Als Cristiano Ronaldo von Real Madrid zu Juventus wechselte, glaubten viele, er habe seinen Zenit überschritten. Doch der Superstar straft alle Kritiker Lügen. Für die 11FREUNDE-Ausgabe #203 – kurz bevor die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn publik wurden – haben wir seine Ankunft in Turin begleitet, wo er von den Tifosi wie ein Heiliger empfangen wurde.
Die glitzernde Scheinwelt des Profifußballs und die graue Realität trennt nur eine Straße aus löchrigem Asphalt. Gegenüber der Zufahrt zum „J Village“, dem nagelneuen Trainings- und Lebensmittelpunkt von Juventus, liegt der Mattatoio, der Schlachthof von Turin. Und wenn hier morgens im Nordwesten an der Straßenecke Via Druento/Via Traves die Juve-Stars in ihren Luxuskarossen das streng bewachte Eingangstor passieren, spuckt auf der anderen Seite die Buslinie 59 im Halbstundentakt schlaftrunkene Schlachter aus, die ihrerseits auf dem Weg zur Arbeit sind.
In drei Jahren Bauzeit hat sich Juventus auf dem Areal Continassa eine eigene, kleine Stadt direkt neben sein Stadion gebaut, mit Nachwuchsakademie, Trainingsplätzen und einem Hotel. Ein schwarz-weißes Ufo im Brachland der Vorstadt, 148 000 Quadratmeter groß, von hohen Mauern umgeben und von Videokameras überwacht, in dem die „Alte Dame“ wie ein James-Bond-Bösewicht in einem aberwitzigen Laboratorium daran werkelt, ihre Vormachtstellung im italienischen Fußball auch auf internationalem Sektor auszubauen.
Der Sixpackindianer
110 Millionen Euro hat sich der Klub seine neue Heimat kosten lassen. Das 2011 eröffnete Stadion mit einem Fassungsvermögen von 41 000 Zuschauern hatte zuvor bereits 155 Millionen Euro verschlungen. Massenweise Geld in Steine. Doch verglichen mit dem, was der Klub in diesem Sommer in zwei Beine investiert, beinahe Peanuts: 112 Millionen Euro hat Juve an Real Madrid für einen Spieler überwiesen, der in den kommenden vier Spielzeiten jährlich ein Nettogehalt von 31 Millionen Euro beziehen wird. Drei Mal so viel wie Gonzalo Higuain, der zweitbeste Verdiener in der Serie A. Oder anders gerechnet: acht Mal so viel wie sein Teamkollege, der deutsche Weltmeister Sami Khedira.
124 Millionen Euro netto also für einen 33-jährigen Stürmer, spötteln Kritiker, der seinen Zenit längst überschritten habe. Nicht für irgendeinen 33-Jährigen, entgegen die Tifosi Bianconeri leidenschaftlich, sondern für den Überirdischen. Den amtierenden Weltfußballer. Das Phantom des Strafraums. Den berühmtesten Avatar seit R2D2: CR7. Sixpackindianer. Fünfmaliger Champions-League-Gewinner. Mr. 450 Tore in 438 Real-Einsätzen. Spargeligster Muskelprotz des Universums, the one and only Cristiano Ronaldo. Am vergangenen Montag erst musste die Polizei seinetwegen die Via Traves sperren. Fans haben in Turin generell keinen Zutritt zum Training der Profis. Dennoch hatten sich bei der Nachmittagseinheit am Eingang massenweise Fans versammelt und gewartet, dass Ronaldo herausfährt.
Paraderolle Einzelkämpfer
So professionell und modern das „J Village“ hinter den automatischen Toren sein mag, so chaotisch sind die Zustände davor. Wenn die Tifosi rechts und links am Wellenbrecher auf dem Bürgersteig keinen Platz mehr finden, stehen sie direkt auf der Straße, wo pausenlos hupende Autos vorüberbrausen. An diesem Mittwoch hat Massimiliano Allegri seine Spieler am Vormittag zur ersten Einheit geladen. Um 8.30 Uhr, zwei Stunden vor Trainingsbeginn, ist der Wachmann noch ganz allein. Italienische Fans sind offenbar Spätaufsteher, obwohl bekannt ist, dass Ronaldo viele Individualeinheiten schiebt und Mitspieler voller Ehrfurcht feststellen, dass er trotz seiner Berühmtheit immer noch oft der Erste ist, der zum Training kommt, und der Letzte, der geht.
Der Portugiese hat seinen eigenen Koch, einen Physiotherapeuten und den Ernährungsberater aus Madrid mit ins Piemont gebracht. Und auch an diesem Tag fährt der Star bereits kurz nach halb neun im schwarzen SUV vor. Dass es Ronaldo ist, der hinter den getönten Scheiben am Lenkrad sitzt, erkennen Außenstehende allein daran, dass der bis dato gemächlich schlendernde Securitymitarbeiter plötzlich hektisch in sein Büro läuft, um die Automatik des Rolltors in Gang zu setzen. Als der Superstar auf den Hof fährt, passiert er ein riesiges Banner mit dem vieldeutigen, um nicht zu sagen reichlich bekloppten Juve-Motto: „Life is a Matter of Black and White“. Ein Spruch, so pathetisch, dass er von ihm stammen könnte, dessen Paraderolle auf dem Rasen doch die des Einzelkämpfers ist, der es mit der ganzen Welt aufnimmt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite biegt derweil ein müffelnder Schweinetransporter auf den Hof des Schlachthofs.