Warum bekommen manche Spieler bei Länderspielen der Nationalmannschaft mehr Fanfrust ab als ihre Kollegen? Eine Psychoanalyse der deutschen Fanseele.
Wer die Liebe des Publikums zu Klose und Schweinsteiger sieht, begreift, warum Mario Gomez ein bemerkenswert naheliegender Sündenbock ist, wenn mal bei einem Länderspiel nicht alles glatt läuft. Ein junger Mann von viel zu gutem Aussehen und einer Frisur, die tragischerweise auch bei Starkregen über 90 Minuten besser sitzt als auf den Plakaten beim Bahnhofsfriseur. Ein Spieler, dessen betont aufrechter Gang so wenig dem Idealbild des im Sperrfeuer des unsichtbaren Gegners geduckt vorpreschenden deutschen Landsers entspricht. Und ein Stürmer, der, zugegeben, in letzter Zeit in der Nationalelf öfter mal den Party-Crasher gespielt hat und nun schon seit zwei Jahren auf ein Tor im schwarzweißen Dress wartet.
Wobei natürlich lustig ist, dass sich heute noch schmerbäuchige Stammtischler mit Schaum in den Mundwinkeln über Gomez vergeigte Chance gegen Österreich 2008 echauffieren können, ihrerseits jedoch wegen auffälliger Spreizfüße schon in der G‑Jugend aussortiert wurden. Klar ist jedenfalls: Gäbe es Gomez nicht, würde es mit Sicherheit jemand anderen aus der Nationalelf treffen, vielleicht Mesut Özil, vielleicht auch Mats Hummels, der für Volkes Geschmack auch schon wieder viel zu gut aussieht und dessen Schlaumeierei in den Interviews die Fanseele regelmäßig überfordert.
Woher die Verehrung für Buchwald?
Freilich gab es das natürlich schon früher, dass Sympathie und Abneigung sehr ungleich verteilt wurden. In der WM-Elf von 1990 etwa wurden kreuzbrave Kämpfer wie Andi Brehme und Guido Buchwald vom Fanvolk heiß geliebt. Buchwald konnte sich nach seinem Übersteiger im Achtelfinale, bei dem sich der Mann beinahe beide Füße gebrochen hätte, vor kultischer Verehrung kaum retten.
Jürgen Klinsmann hingegen, der wegen seines VW-Käfers als Intellektueller und wegen der allzu langen Haare als Revoluzzer verdächtigt wurde, war den Anhängern zutiefst suspekt. Als Teamchef Franz Beckenbauer nach dessen Weltklassepartie gegen Holland im ARD-Interview missgünstig ins Mikro sprach, Klinsmann habe „weit über seine Verhältnisse gespielt“, traf das ziemlich genau die Empfindungen der Massen. Gomez kann also Trost darin finden, dass Sympathiebekundungen und Aversionen des Publikums Jahrzehnte alten und dabei erstaunlich stumpfen Regeln folgen.
Nun ist es eine erstaunliche charakterliche Deformation des Länderspielpublikums, einen Spieler aus den eigenen Reihen niederzupfeifen. Was jedoch die Auswahl der Lieblinge angeht, unterscheiden sich Nationalelf und Klubfußball tatsächlich nur in Nuancen. Auch in den Vereinen sind es in aller Regel erdverbundene und vereinstreue Kämpfertypen, denen hysterische Verehrung von den Rängen zuteil wird. Wer hingegen auch nur den vagen Eindruck erweckt, sein letzter Blick in der Kabine sei ein prüfender in den Spiegel, hat beim Publikum schon verloren.
Jeder liebt Uns Uwe
Als Blaupause des Volkshelden gilt dabei seit den sechziger Jahren der gute Uwe Seeler, der nicht nur auf dem Platz stets den treuen Rackerer gab, sondern sich obendrein auch als Lokalpatriot erster Kajüte inszenierte. Anstatt mal ein wenig Auslandserfahrung zu sammeln, schlug HSV-Mann Seeler einst ein prächtig dotiertes Angebot von Inter Mailand aus, was heute noch als heimlicher Höhepunkt der Hamburger Stadtgeschichte verklärt wird. Die Kriterien sind inzwischen notgedrungen ein wenig gelockert, heute gilt bereits eine Vereinszugehörigkeit von mehr als zwei Jahren als Ausweis besonderer Charakterfestigkeit. Wer dann auch noch einem zünftigen Tackling von hinten in die Beine des Gegners nicht abgeneigt war und sich beim Friseur beharrlich für einen unspektakulären Fassonschnitt entschied, konnte sich vor der Zuneigung des Publikums kaum retten.
Das führte etwa dazu, dass in Dortmund zwei, nun ja, semitalentierte Kicker wie Norbert Dickel und Jürgen Kohler zu Volkshelden avancierten. Dickel gilt bis heute als menschgewordene Opferbereitschaft, seit er im Pokalfinale auflief, zwei Tore schoss und sich anschließend bereitwillig in die Sportinvalidität verabschiedete. Und Jürgen Kohler verstand sich eben doch auf nichts so gut wie auf die eingesprungene Fluggrätsche. Der brave Jürgen beendete dann seine Karriere auch ganz klassisch mit einer Roten Karte, nachdem er im UEFA-Cup-Endspiel gegen Rotterdam einen Gegenspieler im Strafraum mitleidlos umgesenst hatte. Der Dortmunder Fanblock verabschiedete den Kokser mit donnerndem Applaus.
Dank Wampe zum Liebling der Massen
Zwei bis fünf Niveaustufen tiefer avancierte derweil in Düsseldorf der eher unbeholfene Fußsoldat „Karlo“ Werner zum Liebling der Massen. Mit Tränen der Rührung in den Augen skandierten die Fortuna-Anhänger „Karlo Werner Fußballgott“ und einige Spassekenmacher errangen mit der DKP („Deutsche Karlo Partei“) sogar einen Sitz im örtlichen Studentenparlament. Ähnliche Verehrung genoss Exilschwabe Günther Schäfer in Bielefeld für seine rustikale Spielweise, die im Wesentlichen darin bestand, meterweise Anlauf für furchterregende Grätschen zu nehmen. Wobei die Bielefelder in den Jahren zuvor nie besonders wählerisch in ihrer Gunst gewesen waren. Gehuldigt worden war Spielern wie dem Landesligaakteur Andre Neustädter, einem storchartigen Stürmer, dem bei Kopfbällen stets knapp die Eier aus der Hose lugten, und dem Neuzugang Thorsten Köppe, der die Massen dadurch für sich gewann, dass er nach seinem allerersten Tor beseelt auf den Fanblock zurannte, sein Trikot hochriss, worauf darunter eine ansehnliche Wampe zum Vorschein kam.
Da schwang dann schon immer ein wenig verzweifelte Ironie mit, wie auch beim FC St. Pauli, dessen Anhänger nach der Verpflichtung von Leonardo Manzi zunächst entsetzt feststellten, dass der Klub offenbar den einzig hüftsteifen Brasilianer weltweit unter Vertrag genommen hatten, dann aber den auf und neben dem Platz sichtlich überforderten Leo in ihr Herz schlossen.