Istanbul Basaksehir ist zum ersten Mal türkischer Meister geworden. Doch bis auf Staatschef Erdogan freut sich darüber kaum jemand. Wie konnte der Klub so erfolgreich werden?
Aus leicht abseits-verdächtiger Position kommt der Stürmer im orangen Trikot an den Ball, nimmt ihn mit rechts mit, schüttelt den Verteidiger ab wie eine lästige Fliege und lupft dann von außerhalb des Strafraums mit links Richtung Tor. Perfekt über den Torwart hinweg. Genau in den Winkel. Was nach einem Tor von Arjen Robben im Trikot der niederländischen Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft klingt, wurde in einem gänzlich anderen Kontext geschossen. Bei einem Promi-Kick im Jahr 2014. In Istanbul. Anlässlich einer Stadioneröffnung. Torschütze war zudem kein prominenter Alt-Profi sondern einer der umstrittensten Politiker der Welt. Der zwölfte Präsident der türkischen Republik, Recep Tayyip Erdogan.
Nun hätte an gleicher Stelle wieder gefeiert werden können. Doch durch die Corona-Eindämmungsmaßnahmen sind natürlich auch in der Türkei keine Zuschauer in den Stadien zugelassen. Aber auch sonst suchte man am Sonntagabend in Istanbul vergeblich nach feiernden Fans, die sich in den Armen liegen, bei Autokorsos versuchen lauter als ihr Hintermann zu hupen oder einfach bengalische Feuer anzünden. Und das, obwohl Istanbul Basaksehir durch einen 1:0‑Heimsieg über Kayserispor erstmalig türkischer Meister geworden war.
So richtig interessierte sich außer dem türkischen Staatschef dafür allerdings kaum jemand.
Erdogan zwitscherte bereits wenige Minuten nach dem feststehenden Titelgewinn seine Glückwünsche in die Welt hinaus: „Ich gratuliere dem Klub und seinen Anhängern ganz herzlich.“ Ansonsten hielt sich die Freude über die Meisterschaft, des 1990 durch den damaligen Istanbuler Bürgermeister Nurettin Sözen gegründeten Betriebsverein der Stadtverwaltung aber in Grenzen. In der Türkei gilt der Verein als Retortenprodukt, als Klub mit zu mächtiger Lobby. Das liegt vor allem an den Verbindungen zum mächtigsten Mann der Türkei, am prominentesten Fan, an Erdogan.
Der ehemalige Betriebssportverein Istanbul Büyükşehir Belediyespor, kurz Istanbul BB, wurde im Jahr 2014 konsequent umgebaut. Als frischgebackener Süperlig-Aufsteiger zog Istanbul BB nicht nur in den erst seit 2009 als eigenständigen Bezirk bestehenden und konservativ geprägten Stadtteil Basaksehir um, sondern bekam zusätzlich ein neues Stadion spendiert. Aus Istanbul Büyükşehir Belediyespor wurde İstanbul Başakşehir Futbol Kulübü, kurz Istanbul Basaksehir FK.
Hinter den Umstrukturierungen standen vor allem Vertraute und Unternehmer aus dem Dunstkreis von Erdogan und dessen Regierungspartei AKP. Basaksehir-Präsident Göksel Gümüsdag ist mit einer Nichte von Erdogans Ehefrau Emine verheiratet. Zudem ist der derzeitige Gesundheitsminister und ehemalige Erdogan-Leibarzt Fahrettin Koca über seine Krankenhauskette Medipol als Hauptsponsor und ehemaliger Namensgeber an Basaksehir beteiligt. Auch Makro Insaat, ein Bauunternehmen, das stark von weitreichenden Baumaßnahmen in der Millionenmetropole Istanbul profitiert hat, und der neuerbaute Istanbuler Flughafen warben schon auf den Trikots des Vereins.
Der Umbau des Klubs kam dabei nicht von ungefähr. Er hatte vor allem politische Gründe. Erdogan, der sich gerne als Junge aus einfachen Verhältnissen inszeniert, ist die Bedeutung des Fußballs in der Türkei schon immer bewusst gewesen. Vor allem die Anti-Regierungsproteste auf dem Istanbuler Taksimplatz im Sommer 2013, bei denen sich erstmalig breite Menschenmassen gegen die Politik des türkischen Staatschefs stellten, hatten die Kraft des Fußballs verdeutlicht. Als wichtigste Säule der Proteste galten nämlich die Fan- und Ultragruppen der drei großen Istanbuler Vereine Besiktas, Galatasaray und Fenerbahce. In der Regel abgrundtief verfeindet, stellten sich die Gruppen geschlossen an die Seite der Demonstrierenden am Gezi-Park und kämpften gemeinsam gegen die Polizei. Insbesondere die als progressiv und links geltenden „Carsi“-Ultras von Besiktas waren dem Staatschef ein Dorn im Auge.