Die Verantwortlichen des FC St. Pauli haben nach den Vorkommnissen im Stadtderby ein Law & Order-Maßnahmenpaket beschlossen. Damit geben sie dem öffentlichen Druck nach und stellen das höchste Gut des Klubs in Frage.
Sportlich hat die Mannschaft, das haben nicht erst die beiden jüngsten Niederlagen bewiesen, nicht allzu viel zu bieten; sie stagniert, wenngleich auf höherem Niveau als in den letzten Jahren. Aber St. Pauli war und ist Kult, Freibeutermentalität, Magie. Ein Fetzen Utopie in der sich selbst zunehmend entzaubernden Fußballwelt. Das hatte der Verein auch begriffen, als er 2009 seine Leitlinien verabschiedete. Darin heißt es: „Die aktive […] Fanszene bildet das Fundament für die Emotionalisierung des Fußballsports, welche wiederum die Grundlage der Vermarktungsfähigkeit des FC St. Pauli darstellt.“ Im jüngsten Statement ist dieses Bekenntnis zu einem mageren „Der FC St. Pauli wird den Weg des Dialogs mit der Fanszene nicht aufgeben, auch wenn das vom Verein entgegengebrachte Vertrauen während des Derbys von Teilen der Fanszene in der Südkurve missachtet worden ist“, zusammengeschrumpft. Wir sind enttäuscht, soll das heißen. Aber es heißt auch: Wir haben hier das Sagen. Autoritäres Machtgebaren wo Toleranz und Respekt in den Leitlinien stehen.
Süd sehen und sterben
Das Fundament scheint obsolet geworden. Anders ist es nicht zu erklären, dass es jetzt mit dem Presslufthammer aufgebrochen wird. Doch ein Image erhält sich nicht selbst, es ist kein passives Gut. Im Gegenteil bedarf es eines aktiven Prozesses, der Imagepflege. Die hat in der Vergangenheit die aktive Fanszene übernommen. Sie durch die angekündigten Maßnahmen zu zersetzen und auf Konfrontationskurs mit ihr zu gehen, wird diesen Prozess empfindlich stören. Wer nachrückt, genießt das Image lediglich; Flaneure, die sich im widerständigen Glanz von St. Pauli sonnen – und ihm dadurch die Strahlkraft nehmen.
Natürlich ist ein Klub, der nur sein Image hat, auf Dauer auch nur als Marketingvehikel erfolgreich. Doch den Nachrückern wird es egal sein, solange sie die „wahre“ St.-Pauli-Experience bekommen. Süd sehen und sterben. Die aktiven Fans sind es, denen beides am Herzen liegt. Die ihre Mannschaft siegen sehen wollen und mit ihrer Unterstützung alles daran setzen, ihr dabei zu helfen. Die den Kult geschaffen haben und ihn weiter befeuern. Weil sie den Klub lieben und nicht nur sein Image.
Über die sportliche Talfahrt, die nicht vorhandene Entwicklung der Mannschaft und die negative Tordifferenz haben die Verantwortlichen in den letzten Wochen kaum ein Wort verloren. Wenn es das ist, was sie mit ihrem Maßnahmenpaket erreichen wollen, dann sind sie kurzfristig auf einem guten Weg. Langfristig sägen sie an dem Ast, auf dem nicht nur sie selbst sitzen, sondern ein ganzer Fußballklub.