Als 17-Jähriger saß Christian Günter in der Freiburger B‑Jugend nur auf der Bank, jetzt fährt er überraschend mit zur Europameisterschaft. Ein Gespräch über verpasste Partys, Missverständnisse am Parkplatz und den Dialekt von Christian Streich.
Hinweis: Das Interview erschien erstmals im Januar 2019. Gestern wurde Günter überraschend für die Europameisterschaft nominiert.
Christian Günter, Sie kommen aus einem kleinen Ort im Schwarzwald und mussten seit Ihrer Jugend zum Fußballspielen nach Freiburg pendeln. Wie lief Ihr typischer Tag als 15-Jähriger ab?
Damals war ich auf der Realschule in St. Georgen, was etwa zehn Kilometer von meinem Zuhause Tennenbronn im Schwarzwald entfernt liegt. Um 13:00 Uhr holte mich meine Mutter von der Schule ab und fuhr mich, das dauerte vielleicht 30 Minuten, direkt an den Bahnhof in Hornberg. Um 14:05, das weiß ich noch genau, ging der Zug nach Offenburg. Dort war ich dann um 14:45 Uhr und hatte ein paar Minuten Leerlauf. Dann kam ein Kleinbus vom SC Freiburg, der mich und andere Jungs, die aus dem Nordschwarzwald kamen, abholte und zum Training fuhr. Von 17:00 Uhr bis 18:30 Uhr wurde trainiert, manchmal gab es danach noch eine kurze Videoanalyse. Gegen 19:00 Uhr waren wir fertig, mussten aber noch duschen. Die große Frage, die sich danach im SC-Bus auf dem Weg nach Offenburg immer stellte: Schaffen wir den 20:15-Uhr-Zug zurück in die Heimat?
Und?
Meistens verpassten wir ihn. Was bedeutete, dass ich eine Stunde am Bahnhof herumhängen musste. Dann habe ich Hausaufgaben gemacht oder vor mich hin geträumt. Bestenfalls waren noch ein oder zwei Kollegen dabei, dann war es nicht ganz so öde. Um 21:45 Uhr war ich zurück in Hornberg, wo mich meine Mutter wieder mit dem Auto abholte. 30 Minuten später war ich zu Hause, so um 22:15 Uhr. Meistens musste ich dann noch ein bisschen lernen.
Ganz ehrlich: Das klingt furchtbar.
Später, während meiner Ausbildung zum Industriemechaniker, verließ ich das Haus sogar schon um 05:30 Uhr und war frühestens um 22:00 Uhr zu Hause. Damit es logistisch mit der Arbeit und dem Fußball funktionieren konnte, mussten mein Vater, meine Mutter oder mein Opa mich abwechselnd mit dem Auto nach Freiburg bringen und dort während des Trainings warten.
Konnten Sie irgendwann auf Knopfdruck im Auto einschlafen?
Das kann ich heute noch. Ich lege mich hin, und zwei Minuten später bin ich weg. Das war sehr praktisch, weil ich damals ansonsten nicht viel Schlaf bekam. Wenn ich abends mit allem durch war, dann wollte ich ja trotzdem noch mal kurz runterkommen, mich vor den Fernseher hauen und entspannen. Und zack, war es Mitternacht. Fünf Stunden später klingelte der Wecker.
Hatten Sie überhaupt mal Freizeit als Jugendlicher?
Mittwochs! Da hatten wir in der B- und A‑Jugend trainingsfrei. Das war also der Tag, an dem ich was mit Freunden machen konnte. Die restlichen Tage war es schwierig.
Warum sind Sie nicht einfach in die Freiburger Fußballschule gezogen?
Zum einen reichte meine Distanz zu Freiburg nicht aus, im Internat gibt es ja nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen. Luftlinie sind es von Tennenbronn nach Freiburg nur 65 Kilometer. Andere kamen aus Orten, die waren zweieinhalb oder drei Stunden entfernt. Deswegen gab es für mich nur die Möglichkeit, in eine Gastfamilie zu ziehen. Und das wollte ich nicht. Mein Umfeld war mir zu wichtig, ich wollte nicht von zu Hause weg.
Haben Sie eine besonders miese Fahrerei-Erinnerung?
Bei Offenburg gibt es einen Parkplatz, der sich von der Anbindung her eigentlich super als Treffpunkt eignet. Das sogenannte Offenburger Ei. Allerdings gibt es, nicht weit davon entfernt, noch einen zweiten Parkplatz, der fast identisch aussieht. Dummerweise wusste von diesem zweiten Parkplatz in meiner Familie niemand. Als mich der SC-Bus, damals war ich vielleicht 16 Jahre alt, zum ersten Mal am Offenburger Ei heraus ließ, wo mich mein Vater abholen sollte, fuhr mein alter Herr natürlich prompt zum falschen Parkplatz. Ich wartete und wartete, er kam und kam nicht. Damals gab es in der Familie nur ein Handy, das hatte ich in der Tasche. Nach einer Stunde rief ich meine Mutter zu Hause an und fragte, was denn bloß los sei. Sie antwortete: „Der Papa ist schon vor zwei Stunden losgefahren, der müsste längst da sein.“