nach dem großen Geld an, um das es heute in China geht …
Um Geld ging es auch damals schon. Als wir an den Play-Offs um den Aufstieg in die zweite Liga teilnahmen, verdiente jeder Spieler Geld – außer unsere. Wir haben das alles nur gemacht, um zu den Besten zu gehören. Es war eine Frage der Ehre, der Ursprung des Fußballs. Für eine kurze Zeit hatten wir mal eine deutsche Altbierbrauerei auf dem Trikot, die auch Fortuna Düsseldorf sponserte. Dafür bekamen wir zwei Kisten Bier pro Spiel. Das brachte finanziell natürlich nichts. Weil aber eine Kiste immer an unsere Gegner ging, waren wir zumindest das beliebteste Team der Liga.
Gab es auch Spieler, die über den IFFC den Sprung in die erste chinesische Liga schafften?
Drei afrikanische Spieler vom Team Afrika United schafften es tatsächlich, dauerhaft in der höchsten chinesischen Liga zu spielen. Aber auch umgekehrt tat sich einiges. Der chinesische Nationalspieler Gao Feng, der so etwas wie der Rudi Völler Chinas war, spielte zum Beispiel nach seinem Karriereende in unserer Liga. Und auch der englische Ex-Nationalspieler Ian Rush schnürte für die englische Vertretung im IFFC einmal die Fußballschuhe. Allerdings wenig erfolgreich. Der populärste Zuschauer, den wir jemals hatten, war Quentin Tarantino. Als er zu Aufnahmen für seinen Film „Kill Bill“ in China war, hat er sich ein Spiel von Fortuna Beijing angesehen.
Warum sind Sie 2012 nach Düsseldorf zurückgekehrt, und was machen Fortuna 94 Beijing und der IFFC heute?
Nachdem ich in China geheiratet hatte, wollte ich mit meiner Frau Xiao Ma eine Familie in Deutschland gründen. Nach 18 Jahren in China war es auch einfach an der Zeit wieder nach Hause zu kommen. F94 spielte noch ein Jahr in der Liga, dann wurde das Team aufgelöst. Schwieriger als die Umstände in einem kommunistischen Staat war es von Anfang an, die vielen Nationalitäten mit ihren unterschiedlichen Befindlichkeiten innerhalb eines Teams zusammenzuhalten. Als ich wieder in Düsseldorf war, hat das leider nicht mehr so gut geklappt. Den IFFC habe ich an zwei sehr gute Freunde übergeben und er existiert noch heute. In jedem Jahr wird der Robert-Gonnella-Pokal ausgespielt. Und ich mache nun wieder das, was ich vor meiner langen Reise nach Asien schon getan hatte: Ich besuche die Heim- und Auswärtsspiele von Fortuna Düsseldorf.