1980 gründete ein Unternehmer in Calgary einen Fußballverein, nur ein paar Monate später löste er ihn wieder auf. Was war passiert? Jürgen Stars muss es wissen, er war einer von acht Deutschen im Team.
Gerd Müller in Florida, Pierre Littbarski in Japan, Lothar Matthäus in Italien. Unser neues Spezial „Legionäre“ ist jetzt am Kiosk und bei uns im Shop erhältlich.
Jürgen Stars, wie sind Sie in Kanada gelandet?
Ich war Ende der Siebziger einige Jahre zweiter Torhüter beim HSV, danach habe ich für den VfR Bürstadt in der 2. Bundesliga Süd gespielt. Nebenher habe ich gearbeitet. Das musste mal damals als Zweitligakicker. Soll ich Ihnen mal sagen, was ich in meiner ersten Saison bei Phönix Lübeck verdient habe? 50 Mark Grundgehalt! Mit ein paar Prämien kam ich vielleicht auf 300 Mark im Monat. Jedenfalls, Anfang 1981 kontaktierte mich ein Mann namens Edgar Edringer. Er tingelte damals als Spielervermittler durch Deutschland und lockte alternde Profis in die USA und nach Kanada. Sein Auftraggeber war Al Miller, Trainer der Calgary Boomers und sehr interessiert an deutschen Profis. Eigentlich wollten sie Norbert Nigbur haben, aber der sagte ab, also fragten sie mich. Das klang alles sehr spannend und auch lukrativ. Wenig später unterschrieb ich einen Vertrag bei den Boomers.
Was wussten Sie über Soccer in den USA und Kanada?
Einige bekannte Spieler waren schon drüben, George Best, Pelé, Giorgio Chinaglia. Aus Deutschland zum Beispiel Franz Beckenbauer und Gerd Müller. Alle schwärmten von der Liga und dem Leben ins Amerika. Die Boomers waren im Grunde ein älteres Franchise aus Memphis, das 1980 umgesiedelt wurde. In Calgary entstand eine deutsche Fußball-Enklave. Neben mir spielten noch Gerd Zimmermann, Jürgen Röber, Helmut Kremers, Franz Gerber, Holger Brück und Willi Reimann für die Boomers. Auch Klaus Toppmöller stand bei uns unter Vertrag, aber er fiel wegen einer Verletzung die komplette Saison aus. Außerdem war da noch der Däne Jorgen Kristensen, der mal für Hertha gespielt hatte. Das große Ziel war es, besser zu sein als die Edmonton Drillers.
Nicht die Meisterschaft?
Auch die, klar. Aber unser Besitzer Nelson Skalbania hatte einen Gegenspieler in Toronto, Peter Pocklington, der dort das Eishockey-Team Oilers besaß und 1979 das Soccer-Team Drillers gründete. Dort spielte unter anderem der ehemalige HSVer Peter Nogly. Das stachelte Skalbania an. Er besaß ebenfalls ein Eishockey-Team, die Calgary Flames, und jetzt musste eine Fußballmannschaft her.
Ok, Boomers! Saison 1981. Unten sitzen u.a. Jürgen Röber (2. v. l.) und Jürgen Stars (4. v. l.)
Mit den Boomers spielten Sie auch in der Halle. Wie war das?
Ich kam mitten im Winter, Anfang 1981, ins Trainingslager nach Florida. Danach ging es weiter nach Vancouver und von dort nach Calgary. Alles war verschneit. Da wäre im Freien überhaupt kein Fußball möglich gewesen. Aber der Hallenfußball war eine große Attraktion. Wir spielten in Eishockeystadien, die oft brechend voll waren. Die Outdoor-Season war anfangs fast gewöhnungsbedürftiger.
Warum?
Jedes Auswärtsspiel war eine große Überraschung. Schon wegen der Spielfläche. Mal knochentrockener Kunstrasen, mal American-Football-Felder, mal Baseball-Acker mit ein bisschen Sand im Torraum, in Florida dann wieder top gepflegter Naturrasen. Die Leute nahmen Soccer unterschiedlich an. Ich erinnere mich an Auswärtsspiele bei den Los Angeles Aztecs vor 2000 Fans – in einem Stadion, das 90.000 Zuschauer fasste. Bei Cosmos in New York oder Fort Lauderdale in Florida waren die Stadien aber kleiner und oft voll. Auch zu unseren Heimspielen kamen oft über 30.000 Fans. Allerdings gab es Dinge, die wichtiger waren als Fußball, zum Beispiel Religion. In den Playoffs mussten wir zweimal auswärts gegen Fort Lauderdale spielen, weil der Wanderprediger Billy Graham unser Stadion für eine Woche gemietet hatte. Wir schieden aus. Dann sind wir alle in den Urlaub gefahren, bis ich auf einmal einen Anruf bekam: „Starski, sieht nicht gut aus, die haben unseren Verein dichtgemacht.“
Der Klubbesitzer hatte keine Lust mehr auf sein Spielzeug?
So war es. Skalbania war sehr umtriebig, der kaufte ständig Franchises und verkaufte sie wieder oder löste sie auf. Das war für uns, die früher in deutschen Traditionsvereinen gespielt hatten, total ungewöhnlich. Aber gut, andere Länder, anderer Fußball. Mein Vertrag, der eigentlich über drei Jahre laufen sollte, lag nun bei der Liga und konnte von einem anderen Franchise übernommen werden. So landete ich von der Kälte Calgarys in der Hitze Floridas – bei den Tampa Bay Rowdies.
Über die Jahre bei den Tampa Bay Rowdies haben Sie mal gesagt: „Es war die beste Zeit meines Lebens.“ Warum?
Wissen Sie, ich bin mit dem HSV 1979 Meister geworden und stand im Landesmeister-Cup-Finale. Wobei man sagen muss: Ich war nur zweiter Torwart. In der Bundesliga habe ich nur zwei Spiele gemacht.
Immerhin hat der HSV mit Ihnen nie verloren: 4:0 gegen Schalke, 1:1 gegen Braunschweig.
(Lacht.) So kann man es sehen. Bei den Rowdies war ich aber Stammkeeper. Vor allem die Hallensaison war phänomenal. Wir mussten einmal in den Playoffs gegen Montreal Maniac nach zwei Spielen in ein weiteres Mini-Game, das wir mit per Golden Goal gewannen. Und abseits des Fußballs ging es uns einfach wunderbar. Die Sonne schien, wir fuhren raus zum Hochseeangeln, wir saßen in Gerd Müllers Steakhouse am Tresen, wir hatte ein Haus mit Swimmingpool. Sowieso, es war so heiß dort, 35 Grad, Luftfeuchtigkeit oft über 90 Prozent, wenn ich dran denke: Wir haben sehr oft Pool-Partys bei uns oder anderen Spielern gefeiert.
Sie waren sogar Werbe-Testimonial für Swimmingpools.
Als wir uns ein Haus in einem Vorort von Tampa gekauft haben, ließ ich auch einen Pool bauen. Der Firmenchef fotografierte mich danach und schaltete mit dem Foto eine Werbeanzeige im Stadionmagazin. „A Winning Combination“, steht drüber. (Lacht.) Das Bild habe ich auch noch irgendwo.
Wie wirkte Amerika auf Sie?
Die Amerikaner wussten damals wenig über Europa, und im Grunde hat sich daran bis heute nicht viel geändert. Gerade mit dem letzten Präsidenten und seinem America-first-Motto. Allerdings waren die Vereine und Spieler damals schon viel mehr in Community- und Charity-Arbeit involviert. Wir haben oft Schulen, Obdachlosenheim und Krankenhäuser besucht und haben Bedürftigen geholfen.
Beckenbauer hat mal gesagt, sein Status als Profifußballer öffnete ihm alle Türen in den USA. An der legendären Diskothek „Studio54“ musste er nur sagen: „I’m with the Cosmos“ – und schon kam er rein.
Wir hatten kein Studio54, und ich war mit meiner Familie in Florida, daher nie in Diskotheken, aber ich weiß, was er meint. Als Profisportler hattest du es geschafft, du wurdest bewundert, auch wenn Fußball eine Randsportart in den USA war. So etwas wie Kritik gab es nicht.
Haben Sie Beckenbauer eigentlich mal persönlich getroffen?
Ein Spiel gegen Cosmos konnte wegen starker Regenfälle nicht angepfiffen werden. Wir gingen alle wieder zurück in die Kabine. Irgendwann öffnete sich die Tür, und Beckenbauer stand da. Servus, kann ich mich dazusetzen? Und dann saßen wir alle zusammen in der Kabine und quatschten über dies und das, bis der Schiedsrichter Stunden später den Platz freigab.