Aus ganz Deutschland reisten Fans zur DFL-Mitgliederversammlung am 12. Dezember. Rund 600 Anhänger protestierten, diskutierten und froren. Wir haben sie begleitet.
Ein langer Tag liegt hinter allen, ihnen da drinnen, denen da draußen. Da öffnet sich plötzlich ein Spalt der Tür, die zum Konferenzraum führt, in dem die Mitgliederversammlung des Ligaverbandes tagt. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, lugt heraus. „Es ist alles abgesegnet“, sagt er, „einen Moment noch.“ Die Tür geht wieder zu. Ein eindeutiges Zeichen, denken sich einige Journalisten, und suchen das Weite. Liga-Präsident Reinhard Rauball bestätigt einige Minuten später auf einer Pressekonferenz, dass das Maßnahmenpaket der DFL für mehr Sicherheit im Fußball verabschiedet ist. Er spricht davon, dass der professionelle Fußball als Gewinner aus der Sache hervorgehen werde. Draußen, vor dem noblen Frankfurter Hotel, stehen rund 600 Fans. Sie wissen noch von nichts, sie können allenfalls erahnen, was soeben beschlossen wurde. Es ist 15.30 Uhr. Die Fans stehen hier seit über vier Stunden.
Es ist kalt an diesem Mittwoch, dem 12. Dezember. Jeder hat das mitbekommen. Auch Wolfgang Holzhäuser. Als der Sprecher der Geschäftsführung von Bayer Leverkusen in Frankfurt ankommt, pfeift ihm bereits der Wind um die Ohren, ansonsten scheint alles ruhig zu sein. Holzhäuser ist pünktlich, es ist 10:56 Uhr, dem Vernehmen nach beginnt die Sitzung frühestens um 11 Uhr. Er steigt aus seinem Taxi, verschwindet im Hotel. Draußen haben sich in diesen Minuten bereits mehrere Polizeibusse positioniert, uniformierte Gesetzeshüter schlendern vereinzelt umher. Von protestierenden Fans ist noch nichts zu sehen, doch vor der Einfahrt des Hotels beginnt es langsam zu kribbeln.
Nach und nach erhöht sich das Polizei-Aufgebot, per Funk kommen Informationen durch, es ist kurz nach 11 Uhr. Wer nicht mal mehr als eine Minute unbedarft am Straßenrand stehen bleibt, wird von Polizisten angesprochen, gefragt, auf was oder wen er warte. Dann ein Blick nach links: Etwa 70 Fans. Die erste Gruppe. Ruhe. Keine Schlachtrufe oder dergleichen, allenfalls eine angespannte Atmosphäre. „Wir sind bunt gemischt, aus Mainz, Stuttgart, Osnabrück“, erzählt einer der Mainzer, „es kommen gleich noch mehr“, doch dann wird er auch schon unterbrochen. „Herzlich Willkommen“, dröhnt es aus den Lautsprechern der Polizei. „Sie können ihren friedlichen Protest vor der Hoteleinfahrt durchführen. Zugang zum Hotel haben sie nicht.“ Es bleibt ruhig.
Manche kommen aus Leipzig, manche aus Burghausen
Wenig später trifft Marvin Kretzschmar ein. Er hat nicht viel geschlafen. „Meine Freundin hatte gestern Geburtstag. Die wäre mir aufs Dach gesprungen, hätte ich nicht mit ihr gefeiert“, erzählt der Union-Berlin-Fan. Also machte er durch und stieg um 3.30 Uhr ins Auto. Marvin, Student in Leipzig, wurde von seinen Kollegen aus der Hauptstadt aufgelesen. Vielleicht die längste Tour, die in der Nacht bis Frankfurt zurückgelegt wurde. Vielleicht auch nicht. Wie lange braucht man aus Burghausen an den Main? Wie lange aus Dresden? Abgehalten haben die Entfernungen die wenigsten. Marvin erst recht nicht. Er ist Mitorganisator der Aktion „12:12“, für ihn wird es nicht beim stillen Protest bleiben. Die ersten Fernsehteams stehen bereits Schlange.
Marvin hat Holzhäuser nicht mehr gesehen, er wird ihn auch nicht mehr zu sehen bekommen. Die Polizei hat das Hotel hermetisch abgeriegelt. Dafür bummelt Kaiserslauterns Manager Stefan Kuntz etwas später an ihm vorbei und sucht den Weg ins Hotel. Auch Martin Bader vom 1. FC Nürnberg ist etwas in Verzug. Er schiebt sich an einer Fangruppe vorbei. Ausgerechnet jener der Nürnberger.
Plötzlich durchbricht ein emotionaler Moment die Stille. Ein Nürnberg-Fan sprintet Bader hinterher und wird sofort von mehreren Polizisten verfolgt. Dabei müssen sie gar nicht eingreifen. Bader selbst tut das. Er stellt sich den Fragen des Fans, der für gut 20 seiner Kollegen spricht, die um das Duo eine Traube bilden. Nach fünf Minuten ist der FCN-Manager verschwunden. Sofort hat der Anhänger eine Fernsehkamera am Hals, anschließend ein Radiomikrofon. Worum ging es? „Der 1. FC Nürnberg hat sich gestern in einer Pressemitteilung vorbehaltlos zum Sicherheitspapier bekannt“, erklärt der Fan. „Das widerspricht dem, was der Verein uns Fans in den Wochen zuvor noch zugesichert hatte.“
Die Maßnahmen der DFL waren zwischenzeitlich überarbeitet worden. Die Fans, die in Frankfurt protestieren, lehnen einige Punkte des Papiers aber auch in der zweiten Version ab. In Nürnberg gingen die Fans davon aus, dass der Verein weiterhin ihre Standpunkte vertritt – bis zur Pressemitteilung einen Abend vor der Mitgliederversammlung. Darauf habe er Bader angesprochen. „Könnte sein, dass das ein Alleingang der Pressestelle gewesen ist“, sagt der Anhänger ob der Eindrücke, die aus dem Gespräch mit Bader haften geblieben sind und hofft das Beste. Seinen Namen will er nicht nennen. Es ist 12.05 Uhr.
Was nach diesem kleineren Zwischenfall bleibt, ist Stille. Sind starre Blicke in Richtung Hotel, auf die Polizei-Aufgebot. Um der Kälte zu entfliehen, kehren immer mehr Fans in ein fernöstliches Restaurant ein, das in unmittelbarer Nähe zum Hotel mit einem „All you can eat“-Buffet lockt. Was zunächst nach harmonischen Liason aussieht, endet später in einer Art Beziehungsdrama. Einige wenige Fans, so der Vorwurf des Hausherren, haben sich an seinen Speisen bereichert, ohne dafür zu zahlen. Er schließt sein Restaurant um 14:06 Uhr. Den Fans bleibt nicht mehr viel. Am allerwenigsten die Hoffnung, dass die Ergebnisse der DFL pünktlich um 14:30 Uhr bekannt gegeben werden. Vielleicht noch ein Bummel zur nächsten Tankstelle. Doch die ist einige Minuten zu Fuß entfernt.
Doch selbst das Wegbrechen der letzten Bastion lässt die Fans – nunja – kalt, im übertragenen Sinne. Ein einziges Mal ertönen Rufe einer Gruppe, die den DFB mit einem kriminellen Geheimbund sizilianischer Prägung gleichsetzt. Immer wieder setzen sich Fans aus ihren Gruppen ab, nehmen Anrufe aus der Heimat entgegen. „Hier ist alles unspektakulär“, ist die häufig gehörte Antwort. „Es läuft alles sehr positiv“, findet auch Marvin. Er freut, dass sich so viele Leute aufgemacht haben, um in Frankfurt dabei zu sein. „Egal wie es heute läuft, es wird keinen Genickbruch der Fankultur geben“, sagt er. Eine solche Menschenmenge, wie sie sich in Frankfurt zusammengefunden hat, junge Leute, die gerne feiern, Spaß haben, erinnert zwangsläufig an einen Auflauf bei einem Volksfest. Doch Sauftouristen gibt es hier keine. Drei ältere Herren, Fans von Rot-Weiß Oberhausen, haben ein paar Bier zu viel gekippt, das sieht man ihnen an. Der Rest trinkt das ein oder andere Bier, um die stillen Stunden in der Kälte einigermaßen zu überstehen. Mehr nicht.
„Niemand hat mit uns gesprochen“
Marvin ist wieder losgezogen. Er teilt sich die Aufgaben der Presse- und Kommunikationsarbeit mit Johannes Liebnau (Hamburg) und Fabian Rohde (Berlin). Die drei knüpfen Kontakte zu den einzelnen Fangruppen. „Es sind in den vergangenen Wochen Netzwerke entstanden, die es weiter zu pflegen gilt“, sagt Fabian, und Johannes ergänzt: „Wir müssen untereinander Meinungen austauschen, die Diskussionen am Leben halten.“
Um 16:00 Uhr haben die Fans seit einer halben Stunde Gewissheit über die Entscheidung. Vor dem Hotel diskutiert niemand mehr. Leere Bierflaschen und Müll erinnern noch an das, was sich die letzten fünf Stunden hier abgespielt hat. „Ich habe die Hoffnung, dass zumindest die kritischen Punkte noch einmal überdacht werden“, hatte Marvin noch zu Beginn gesagt. Nun sagt er: „Die Mitgliederversammlung boxt die Maßnahmen durch und tut danach so, als würde es schon lange einen Dialog geben. In den fünf Stunden ist niemand zu uns rausgekommen und hat mit uns gesprochen.“ Dass es weitere Proteste geben wird, bestätigt er bereits. „Wir haben ja bald Winterpause, da können wir uns in Ruhe beraten“, untermauert Marvin. „Doch das muss man erst einmal sacken lassen.“ Dann macht er sich auf den Heimweg nach Leipzig.