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Die Zahlen sind eine Sache: In den 1920er- und 30er-Jahren erzielte Jack Leslie stolze 137 Tore in 401 Pflicht­spielen für Ply­mouth Argyle und gab unzäh­lige Vor­lagen. Doch die Sta­tistik verrät nicht den voll­stän­digen Wert, den dieser pfeil­schnelle und hoch­in­tel­li­gent spie­lende Angreifer für seinen Klub hatte. Leslie war fraglos einer der besten eng­li­schen Offen­siv­spieler seiner Gene­ra­tion, und so war die Beru­fung ins Natio­nal­team nur eine Frage der Zeit. Im Jahr 1925 schließ­lich kam der erlö­sende Bescheid, über­bracht durch den dama­ligen Ply­mouth-Coach Bob Jack: Leslie, damals gerade 25 Jahre jung, sollte in einem Freund­schafts­spiel gegen Irland sein Debüt feiern.

Doch dann beschloss der Ver­band offenbar, sich den Mann aus Ply­mouth etwas genauer anzu­sehen und ent­deckte, nun ja, ein klit­ze­kleines Pro­blem: Dieser Jack Leslie, über den man so viel gehört und gelesen hatte, war schwarz. Genauer gesagt hatte der Lon­doner einen schwarzen jamai­ka­ni­schen Vater namens John Francis Leslie und eine weiße eng­li­sche Mutter namens Annie Leslie. Jeden­falls zog die FA ihre Ein­la­dung schon nach wenigen Tagen wieder zurück. Ohne echte Begrün­dung. Doch dem Ver­schmähten war sofort klar, was dahin­ter­steckte.

Sie hatten wohl über­sehen, dass ich ein far­biger Kerl war“

Erst 1982, als über 80-Jäh­riger, sprach Jack Leslie erst­mals öffent­lich über die dama­lige Ent­täu­schung durch die Ver­bands­bosse: Sie hatten wohl über­sehen, dass ich ein far­biger Kerl war“, spot­tete er im Gespräch mit der Zei­tung Daily Star“. Natür­lich sollte auch keine wei­tere Beru­fung folgen, obwohl Leslie noch bis 1935 das Trikot von Ply­mouth Argyle trug. Und bis zu 22 Treffer in einer Saison mar­kierte.

Erst jetzt, im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewe­gung und der anhal­tenden Debatte über Ras­sismus im eng­li­schen Fuß­ball, for­dern unzäh­lige Fans die sport­liche Leis­tung der Ply­mouth-Legende anzu­er­kennen. Posthum. Und tat­säch­lich, es tut sich was: Im Dezember 2019 benannte der heu­tige Viert­li­gist Ply­mouth Argyle den Vor­stands-Tagungs­raum hinter der Haupt­tri­büne des alt-ehr­wür­digen Home Park“ nach dem eins­tigen Goal­getter.

Vor ein paar Wochen, kurz nach dem mut­maß­li­chen Mord an dem schwarzen US-Bürger George Floyd durch einen weißen Poli­zisten, schlug die Stadt Ply­mouth offi­ziell vor, den nach einem Frei­beuter und Skla­ven­händler benannten Sir John Haw­kins Square“ im Zen­trum umzu­be­nennen: in Jack Leslie Square“. 500 Argyle-Fans hatten im Vor­feld eine ent­spre­chende Peti­tion unter­zeichnet. Die Umbe­nen­nung gilt als sicher, muss jedoch noch durch die Rats­ver­samm­lung ver­ab­schiedet werden.

Bereits Anfang dieses Jahres hatten Ply­mouth-Anhänger die Jack-Leslie-Kam­pagne“ gestartet – mit dem Ziel, neben dem Sta­dion eine Statue des Bei­nahe-Natio­nal­spie­lers zu errichten. Oben­drein, so die Orga­ni­sa­toren, wolle man Jacks Geschichte bekannt machen und ver­breiten“ sowie Viel­falt feiern und Ras­sismus bekämpfen“. Seit dem 1. Juli läuft im Internet eine Crowd­fun­ding-Aktion, um die Statue zu finan­zieren. 100.000 bri­ti­sche Pfund (rund 111.000 Euro) wollen die Initia­toren auf diese Weise zusam­men­tragen. Am Mitt­woch dieser Woche, 33 Tage vor Ablauf der Aktion, waren bereits weit über 68.000 Pfund ein­ge­gangen.

Unter den Geld­ge­bern ist übri­gens auch der Lon­doner Ama­teur­klub FC Bar­king, bei dem Jack Leslie seine Kar­riere einst begonnen hatte. Bar­kings Prä­si­dent Dave Ble­witt erklärte gegen­über der Bar­king and Dagenham Post“: Mein Vater, geboren im Jahr 1906 und ver­storben 1986, erzählte mir in seinen letzten Lebens­jahren, dass Jack der groß­ar­tigste Spieler war, den er jemals für Bar­king hatte spielen sehen – und das in immerhin 60 Jahren.”

Mein Vater erzählte mir, dass Jack der groß­ar­tigste Spieler war, den er jemals für Bar­king hatte spielen sehen“

Barking-Präsodent Dave Blewitt

Jack Les­lies Urgroß­nichte, die den eins­tigen Star-Fuß­baller nie per­sön­lich ken­nen­lernte, regis­triert die Anteil­nahme mit Freude: Es ist herz­er­wär­mend, dass die Leute Jack und seiner per­sön­li­chen Geschichte auf diese Weise Aner­ken­nung zollen“, sagte Lucy Con­nett. Es gibt mir Hoff­nung, denn ange­sichts von jün­geren Ereig­nissen wie dem Tod von George Floyd wurde mir schlag­artig bewusst, dass Ras­sismus noch immer exis­tiert, und dass unsere Familie dies schon seit Jahr­zehnten am eigenen Leib erfährt. Ich hoffe, dass die Erin­ne­rung an Jack den jün­geren Gene­ra­tionen etwas ver­mit­telt, über Ras­sismus und Vor­ur­teile.“

Der­weil mutet es an wie bit­tere Ironie, dass der so arg dis­kri­mi­nierte Jack Leslie nach seiner Spie­ler­kar­riere Schuh­putzer wurde – bei West Ham United. Doch die Anstel­lung bei jenem Klub, den Leslie schon als Kind in sein Herz geschlossen hatte, war eine Gefäl­lig­keit des dama­ligen Hammers“-Trainers Ron Green­wood. Und Leslie liebte seinen Job, in dem der Bei­nahe-Natio­nal­spieler die Schuhe von echten“ Natio­nal­spie­lern wie Bobby Moore, Geoff Hurst und Martin Peters polierte.

1966 wurden Moore, Hurst und Peters Welt­meister. Von da an sollte es noch zwölf wei­tere Jahre dauern, ehe der erste schwarze Spieler für Eng­land auf­lief: Ein gewisser Viv Anderson (Not­tingham Forest) debü­tierte in einem Freund­schafts­kick gegen Por­tugal am 29. November 1978. Der erste Pflicht­spiel­ein­satz eines schwarzen Fuß­bal­lers für die Three Lions“ datiert vom 23. Mai 1979 und blieb West­Broms Laurie Cun­ningham vor­be­halten (gegen Wales). Jack Leslie durfte diese his­to­ri­schen Augen­blicke noch mit­er­leben. Er starb 1988, im Alter von 87 Jahren. Ohne Län­der­spiel­ein­satz. Und ohne je ein Wort der Ent­schul­di­gung von­seiten der FA gehört zu haben.