Yannick Erkenbrecher, seit 2012 begleiten Sie und Vinko Bicanic in ihrer Dokumentarreihe „Projekt Profi“ die Spieler Raif Husic, Jonathan Tah, Patrick Pflücke und Sinan Kurt auf ihrem Weg in das Fußball-Profigeschäft. Was war der Anlass, das Projekt zu starten?
Steffen Freund war damals als Sky-Experte tätig und gleichzeitig U16-Nationaltrainer. Er meinte, er hätte sehr interessante Jungs in seiner Auswahl.
Warum fiel die Wahl auf Husic, Tah, Pflücke und Kurt?
Wir wollten für jede Position einen Spieler. Keeper Husic war zu der Zeit die klare Nummer eins in seinem Jahrgang. Über Tah hat Steffen Freund schon damals gesagt: „Wenn der kein Profi wird, dann hab ich keine Ahnung von Fußball.“ Pflückes Geschichte war interessant, weil durch seinen Wechsel die ganze Familie von Dresden nach Mainz umgezogen ist. Und Kurt wurde in Gladbach mit Marco Reus verglichen, der gerade nach Dortmund gewechselt war.
Zu der U16 gehörten damals auch Spieler wie Julian Brandt, Levin Öztunali oder Leroy Sane.
Insgesamt ist der 96er Jahrgang unglaublich. Trotzdem schafft es nur ein Bruchteil in den Profibereich. Aber wir waren uns einig, dass es in jedem Fall spannende Geschichten zu erzählen gibt. Auch wenn es ein Spieler nicht schaffen sollte.
Mit Tah schaffte bisher nur ein Spieler den ganz großen Durchbruch.
Pflücke hat uns leider nach der zweiten Folge abgesagt, weil er sich voll auf den Fußball konzentrieren wollte. Aktuell spielt er für die Mainzer U23 in der 3. Liga. Husic hatte in München und Bremen keine Aussicht auf Profieinsätze. Im Sommer ist er nach Aalen gewechselt. Kurt kämpft bei Hertha BSC um seinen Platz im Profikader, hat den Status des Talents aber noch nicht ablegen können. Und die Geschichte um Tah ist natürlich ein Märchen, das schöner nicht hätte geschrieben werden können.
Was hat Tah anders gemacht als die anderen?
Er war von Anfang an der Reifste. Er war schon immer sehr klar im Kopf. Als wir die Jungs bei der U16 in Spanien das erste Mal begleitet haben, waren wir jeden Abend für ein Videotagebuch verabredet. Drei von ihnen musste ich ständig daran erinnern. Tah kam vom zweiten Tag an auf die Minute pünktlich. Ab dem dritten Tag habe ich ihm die Verantwortung übertragen. Danach kamen auch die anderen immer pünktlich.
Mit 17 hat Tah beim HSV seinen ersten Profivertrag unterschrieben, heute ist er Nationalspieler und spielt mit Leverkusen in der Champions League. Hat er sich in der Zeit verändert?
Nein, er ist sich immer selbst treu geblieben. Er ist offen und zuvorkommend, insgesamt geerdet. Als er beim HSV ausgemustert und in die zweite Liga verliehen wurde, ist er daran gewachsen. Deswegen weiß er seine Situation heute umso mehr zu schätzen und wie es sich anfühlt, wenn man mal nicht auf der Überholspur lebt.
Wie ist das bei Kurt? Sein Wechsel von Gladbach nach München sorgte damals für viel Aufregung.
Kurt war schon immer ein eigener Kopf, der sich für nichts zu schade war. Ein Spaßvogel. Das ist er bis heute auch geblieben, trotz des ganzen Rummels um ihn herum. Er würde selbst nie sagen, dass sein Wechsel nach München ein Fehler war. Ich persönlich bin aber fest davon überzeugt, dass er zum etablierten Bundesligaspieler geworden wäre, wäre er in Gladbach geblieben.
Nicht nur Kurt wechselte den Verein. Insgesamt haben die vier Spieler während Ihres Projekts in elf Vereinen gespielt, auch beim DFB wurde Personal ausgetauscht. Wie lief da die Zusammenarbeit ab?
Die Fluktuation war definitiv eine Herausforderung. Am Anfang haben wir mit Steffen Freund viel Zeit in die Idee investiert, damals war Matthias Sammer noch DFB-Sportdirektor. Kurze Zeit später ging Sammer zum FC Bayern und Freund nach Tottenham. Bei den Vereinswechseln war es ähnlich. Immer wieder mussten wir die neuen Verantwortlichen von der Idee überzeugen und neue Arrangements treffen. Die Vereine haben uns quasi mit verpflichtet.
Wie haben Sie die Vereine dann immer wieder überzeugen können?
Wir haben oft von unserer ersten Folge profitiert, die wir vorzeigen konnten. Dort stand schließlich der Stempel des DFB drauf. Dadurch haben wir auch immer schnell Vertrauen zu den Vereinen aufbauen können, sodass wir für alle Seiten gute Lösungen gefunden haben. Zumal auch die Spieler von unserer Zusammenarbeit profitieren.
Inwiefern?
Die Jungs haben von Anfang an den Umgang mit den Medien gelernt. Das Verhalten vor der Kamera hat sich von Dreh zu Dreh weiterentwickelt. Tah sagt heute, er ist dankbar über unsere Zusammenarbeit, denn so konnte er den ganzen Medienzirkus etwa bei der EM in Frankreich viel besser verarbeiten. Er hatte vom ersten Tag an Bock drauf. Und so hat sich die manchmal kritische Herangehensweise der Vereine immer eingependelt.
Wie verhalten sich die Spieler Ihnen gegenüber?
Die Jungs haben Vertrauen in uns, weil seit dem ersten Tag dasselbe Team hinter dem Projekt steht. Wir begleiten sie privat und nicht als Fußballprofi. Das ist ein anderes journalistisches Genre. Wir haben einen anderen, engeren Draht zu den Spielern als andere Journalisten, die sich in erster Linie mit dem Fußballprofi beschäftigen.
Yannick Erkenbrecher, wie geht es in Zukunft weiter mit „Projekt Profi“?
Keiner der Jungs ist am Ende seiner Entwicklung. Wir drehen fleißig weiter und für 2017 ist auf jeden Fall eine siebte Ausgabe geplant. Wir haben keinen festen Sendetermin. Stattdessen senden wir einfach, wenn wir genug spannende Geschichten zusammen haben. Und davon gibt es noch einige.