Heute vor 50 Jahren wurde das Münchner Olympiastadion eröffnet. Dass es dort oft lauter war als heute in der Arena, lag an der Südkurve. Dies ist ihre Geschichte.
Im Block V1 des Olympiastadions liegen zersetzte Zigarettenkippen, als ob seit Jahrzehnten nicht mehr gefegt wurde, an der Unterkante der Anzeigetafel verblassen ein paar Aufkleber. Die Papperl auf den Wellenbrechern zeugen davon, dass zwischendurch immer mal Mitglieder der Ultragruppe Schickeria vorbeikommen. Das fühlt sich dann vermutlich so an wie der Besuch am Grab der Lieblingstante. Man kann sich zwar nicht mehr an alles erinnern, was man zusammen erlebt hat, aber eigentlich war sie ja schon ganz nett.
„28. Juni 1972“, sagt Falk Diehl auf die Frage nach den größten Momenten im Stadion. Diehl ist 59+1, die Zahl 60 würde ihm nicht über die Lippen gehen, er ist einer von jenen, die schon zu Zeiten des Grünwalder Stadions dabei waren. „14. Mai 2005“, findet Simon Müller von der Ultragruppierung Schickeria. Der grandiose Abschied. Es scheint, als gehörten das erste und das letzte Spiel der Bayern hier zu den bedeutendsten.
So eine Stimmung habe ich danach nie mehr erlebt“
Beim ersten Spiel ging es gleich um den ultimativen Erfolg. Bayern Erster, Schalke Zweiter, Duell um die Meisterschaft, letzter Spieltag, Flutlicht. Und zugleich war es die Bundesliga-Einweihung. „So eine Stimmung habe ich danach nie mehr erlebt“, sagt Diehl. Während sie unten feierten, zählten sie oben das Geld. Für die Vereinsführung bedeutete die Partie das erste „Millionenspiel“, mit Einnahmen über einer Million Mark.
Das Olympiastadion mit seinen 79 000 Plätzen kam genau zur rechten Zeit. Es war ein Katalysator für den Aufstieg des FC Bayern in die europäische Spitze. Der Endstand lautete übrigens 5:1.
Niemand weiß genau, woher das eigentlich kam, dass die Bayern-Fans in der Süd- und die Sechzig-Fans in der Nordkurve stehen. Diehl vermutet, man habe sich damals die Südkurve ausgesucht, weil man bei einem 15.30-Spiel im Norden schon arg von der Sonne geblendet wird. Beim ersten Spiel aber standen noch die rund 2000 Schalke-Fans in der Südkurve und die Bayern-Fans rechts daneben, Richtung Gegengerade. Sie waren die deutlich kleinere Gruppe. Allerdings genug, um danach den Platz zu fluten.
Das sollte in der Anfangszeit öfter passieren. Zum Beispiel am 26. Mai 1973, nach einem 4:0 gegen Hertha BSC. Beide Fanblöcke rannten nach unten, aufeinander zu, man traf sich am Mittelkreis. Als alle dachten, jetzt kracht’s richtig, fielen sich die beiden Lager in die Arme – der Beginn einer großen Freundschaft. Einige Herthaner sprangen an diesem Tag noch in den Olympiasee. „Das war ja kein Badesee. Die waren alle grün, als sie wieder rauskamen“, erzählt Diehl.
Es ließ und lässt sich ja aushalten ums Stadion herum, in dieser Parkanlage für den Weltfrieden. Die Spiele in München sollten demokratisch und modern daherkommen, sie sollten bunt sein. Die Anlage entstand demonstrativ auf einem ehemaligen Militärgelände, der Olympiaberg südlich der Südkurve besteht aus aufgehäuften Weltkriegstrümmern. Von dort – so der demokratische Ansatz – sollte man ebenfalls den Sportlern im Stadion zusehen können. Später wurden hinter der Südkurve, noch auf dem Stadiongelände, weitere Parkbäume gepflanzt. Aber nicht etwa, um das Stadion noch besser in die Natur einzubetten, sondern damit die Zuschauer auf dem Olympiaberg, die nicht zahlten, nicht mehr so gut zuschauen konnten.