Unser Autor hält seit seiner Jugend zum Hamburger SV. Aus Liebe wurde irgendwann Hoffnung – es folgte Lethargie. Heute wünscht er sich den Abstieg herbei. Wie konnte es nur soweit kommen?
Ich habe die große Ära des HSV nicht erlebt. Die erste Schüler-Dauerkarte kaufte ich mir 1990, drei Jahre nach dem Gewinn des DFB-Pokals, dem letzten Titel der Vereinsgeschichte. Es war eine aufregende Zeit, wild und neu und bunt, auch wenn es eigentlich bieder und farblos war. Das Stadion sah aus, als hätte es jemand aus einer gottverlassenen sowjetischen Trabantenstadt herausgetrennt, eine Betonschüssel neben einer Müllverbrennungsanlage.
Der HSV verlor vor 10 000 Zuschauern gegen Wattenscheid, er gewann gegen Bayer Uerdingen, und alle paar Jahre gab’s mal ein Unentschieden gegen die Bayern. Die alten Fans pfiffen, schimpften, und vermutlich fragten sie sich: „Wo sind Hrubesch und Kaltz? Und wer sind Matysik und Bode?“, während in der Halbzeitpause die Countryband Truck Stop im Mittelkreis den Soundtrack zum Untergang spielte: „Take it easy, altes Haus“.
Der Verein war das geworden, was Bochum in den Achtzigern gewesen war: eine graue Maus. Aber im Grunde war es, zumindest für einen jungen Fan, vollkommen okay so. Es war ehrliches Mittelmaß.
Wenige Lichtblicke
Niemand kann heute so recht sagen, wann die Scheiße angefangen hat. Vielleicht ging es wirklich schon 1987 los, als der Trainer-Dämon Ernst Happel den HSV verließ. In den Jahren danach legte sich die goldene Vergangenheit dunkel und bleiern über den Volkspark. Zwischendrin ein paar Lichtblicke, nach denen man in Hamburg glaubte, man sei wieder wer.
Im September 2000 ein 4:4 in der Champions-League-Gruppenphase gegen Juventus Turin. Der Trainer, Frank Pagelsdorf, weinte vor Freude, und wir tobten durch den Block, als wären wir auf einem Punkkonzert. Die totale Ekstase, aber auch Sinnbild: Ein Unentschieden gilt als der größte Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte.