Am Sonntag trifft Kaiserslautern auf Waldhof Mannheim – ein Spiel, das polarisiert. Dabei waren beide Vereine lange Jahre friedliche Nachbarn. Bis wie aus dem Nichts eine der tiefsten Feindschaften im deutschen Fußball entstand. Zur Geschichte des Südwestderbys.
Ende November 2001 in Mannheim: Über der Stadt liegt bereits den ganzen Tag eine Wolke aus Anspannung. Ein Derby steht an – der 1. FC Kaiserslautern ist zu Besuch und die Zuschauer im mit 22.000 fast ausverkauften Carl-Benz-Stadion sind elektrisiert. Ein Verkehrschaos rund um das Stadion und sich prügelnde Fans prägen das Bild in den Straßen. Im Stadion geht es anarchisch zu. Der Innenraum ist mit dicken Nebelschwaden verhangen, bengalische Lichter fliegen aus den Fanblöcken in Richtung Spielfeld. Polizisten haben sich vor den Zäunen aufgereiht. Die Stimmung kocht. Schiedsrichter Franz-Xaver Wack muss die Partie der zweiten DFB-Pokalrunde verspätet anpfeifen – ein Spielabbruch ist im Bereich des Möglichen.
Auf dem Platz stehen sich der damalige Zweitligist SV Waldhof Mannheim und der höherklassige 1. FC Kaiserslautern gegenüber. In beiden Reihen tummeln sich bekannte Namen. Der spätere WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose, Olaf Marschall, Harry Koch oder Mario Basler spielen im Dress der Roten Teufel. Beim SVW laufen der spätere Trainer Bernhard Trares oder der 20-jährige Selim Teber auf. Chefcoach beim FCK ist kein geringerer als Andreas Brehme.
Mannheim beginnt das Spiel furios und startet mit zwei großen Chancen: Ein Kopfball von Trares und ein Fernschuss von Teber lassen abstiegsbedrohte Waldhöfer hoffen. Nach 12 Minuten erlöst dann Selim Teber mit einem Lupfer über FCK-Keeper Georg Koch die „Barackler“, die Fans des SVW. In der umkämpften Partie gelingt Hany Ramzy per Kopf das 1:1 nach einer Ecke, ehe Vratislav Lokvenc mit freundlicher Unterstützung des Mannheimer Keepers Carsten Nolle die Führung für den FCK erzielt. Früh im zweiten Durchgang ist es wieder Teber, der Mannheim bis zum Ende an die Sensation glauben lässt. Spät im Spiel, bereits in der Nachspielzeit, setzt der erfahrene Olaf Marschall dann den Schlusspunkt: Nach einer Ecke trifft er wuchtig mit dem Kopf direkt vor dem Gästeblock und lässt den Favorit jubeln.
Nicht immer war das Verhältnis zwischen beiden Vereinen derart aufgeheizt. Obwohl nur 53 Kilometer Luftlinie zwischen den Carl-Benz-Stadion und dem Fritz-Walter-Stadion liegen, waren die beiden Städte im Südwesten der Republik früher friedliche Nachbarn. Der Rhein trennt die Kurpfalz von der Pfalz, die Barackler von den Roten Teufel. Bis in die frühen 80er-Jahre kamen sich deswegen beide Vereine nicht in die Quere.
Das änderte sich mit dem ersten Bundesligaaufstieg des SV Waldhof im Jahr 1983. Mit neuer Ligazugehörigkeit kamen Probleme auf die Mannheimer Verantwortlichen zu. Zu dieser Zeit spielten die Schwarz-Blauen noch im Stadion am Alsenweg im Stadtteil Waldhof. Weil nach dem Aufstieg die Haupttribüne einem Neubau weichen musste, war die Spielstätte nach DFB-Auflagen nicht mehr bundesligatauglich. Der SVW stand plötzlich ohne Stadion da – die Premierensaison in der Bundesliga war gefährdet. Eine Ausweichspielstätte musste her. Da es in Mannheim keine für das Oberhaus geeignete Lösung gab, sahen sich die Klub-Bosse gezwungen, ins benachbarte Ludwigshafen umzuziehen – zum Ärger der Kaiserslauterer Amtskollegen.
In der Pfalz heißt es: „Hiwwe un driwwe vom Rhoi“. Hiwwe, also „hüben“ waren die Pfälzer, driwwe sprich „drüben“ die Kurpfälzer. Mit dem geplanten Umzug von Mannheim in die pfälzische Nachbarstadt betraten die Kurpfälzer nicht nur fremdes Verbandsgebiet, sondern drangen auch in das Einzugsgebiet des FCK ein. Dass der SV Waldhof im alt-ehrwürdigen Südweststadion, in dem auch schon der FCK Heimspiele austrug, ein neues Zuhause fand, kam für den damaligen FCK-Präsident Udo Sopp einer Kriegserklärung gleich. Er fühlte sich vom „Eindringling“ bedroht und befürchtete Überläufer zwischen den Fan-Reihen. So konnte Mannheim tatsächlich in Ludwigshafen und anderen Teilen der Vorderpfalz Anhänger dazu bewegen, die rote Trikotfarbe in Schwarz-Blau zu ändern.
Lauterns Verantwortliche um Udo Sopp versuchten den Umzug vor der Bundesligasaison 1983/84 mit allen Mitteln verhindern. Zwischen den Streithähnen musste schließlich der DFB schlichten. Nach einem Krisengespräch sah sich Sopp im Recht: „Wir haben immer unseren Standpunkt deutlich gemacht, dass der SV Waldhof Mannheim in Mannheim spielen sollte, in der Stadt Mannheim und dem entsprechenden Verbandsgebiet.“ Sein Amtskollege Wilhelm Grüber hingegen wusste keine Alternative zu dem Umzug: „Die Heimat ist Mannheim, aber wir müssen überleben und arbeiten können. Wir haben es verdient, dass wir eine Stätte angeboten bekommen, wo wir lebensfähig sind – und das ist derzeit in Ludwigshafen.“ Sopp zeigte dennoch keine Einsicht: „Das ist nicht unser Bier. Alternativen haben wir nicht aufzuzeigen.“
Und tatsächlich schienen sich Sopps Befürchtungen zu bestätigen. In Mannheims Aufstiegssaison konnte der SWV einen deutlich besseren Zuschauerschnitt (26.235) als der FCK (19.118) vorweisen. Nachdem die Mannheimer grünes Licht für den Umzug nach Ludwigshafen bekommen hatten, forderte Sopp die Anhänger der Roten Teufel auf, zahlreich beim ersten Aufeinandertreffen in Ludwigshafen dabei zu sein und darüber hinaus auch bei den übrigen Heimspielen der Mannheimer im Südweststadion in Rot Präsenz zu zeigen. Sprichwörtlich aus dem Nichts entstand eine tiefe Rivalität, wenn auch vom Diskurs der Kluboberen befeuert, die bis heute andauert.
Doch nicht nur die Stadionfrage schürte Unmut zwischen beiden Vereinen. Auch ein Spieler namens Fritz Walter taugte seinerzeit nicht gerade als Friedensstifter. Die Rede ist nicht etwa von der Lauterer Vereinslegende und dem Weltmeister von 1954 – sondern vom gleichnamigen Mannheimer Spieler. Der Mittelstürmer sorgte kurz nach der Stadion-Posse für einen Transferstreit. Nachdem sich Walter in der Aufstiegssaison der Waldhöfer mit 16 Ligatoren für höhere Aufgaben empfohlen hatte, unterschrieb er noch vor der Spielzeit 1984/85 einen Vorvertrag bei den Roten Teufeln. In der Stadionzeitung ließ er bereits per Anzeige nach einer passenden Wohnung suchen. Wenig später unterschrieb er dann doch in Mannheim einen weiteren Vertrag und blieb zum erneuten Ärger von FCK-Präsident Sopp am Ende doch „driwwe“ – obwohl driwwe ja gar nicht mehr drüben war.
Sieben Jahre blieben die Schwarz-Blauen in der höchsten deutschen Spielklasse, ehe 1990 das Kapitel Bundesliga endete. Bis heute trafen der FCK und der SVW 20 Mal in den ersten drei Spielklassen und dem DFB-Pokal aufeinander, die Bilanz ist ausgeglichen. Darunter legendäre Spiele: Wie etwa 1987, als der FCK 3:4 im Südweststadion verlor, nachdem dem Gastgeber sage und schreibe vier Strafstöße zugesprochen worden waren. Zwei davon verschuldete FCK-Torwart Gerry Ehrmann selbst – zwei konnte er aber auch parieren.
Nur wenige Spieler lebten diese Spiele so wie Ehrmann, genannt „Tarzan“. Leidenschaftlich legte er sich mit seinen Gegenspielern an. So auch mit Karl-Heinz Bührer, der seinerzeit einen seiner Treffer mit ausgestrecktem Mittelfinger in Richtung Lauterer Westkurve feierte. Während Ehrmann beim FCK einer der Derby-Helden ist, ist es auf der Waldhöfer Seite Attila Birlik. Der junge Mannheimer senste 1997 zunächst Martin Wagner direkt vor der Westkurve um. Später kam es zum Disput mit Gerry Ehrmann, der sich in gewohnter Manier mit breiter Brust vor seinem Gegner aufbaute. Zur Freude der Waldhof-Anhänger ohrfeigte Birlik daraufhin den Tarzan. Er flog zwar mit Rot vom Platz – wird aber bis heute dafür von den Fans gefeiert.
Das bis vor kurzem letzte Aufeinandertreffen zwischen beiden Traditionsvereinen war die Partie im DFB-Pokal 2001. Damals ahnte niemand, dass sich ihre Wege für lange Zeit im Profibereich nicht mehr kreuzen sollten. Mannheim stieg am Ende der Spielzeit 2002/03 nach 1997 erneut in die Drittklassigkeit ab. Später erhielt der SVW aufgrund finanzieller Schwierigkeiten keine Lizenz für die Regionalliga und musste daraufhin sogar in der Oberliga ran. 2019 gelang den Kurpfälzern nach 16 Jahren mit dem Aufstieg in die 3. Liga wieder die Rückkehr in den Profifußball.
Dort war in der Zwischenzeit auch der viermalige deutsche Meister aus Kaiserslautern angekommen. Seit fast 20 Jahren wird der FCK von einer Talfahrt gebeutelt, die 2018 mit dem Abstieg der Pfälzer aus der 2. Liga einen weiteren traurigen Tiefpunkt fand. Das ambitionierte Ziel Wiederaufstieg verfehlten die Roten Teufel deutlich, sie blieben weiter drittklassig. Dem ersten Südwestderby seit 2001 stand nichts mehr im Weg.
Von den 20 Begegnungen zwischen den Rivalen gewannen beide Mannschaften sieben. Sechs Begegnungen blieben ohne Sieger. Schiedlich friedlich läuft es zwischen den Teams trotzdem nicht ab. Das wird auch am Sonntag ab 14:00 Uhr sehr wahrscheinlich wieder zu sehen sein.