Der Ex-Wolfsburger Victor Osimhen wechselt für bis zu 80 Millionen Euro von Lille nach Neapel. Sein Wechsel zeigt, was für ein Spekulationsgeschäft der Fußball mittlerweile ist. Und wie mit Transfers Bilanzen geschönt werden.
Der nigerianische Angreifer Victor Osimhen wechselt für 70 Millionen Euro vom französischen Erstligisten OSC Lille zur SSC Napoli nach Italien. Hinzu kommen erfolgsbezogene Boni, die die Ablöse auf etwa 80 Millionen Euro anwachsen lassen können. Er ist damit nach dem Ivorer Nicolas Pépé, der letztes Jahr für 80 Millionen Euro von Lille zu Arsenal ging, der zweitteuerste afrikanische Fußballer aller Zeiten. Rund fünf Millionen Euro brutto pro Jahr soll Osimhen beim Team von Trainer Gennaro Gattuso in Neapel verdienen.
Stolze Summen in einer von der Corona-Pandemie geprägten Zeit, in der sich viele Fußballvereine auf die Fahne geschrieben haben, in Zukunft mehr Demut zu zeigen und sich finanziell besser auf Krisen vorbereiten zu wollen. Besonders skurril dürfte die horrende Ablösesumme für den 21-Jährigen auf die Beobachter der Bundesliga wirken. Denn zwischen Januar 2017 und August 2018 stand Osimhen im Kader des VfL Wolfsburg, blieb bei seinen Einsätzen aber unauffällig.
Osimhens Transfer nach Wolfsburg war bereits im Januar 2016 beschlossene Sache, konnte aber noch nicht final durchgeführt werden, weil internationale Wechsel von Minderjährigen laut FIFA-Statuten verboten sind. Osimhen zog also erst im Januar 2017, wenige Tage nach seinem 18 Geburtstag nach Niedersachsen. 3,5 Millionen Euro überwies Wolfsburgs damaliger Geschäftsführer Klaus Allofs an die nigerianische Ultimate Strikers Academy. Die Führungsetage der Wölfe erwartete sich von Victor Osimhen, der 2015 bei der U17-WM in Peru Torschützenkönig geworden war, einen zukünftigen Toptorjäger.
Spektakuläre Tore – wie das von Frankfurts nigerianischem Offensivspieler Jay-Jay Okocha gegen Oliver Kahn Anfang der 90er – erzielte Osimhen in seiner Zeit bei den Wölfen allerdings nicht. Beziehungsweise: Ihm gelangen in 14 Bundesligaspielen überhaupt keine Tore. Die Voraussetzungen waren für Osimhen aber auch denkbar schlecht. Als er in Wolfsburg eintraf, laborierte der 18-Jährige gerade an einer Meniskusverletzung. Dieter Hecking war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Trainer der Wölfe und Klaus Allofs als Geschäftsführer zurückgetreten, weil es sportlich kriselte: 2017 und 2018 musste der VfL in die Relegation und entging nur knapp dem Abstieg.
Victor Osimhen scheint beim VfL Wolfsburg nicht zufrieden.
Das Leihgeschäft nach Belgien zu Sporting Charleroi in der Sommertransferperiode 2018 war aus Perspektive der Wölfe die logische Konsequenz. Im Gegensatz zu seinen Einsätzen im deutschen Oberhaus ließ er in der schwächeren belgischen Liga seine Qualitäten schnell aufblitzen und schoss wettbewerbsübergreifend in 36 Partien 20 Tore. Charleroi zog die vereinbarte Kaufoption von 3,5 Millionen Euro, gab Oshimen aber umgehend an Lille ab: Und zwar für über 20 Millionen Euro. Plötzlich floss eine Menge Geld für Osimhen, der in Deutschland schon als Flop abgestempelt worden war.
Wie in Belgien begeisterte Victor Osimhen auch die Zuschauer der französischen Ligue 1. Ganz ohne Anlaufschwierigkeiten. Mit seinem Tempo, seiner Wendigkeit und einem nahezu perfekten Timing beim Abschluss. In 38 Spielen für die Doggen aus Lille sammelte der nigerianische Nationalspieler 24 Scorerpunkte. Osimhen stellte unter Beweis, dass er in einer Liga, die der Bundesliga qualitativ ebenbürtig ist, eine entscheidende Rolle zum Erfolg beitragen kann.
Osimhen zusammen mit dem ehemaligen Bayernspieler Renato Sanches im Trikot des OSC Lille.
Nur ein Jahr später, im Sommer dieses Jahres, dann also der Wechsel nach Neapel.Laut Aussage des Präsidenten von Napoli, Aurelio De Laurentiis, wollten Trainer Gennaro Gattuso und Sportdirektor Cristiano Giuntoli den jungen nigerianischen Offensivmann unbedingt in ihrer Mannschaft haben. Diesem Wunsch kam der Präsident nach, indem er das nötige Geld zur Verfügung stellte.
Doch nicht nur die hohe Ablöse erregt Aufsehen, merkwürdig erscheint auf den ersten Blick auch, dass laut des italienischen Journalisten Gianluca Die Marzio im Gegenzug vier Spieler von der SSC Napoli nach Lille wechseln sollen. Namentlich: Orestis Karnezis, Luigi Liguori, Claudio Manzi und Ciro Palmieri. Kostenpunkt: 20 Millionen Euro. Wohlgemerkt für vier Spieler, die addiert einen Marktwert von circa einer Millionen Euro aufweisen. Osimhen kostet Napoli im Umkehrschluss also nur etwa 50 Millionen Euro.
Das Konzept, das hinter diesem scheinbaren Tauschgeschäft steckt, ist in der Fußballbranche nicht ungewöhnlich. Dabei geht es hauptsächlich um die buchhalterische Korrektur der eigenen Bilanzen, was wiederum dazu dient, das Financial Fairplay möglichst effektiv auszuhebeln. Ähnliches passierte im Juni 2020, als Juventus den brasilianischen Mittelfeldspieler Arthur für 72 Millonen Euro aus Barcelona verpflichtete und Barca im Gegenzug Juves Miralem Pjanic für 60 Millionen nach Katalonien holte (Siehe Artikel: Financial Foulplay).
„Die wichtigste Lehre ist, dass man bei manchen Transfers Geduld haben muss. Man kann nicht sagen: Wir verpflichten da einen, sorgen für Unterkunft und Verpflegung und dann funktioniert das schon“, resümierte Allofs Nachfolger Jörg Schmadtke gegenüber dem Sportbuzzer nach der Bekanntgabe des Wechsels von Osimhen nach Italien. Bei Wolfsburg ist also mittlerweile die Einsicht eingekehrt, bei Osimhen voreilig gehandelt und damit einen Fehler begangen zu haben. Oder um es mit dem Vokabular des heutigen Fußballgeschäfts auszudrücken: Die Entscheidungsträger der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH haben sich mit der Wertanlage namens Victor Osimhen verspekuliert.