Der deutsch-nigerianische Comedian Simon Pearce wuchs in Bayern auf. Wie es sich anfühlt, als Junge mit schwarzer Haut durch die süddeutsche Provinz zu tingeln und warum ein Tor von Jay-Jay Okocha einst sein Leben veränderte, hat er für uns aufgeschrieben.
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Ich weiß noch immer nicht recht, ob Augustine Okocha damals für mich ein Held oder ein Antiheld war. Ein Idol war er bestimmt. Und ein Retter. Durch ihn begann eine neue Phase in meinem Leben. Als Mensch, als schwarzer Junge in einer kleinen Gemeinde im schwarzen Bayern. Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Eine Fähigkeit, die Okocha auch perfektioniert hat.
Ich bin halb Deutscher und halb Nigerianer. Ich find’s schön hier, ich mag Bayern. Aber man fühlt sich als Schwarzer unter Schwarzen nicht immer wohl. Es gibt doch noch gewisse Vorurteile, die einem – ob humorvoll oder ernst gemeint – sowohl auf dem Rasen als auch im normalen Leben entgegenwehen. Die Reihe an Spitznamen, die ich früher zugeteilt bekam, reichte von „Bob Marley“ bis „Schwarze Perle“, andere riefen mir „Stehen bleiben, Polizei!“ hinterher. Das war irgendwo auf der Straße, beim Metzger, in der Schule oder auf dem Fußballplatz so.
Was das Kicken angeht, war ich wohl das komplette Gegenteil von dem, was Jay-Jay Okocha darstellte. Ich war Fußballer, okay, so viel hatten wir gemein. Aber zu der Zeit hießen die afrikanischen Fußballer in der Bundesliga noch … sie hießen gar nicht. Zumindest nicht so, dass man von ihnen hätte reden können. Während Anthony Baffoe sich gezwungen sah, so manchen Gegenspieler auf seine „Plantage“ einzuladen, begrüßte man Souleyman Sané mit Sprechchören wie „Husch, husch, Neger in den Busch!“ Ich war damals Ausputzer. Ich war schnell und konnte den Ball gut wegschlagen. Sehr weit, Hauptsache weg vom eigenen Strafraum, das war die Order. Dafür gab’s Schnitzel mit Pommes und anerkennendes Klatschen vom Trainer.
Das war es, was von mir erwartet wurde: Geschwindigkeit und diese Kraft in den Schenkeln. Schon vor Spielbeginn hieß es vom gegnerischen Trainer: „Obacht, der is’ schnell!“ Ja, schnell war ich, das reichte zum Meistertitel in der E‑Jugend. Leider haben sich meine Wachstumsfugen ziemlich genau mit dem Gewinn dieser Meisterschaft dazu entschieden, sich zu verschließen. Das Spielfeld und die Gegner wurden größer, nur meine Schuh- und Trikotgröße und vor allem meine Technik stagnierten. Immer öfter wurde ich ins Mittelfeld beordert, meistens aber auf der Bank geparkt. „Der is’ nur schnell, stell an Körper nei!“, hieß es jetzt plötzlich.
Meine Mitspieler konnten mittlerweile Tricks und mehr als drei Mal den Ball hochhalten. Ich habe mir genau einen Trick abgeschaut, der sich mit meinen mannigfaltigen Fähigkeiten am Ball kombinieren ließ. Abgeschaut vom rechten Mittelfeldspieler meines Lieblingsklubs 1860 München: Armin Störzenhofecker – ein Name wie Augustine Azuka Okocha. Fast. Links vorbeilegen, rechts vorbeisprinten. Das war mein Trick. Und dann ebenso schnell den Ball loswerden, bevor mich ein wohlgenährter Gegenspieler vom Spielfeld checkte.